Leipziger Kultur-Beigeordnete im Interview Skadi Jennicke will Konflikte am Schauspiel Leipzig entschärfen

Am Schauspiel Leipzig schwelt seit November 2022 ein Konflikt, bei dem es jetzt Bewegung gibt. Die Leipziger Kultur-Beigeordnete Skadi Jennicke war am Donnerstag, 12. Januar, zu einem Gespräch am Haus. Im Interview mit MDR KULTUR schildert sie die Situation und welche Handlungsoptionen sich jetzt auftun könnten.

Dr. Skadi Jennicke, Bürgermeisterin für Kultur, eine Frau mit Brille schaut seitlich
Skadi Jennicke ist seit 2016 Bürgermeisterin und Beigeordnete für Kultur der Stadt Leipzig. Bildrechte: imago/PicturePoint

MDR KULTUR: Frau Jennicke, am 12. Januar waren Sie im Schauspielhaus zu einem Gespräch mit der Theaterleitung und Ensemblevertreterinnen und -vertretern. Welchen Eindruck haben Sie von der Situation am Schauspielhaus?

Skadi Jennicke: In der Tat hatte ich um das Gespräch gebeten, und hatte auch den Intendanten, Herrn Lübbe, gebeten, ein solches Gesprächsformat gemeinsam mit dem Personalrat einzuberufen, um einen Eindruck von der Atmosphäre am Haus zu bekommen und selbstverständlich auch die Mitglieder des Ensembles direkt anhören zu können. In dem Gespräch habe ich dann Schauspielerinnen und Schauspieler und auch Vertreter anderer Gewerke wie der Technikabteilung erlebt, die mit großer Leidenschaft und auch Inbrunst um die Situation am Haus ringen.

Die Vorgeschichte des Konfliktes am Schauspiel Leipzig

Enrico Lübbe, der Intendant des Schauspiels Leipzig, hatte die Verträge der beiden Schauspielerinnen Katharina Schmidt und Julia Preuß nicht für die kommende Spielzeit verlängert. Teile der Belegschaft fanden das schade und stellten sich hinter die beiden, bekundeten also ihre Solidarität. Preuß und Schmidt bedankten sich bei der Belegschaft in einem Brief und schlugen eine gemeinsame Belegschaftsversammlung vor, laut Brief "ohne Druck, ohne Leitung".

Daraufhin hatte Enrico Lübbe am 18. November 2022 den beiden Schauspielerinnen Schmidt und Preuß ein Hausverbot ausgesprochen. Auf die Frage nach dem Warum antwortet Lübbe im Interview der "Leipziger Volkszeitung" vom 17. Dezember 2022, dass ihm ein Schreiben zugetragen wurde, in dem Pläne laut wurden, die einem "Vorhaben eines gemeinsamen Austausches entgegenstanden". Die Coronazeit, in der man sich nicht treffen konnte, trage eine Art Mitschuld.

Claudia Bauer, die wegen der verhängten Hausverbote ihre Arbeit als Hausregisseurin beendet hat, beschreibt die Sache aus persönlicher Sicht ganz anders: Die Abkapselung und Entfremdung der Leitung von der Basis habe schon weit vor Corona begonnen. Es sei eindeutig ein schleichender Prozess gewesen. Sie habe im Theater auch den Eindruck gehabt, dass es immer weniger Orte gäbe, an denen man sich treffen oder sich austauschen könne.

Das Ensemble – nicht alle, aber eine "sehr große Mehrheit" – schreibt in einer Erklärung, dass es zu keinem Zeitpunkt von den beiden Schauspielrinnen zu Solidaritätsbekundungen mobilisiert worden sei. Das Betriebsklima sei durch die Freistellungen und die verhängten Hausverbote schwer beschädigt worden.

Die Situation ist angespannt. Es gibt, das muss ich offen eingestehen, Verwerfungen zwischen Intendanz und Ensemble, aber ich hatte auch den Eindruck, dass beide Seiten enorm gewillt sind, aufeinander zuzugehen und diese Anspannungen zu lösen. Dazu braucht es sicherlich ein bisschen Zeit; dazu braucht es auch eine externe Begleitung, die ist ja organisiert und geht nächste Woche los. Und ich hatte wirklich den Eindruck, dass es gelingen kann, dass beide Seiten aufeinander zugehen und ein Stückchen einen Neuanfang miteinander versuchen.

Es sollen dort mehrere Schauspielerinnen und Schauspieler eine Art stumme Mahnwache gehalten haben. Sie fühlten sich nicht repräsentiert und wollten mit Ihnen ins Gespräch gekommen. Ist das gelungen?

Also das Interesse an dem Gespräch war groß, und ich habe auch zu verstehen gegeben, dass das nicht das letzte Gespräch sein muss. Ich bin da offen und aufgeschlossen, kann aber bestimmte Sachen auch nicht lösen. Ich habe auch auf diesen moderierten Prozess, der in der nächsten Woche losgeht, verwiesen [Anmerk. d. Red.: Gemeint ist die Woche vom 16. Januar.]. Da muss man auch die Erwartungshaltung ein Stückchen sortieren, weil das, was an Verwerfungen stattgefunden hat, das ist eine Sache, die im Haus geklärt werden muss. Was ich tun kann, um das zu unterstützen, das will ich gern tun, aber in die Hand nehmen und anpacken müssen es die Beteiligten selbst.

Enrico Lübbe sitzt auf der Lehne eines Zuschauerstuhls vor einer Bühne
Der 1975 in Schwerin geborene Enrico Lübbe ist seit der Spielzeit 2013/14 Intendant des Schauspiels Leipzig. Bildrechte: Rolf Arnold

Auf die Frage, was jetzt ein Worst-Case-Szenario für das Schauspiel künftig sein könnte, antwortet Claudia Bauer im MDR KULTUR-Interview, das wäre ein Hausfrieden im Sinne von Schweigen: Wenn alle in ein "verkehrsberuhigtes Schweigen" verfallen würden. Halten Sie so etwas für möglich?

Ich hoffe nicht, dass das in Schweigen mündet, sondern in einer produktiven Atmosphäre, wo dann auch fortgesetzt großartige Dinge entstehen. Dafür ist dieses Theater da. Und am Ende ist die Aufgabe, mit dem Publikum in einen Dialog zu kommen und über diese Gesellschaft nachzudenken und wichtige Dinge zu verhandeln. Das ist das, worum es eigentlich geht. Das dürfen wir nicht vergessen.

Das Thema Machtmissbrauch am Theater ploppt immer wieder auf: in Düsseldorf, Naumburg, Leipzig. Das ist die eine Seite. Die andere ist der Deutsche Bühnenverein, der sich 2021 einen wertebasierten Verhaltenskodex gegeben hat. Da geht es darum, Diskriminierung auszuschließen und auch um einen wertschätzenden Umgang miteinander. Dort heißt es, ein positives Arbeitsklima setze kontinuierliche und stetige Mitwirkung aller Mitarbeitenden voraus. Nur so seien Verbesserungen möglich. Was kann man tun, um ein positives Arbeitsklima durch Mitwirkung am Schauspiel Leipzig zu befördern? Auch allgemein gesprochen, denn Sie sind seit 2019 auch Vorsitzende des Kulturausschusses des Deutschen Städtetages und haben damit die Theater bundesweit im Blick. Wo stehen wir auf diesem Weg?

Das ist ein sehr weites Feld und wahrscheinlich reicht die Zeit jetzt nicht, das hier ausführlich und auch in der angemessenen Komplexität zu verhandeln. Aber die Organisationsform deutschsprachiger Theater bedeutet in den allermeisten Fällen immer noch, dass eine Intendanz ganz oben steht und dass wir es mit einem asymmetrischen Machtgefüge zu tun haben. Es gibt die Intendanz, die Leitung, die über die Nichtverlängerung oder Verlängerung von künstlerischen Verträgen befindet und damit natürlich auch immer Lebensbiografien gestaltet – positiv wie negativ.

Die Kehrseite davon ist, dass mit dieser Macht letztlich auch eine große Verantwortung verbunden ist. Und ich glaube, dass in künstlerischen Zusammenhängen die Freiheit bestehen muss, dass man auch sagt, man arbeitet vielleicht nicht mehr miteinander oder in einer anderen Art und Weise zusammen: produktionsbezogener oder eben auch gar nicht. Auch das kommt vor, weil künstlerische Zusammenarbeit eben auch bedeutet, dass man gerne miteinander arbeitet.

Diese Arbeit setzt ja ein riesengroßes Vertrauen voraus; dass sich Schauspielerinnen und Schauspieler in einer Probensituation und in den Inszenierungen öffnen und letztlich auch immer irgendwie das Innerste nach außen kehren. Und das geht nicht in allen Konstellationen. Es geht vor allen Dingen dann nicht, wenn man sich nicht vertraut. Und dieses Vertrauen herzustellen, ist dann eben auch die Kehrseite der Macht. Das ist eben auch die Verantwortung, die eine Intendanz hat. Und insofern stehe ich hundertprozentig zu diesem Kodex …

… dass ein positives Arbeitsklima also Mitwirkung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voraussetzt …

… wenngleich Mitwirkung eben auch nicht heißt, dass an allen Entscheidungen mitgewirkt werden kann. Mitwirkung heißt auch, dass sich alle verantwortlich fühlen für dieses Klima. Und man könnte jetzt die Situation am Schauspielhaus Leipzig auch so interpretieren, dass man sagt: Diese Mitwirkungspflicht haben die Schauspielerinnen und Schauspieler oder die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer etwas weitschweifigen und leidenschaftlichen Art wahrgenommen.

Und diese Betrachtung der Situation macht vielleicht auch den Ausweg deutlich, dass man sich wirklich zusammenrauft und feststellt: Mensch, wir haben hier ein großartiges Haus; wir haben auch eine Stadt, die ihr Theater liebt; wir haben auch gerade kein Publikumsproblem, sondern sehen, dass die Menschen gerne in unsere Inszenierungen kommen. Bessere Rahmenbedingungen kann man gerade nicht haben. Jetzt lass uns doch zusammenfinden und dieses Vertrauen wiederherstellen! Das mag ein bisschen Zeit brauchen – die soll auch gegeben sein – aber das setzt Offenheit und auch eine gewisse Fehlerkultur voraus.

Das Interview mit Skadi Jennicke hat MDR KULTUR-Theaterredakteur Stefan Petraschewsky am Freitag, 13. Januar 2023 geführt.
Redaktionelle Bearbeitung: op

Zum Konflikt am Schauspiel Leipzig

Kultur

Streit am Schauspiel Leipzig
Porträtgalerie im Treppenhaus: Die Fotos von Julia Preuß und Katharina Schmidt wurden ausgekreuzt. Der Rest des Ensembles scheint zum Schweigen verurteilt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 16. Januar 2023 | 06:30 Uhr

Mehr MDR KULTUR