Interview TdJW Leipzig gibt Schillers "Die Räuber" eine weibliche Perspektive

Wencke Wollny ist bekannt als Frontfrau der Band Karl die Große. Jetzt hat sie die Musik für die neue Inszenierung von Schillers "Die Räuber" am Theater der Jungen Welt (TdJW) in Leipzig geschrieben. Dabei covert sie auch Billie Eilish und Felix Kummer. Warum, verrät sie im Interview mit MDR KULTUR. Außerdem erzählt Regisseurin Carmen Schwarz, warum sie eine zusätzliche Figur erfunden hat.

Porträt einer jungen Frau mit kurzen blonden Haaren: Wencke Wollny
Wencke Wollny ist Frontfrau der Band Karl die Große und steuert die Musik zur neuen Inszenierung von "Die Räuber" am TdJW Leipzig bei. Bildrechte: Marco Sensche

MDR KULTUR: Carmen Schwarz – auf der Webseite des Theaters steht, was Sie besonders interessiert in ihrer Arbeit als Regisseurin: Zusammenleben, Utopiefähigkeit, Toleranz. Wo empfinden Sie das in ihrer Regiearbeit zur aktuellen Inszenierung von Schillers "Die Räuber"?

Carmen Schwarz: Was ich an den Räubern und an dem jungen Schiller spannend finde: Er war ja selber, glaube ich, 27 Jahre alt als er das Stück geschrieben hat – und hat da so einen Hammer-Brocken rausgehauen und hatte ganz viel Energie und Wut da auch drin. Das spürt man auch an den Figuren. Das sind junge Charaktere, die einen Platz in der Welt suchen. Das finde ich total spannend daran. Und ich denke aber trotzdem, dass wir heutzutage, 2022, Utopie schon ein bisschen weiter denken können. Da komme ich dann auch an ein paar Grenzen mit dem Stoff oder vermisse einige Sachen. Weshalb wir den noch mal aufgebrochen haben und auch noch mal eine neue Figur reingeschrieben haben.

Wer ist dieser neue Charakter?

Carmen Schwarz: Das ist Emilie Moor, die Schwester der beiden Brüder Karl und Franz. Die existiert bei Schiller nicht, bei uns allerdings schon. Weil wir einfach vermisst haben, dass auch eine weibliche Perspektive auf diese ganze doch sehr von patriarchalen Machtstrukturen geprägten Welt hineinkommt – und noch einmal die Möglichkeit hat, das mit einem etwas anderen Blick zu betrachten und auch zu hinterfragen.

Schiller thematisiert hier die Rivalität zweier Brüder, es geht um das Verhältnis des Vaters zu den beiden. Und da gibt es keine weibliche Perspektive. Jetzt sagen Sie, Sie bringen einen weiblichen Charakter da mit rein. Ging das so einfach, was haben Sie verändert?

Carmen Schwarz: Eine Frauenfigur gibt es in diesem Stück: Aber Amalia taucht nur als Objekt der Begierde der Männer auf, was wir einfach ein bisschen dünn fanden oder heute nicht mehr so erzählenswert. Und was Emilie schafft: Sie bewegt sich auch in dieser, vor allem vom Vater sehr geprägten, Welt. Emilie lernt aber dann auch, sie zu hinterfragen beziehungsweise stolpert immer mehr darüber, warum auch ihre Brüder so handeln und so agieren, weil die Brüder scheinbar keinen Ausweg mehr sehen. Und das endet alles in Tod und Verderben wortwörtlich. Ich finde aber, das kann man auch hinterfragen: Warum ist denn das alles so ausweglos? Und gäbe es nicht andere Möglichkeiten, damit auch anders umzugehen? Das ist dann der, wenn man so will, radikale Ansatz, den Emilie weiter verfolgt.

Jetzt ist das Stück vor 240 Jahren in Mannheim uraufgeführt worden, ein Stück des Sturm und Drangs – wie wichtig ist bei dem Stück ein Gegenwartsbezug für Sie? Oder ist er immer da, wenn Sie so eine Arbeit interpretieren?

Carmen Schwarz: Ich finde das zu jedem Zeitpunkt wichtig. Ich muss ja wissen, was in diesem Stück heute noch ist, um es überhaupt heute erzählen zu wollen. Und ich finde es auch total heutig in dieser Suche der jungen Menschen, ihren Platz in der Welt zu finden, zu behaupten.

Wencke Wollny, wie sind Sie hier an die Arbeit gegangen? Gab es Musik zum Dramatext? Oder haben Sie einfach an die Räume des Stückes gedacht, vielleicht an Emotionen oder gar Landschaften?

Wencke Wollny: Ich bin im Sommer umgezogen und musste sehr viel Auto fahren. Da habe ich zweimal das Hörbuch gehört. Und ich gucke immer zuerst, mit wem kann ich mich jetzt überhaupt identifizieren? Da war lange niemand, weil da irgendwie so viele Männer alle mit sich selber beschäftigt sind und sich am Ende alle umbringen. Und der größte Empathiemoment im ersten Augenblick war für mich mit der Amalia, wenn es dann wirklich übergriffig wird, dass man sie so große-Schwester-mäßig verteidigen möchte. Und dann habe ich das Stück gelesen. Ich gucke dann, welche Zeilen und Bilder mir gefallen. Und ziehe mir hier und da ein paar Wörter und Sätze raus und versuche, daraus etwas Neues zu formen, was mich dann auch im Heute anspricht.

Das hört sich danach an, dass Sie sich das Stück für Stück erarbeitet haben oder haben Sie nach einem großen Konzept, nach einem Überbau, gesucht für Ihre musikalische Arbeit an "Die Räuber"?

Wencke Wollny: Der Überbau war erstmal, dass sich Carmen [Regisseurin; Anm. d. Red.] Lieder von Karl die Große ausgesucht hat, die in Frage kämen.

Carmen Schwarz: Und dann haben wir festgestellt, dass es wirklich einige Lieder gibt, die einfach "wie Arsch auf Eimer", wenn ich das so sagen darf, zu Situationen, zu Szenen beziehungsweise zu einigen Figuren und ihren Konflikten passen. Und wozu weitersuchen, wenn man es schon hat?

Wencke Wollny: Ja, genau. Das hat es mir an manchen Stellen erleichtert. Und dann gab es Stellen, wo wir dachten, hier braucht es jetzt einfach Musik. Und wie gehen wir da ran? Wir sind zum Beispiel nicht auf dem Weg gewesen, dass wir Motive erarbeitet haben, sondern es gibt eher Stimmungen. Es gibt auch kleine Überleitungen, aber hauptsächlich gibt es erst mal Songs, die durchs Stück führen.

Und wir covern auch Stücke. Das war mir total klar, auch bei der letzten Theaterarbeit. Es gibt einfach schon Bands und Musiker*innen, die das auch schon mal gesagt haben. Und für mich war ein ganz spannender Punkt: Für mich hätte das ganze Stück ausschließlich mit Billie Eilish-Songs funktioniert. Wir haben uns jetzt auf zwei beschränkt. Es gibt einmal "Your Power" und "Happier than ever" im Stück. Es gibt auch ein Lied von dem Chemnitzer Künstler Felix Kummer. Das war diesmal nochmal einen Schritt weiter in der Arbeit: Jugendliche, die sich das Stück anschauen - was interessiert die vielleicht gerade auch oder was ist deren Erlebenswelt in der Musik.

Mehr Informationen und Termine:

"Die Räuber" von Friedrich Schiller
Theater der Jungen Welt (TdJW) Leipzig
Spielfassung von Carmen Schwarz
ab 14 Jahren

Besetzung:
Regie: Carmen Schwarz
Komposition: Wencke Wollny
Ausstattung: Rosanna König
Puppenbau: Rebekah Wild
Dramaturgie: Jörn Kalbitz
Schauspieler*innen: Luise Audersch, Clara Fritsche, Sonia Abril Romero, Tobias Amoriello, Martin Klemm, Philipp Zemmrich, Anke Stoppa, Wencke Wollny

Adresse:
Theater der Jungen Welt (TdJW)
Großer Saal
Lindenauer Markt 21
04177 Leipzig

Termine:
4. Februar, 19.30 Uhr
6. Februar, 11 Uhr
7. Februar, 19.30 Uhr
8. Februar, 11 Uhr
30. März, 19.30 Uhr
31. März, 11 Uhr

Interview: Johannes Paetzold
Redaktionelle Bearbeitung: Hendrik Kirchhof, Sabrina Gierig
Für die Schriftfassung wurde das Interview bearbeitet und gekürzt.

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 17. September 2022 | 15:15 Uhr

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