Vorbericht "Sex und Kartoffeln" am Theater Magdeburg – eine Performance für die Befreiung der Lust
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Sex muss kein Tabu sein – das beweist ein neues Stück am Theater Magdeburg. Dafür wurden über 100 Menschen anonym zum Thema Essen und Sex befragt. Die vielen unterschiedlichen Antworten enthüllt ab dem 31. März die Performance "Sex und Kartoffeln", bei der sich die Bühne in ein Kochstudio verwandelt. Im Debüt der Regisseurin Anna Kirstine Linke geht es nicht um pornografische Geschichten, sondern um verschiedene Perspektive auf Sexualität und vor allem: die Befreiung der Lust.

Was haben Kartoffeln mit Sex zu tun? Diese Frage werden sich wohl alle stellen, die von dem neuen Theaterstück am Schauspielhaus Magdeburg hören. Clever könnte man meinen, denn damit ist zumindest die Neugier geweckt. Wobei es hier nicht um süffisante oder gar pornografische Geschichten geht, sondern die Regisseurin Anna Linke interessiert die Verknüpfung von Sex und Essen. Die Kartoffel begreift sie dabei als sinnliches Material, das Essen als sinnlichen Vorgang, und das ist die Parallele zum Sex.
Was Sex und Kartoffeln gemeinsam haben
Die Kartoffel galt in Europa lange Zeit als Frucht des Teufels. "Sie war etwas, was erst nicht gegessen wurde, weil sie unter der Erde wächst", erklärt Linke. Denn das, was unter der Erde wächst, sei böse und giftig. "Diese Geschichte von dem Verpöntsein in Europa oder Verstecktwerden, die parallel zu legen mit der Art, wie wir in Europa umgehen mit unserem Sexleben und mit unseren Sexualitäten, finde ich hochspannend", so die Regisseurin.
Sex als Tabu – nicht am Theater Magdeburg
Sex als Tabuthema spielt da natürlich eine große Rolle, sagt die 30-Jährige, die mit dieser Stückentwicklung auch ein bisschen ihre eigene Biografie hinterfragt. Dem Tabu hat sie schon formal etwas entgegengesetzt, denn sie hat einen Fragebogen entwickelt, den sie im Theater ausgelegt hat.
Und der ist nicht ohne: Wo und wann hattest du dein erstes Mal? Wie hast du Sex am liebsten? Oder mit Blick auf das Gemüse: Welche Bewegungen verbindest du mit Kartoffeln? Die Antworten sind nun Grundlage der Inszenierung.
"An diesem Abend werden einige Geschichten der hundert Leute erzählt, die uns ihre 'Sex und Kartoffeln'-Geschichten geschickt haben und auch ihre Wünsche für die Bühne realisiert", so Linke.
Eine Person hat sich gewünscht, dass wir zu 'Kiss' von Prince auf der Bühne Kartoffeln schälen – und das passiert dann auch.
Magdeburger Bühne als Kochstudio
So wird auf der Bühne, die ein bisschen aussieht wie ein Kochstudio, tatsächlich geschält, geschnitten und gewürzt, wobei die Kartoffel auch figürlich auf die Bühne kommt. Denn irgendwie sei sie auch ganz menschlich, sagt Linke. "Sie hat Augen, sie schrumpelt, sie schwitzt."
Der Regisseurin sei es wichtig gewesen, Parallelen zu setzen: "Wie wurde die Kartoffel kultiviert und wie kultivieren wir unser Miteinander? Das ist Teil dieses Abends. Die Kartoffel wird figürlich in der Inszenierung: Sie tritt auf, sie bekommt eine Stimme oder ihren Auftritt, allerdings eher als Folie oder als symbolische Welt für ein Miteinander von Menschen", erklärt Linke.
Die Kartoffel übernimmt wichtige Rolle im Stück
Offensichtlich, so hat es bereits eine öffentliche Probe gezeigt, bekommt die Kartoffel auch eine weitere Rolle. "Was ich eine interessante Stimme fand, war, die Kartoffel ermöglicht es, noch einmal anders über Sex zu sprechen - dadurch, dass sie auf der Bühne ist", erzählt Linke. Und fasst zusammen: "Es ist leichter, über Sex zu sprechen, wenn die Kartoffel auch mit dabei ist".
Auch sexuelle Gewalt ist Thema der Inszenierung
So skurril, wie sich das ganze Setting dieser Inszenierung zeigt, will man das gerne glauben. Was dann vielleicht auch einen noch ehrlicheren Blick auf das vielschichtige Thema werfen lässt. Denn das hat nicht nur mit Witz und Wünschen zu tun, sondern auch mit Abgründen, wenn es um sexuelle Gewalt geht. Deshalb war der Regisseurin auch die Vielstimmigkeit wichtig, und sie war froh, dass der Fragebogen von verschiedenen Generationen ausgefüllt wurde.
Diese verschiedenen Perspektiven aufs Thema, was Sex alles sein kann, nebeneinander zu stellen und stehen zu lassen, das ist ein großes Ziel dieses Abends.
Die Antworten gingen in sehr unterschiedliche Richtungen, was Sex eigentlich sein kann: "Von der Suche nach Nähe, Sex mit Fremden, der einfach antörnend sein kann, Experimentierfeld. Viele Personen wollen sexuell ganz viel entdecken, haben wir rausgefunden. Für viele ist es aber auch ein Rückzugsort. Für viele Personen ist Sex gar kein Ort, weil sie asexuell sind. Diese verschiedenen Perspektiven aufs Thema, was Sex alles sein kann, nebeneinander zu stellen und stehen zu lassen, das ist ein großes Ziel dieses Abends", erklärt die Regisseurin.
Kollektive und persönliche Performance in Magdeburg
In diesen generationenübergreifenden Blickwinkeln liegt für Linke denn auch die Stärke dieser performativen Arbeitsweise, denn sie versteht Theater vor allem als Begegnungsraum. Da kocht nicht jeder sein eigenes Süppchen, sondern die Rezeptur wurde geteilt und am Ende dürfen die Zuschauer, die auf der Bühne zubereitete Kartoffelsuppe probieren. Die Regisseurin formuliert es so: "Das Publikum wird auf jeden Fall am Ende ein feuriges Pamphlet für die Befreiung der Lust erwarten".
Angaben zum Stück
"Sex und Kartoffeln"
Performance von Anna Kirstine Linke und Ensemble
Uraufführung | ab 16 Jahren
Kammer 2 im Schauspielhaus Magdeburg
Otto-von-Guericke-Str. 64, 39104 Magdeburg
Aufführungen:
31. März, 19:30 Uhr (Premiere)
9. April, 19:30 Uhr
14. April, 19:30 Uhr
23. April, 19:30 Uhr
12. Mai, 19:30 Uhr
14. Mai, 19:30 Uhr
17. Mai, 19:30 Uhr
28. Mai, 19:30 Uhr
Redaktionelle Bearbeitung: Valentina Prljic
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 31. März 2023 | 07:40 Uhr