Ein Mann im Anzug und ausgebreiteten Armen steht auf einer Bühne, hinter ihm andere Personen
Bereits 1912 hinterfragte Richard Strauss mit "Ariande auf Naxos" den Opernbetrieb. Bildrechte: Andreas Lander

Premierenkritik Eine Oper über die Oper: Richard Strauss' "Ariadne auf Naxos" in Magdeburg

05. März 2023, 15:30 Uhr

Die Oper "Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss lässt einen antiken Stoff vermuten, doch geht es eigentlich um die Oper an sich. Wie weit darf sie sich dem Kommerz unterordnen? Die Oper Magdeburg zeigt, dass dieses Thema auch über hundert Jahre nach der Uraufführung 1912 mehr als aktuell ist, mit Referenzen an die kommerzielle Traumfabrik Hollywood, an Marilyn Monroe oder Charlie Chaplin.

Passen hoher Kunstanspruch und kommerzielles Unterhaltungsbedürfnis zusammen? Der Komponist im Vorspiel von Richard Strauss' Oper "Ariadne auf Naxos" ist verzweifelt, da sein Werk nicht in seinem Sinne aufgeführt werden soll, nicht nur gekürzt, sondern auch mit derben Darbietungen einer Komödiantentruppe unterbrochen. So will es der Auftraggeber, ein neureicher Wiener Bürger, der "reichste Mann von Wien", wie es in Hugo von Hofmannsthals Libretto heißt. Die Künstler fügen sich.

Oper von Richard Strauss

In der Regel wird diese Fassung von Strauss' "Oper in einem Akt nebst einem Vorspiel" gespielt. Uraufgeführt 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, thematisiert sie Grundsätzliches, den Sinn von Oper und Opernbetrieb, den Gegensatz von Kommerz und Kunst.

Spielszene - Ariadne auf Naxos 6 min
Bildrechte: Andreas Lander

Mit den Klagen Ariadnes und ihrem Tod, dem "Lamento d'Arianna" beginnt - neben Orpheus Klagen - ja auch die Gattung Oper. Ariadne war von ihrem Geliebten Theseus allein auf der "wüsten" Insel Naxos zurückgelassen worden und stirbt. Doch es erscheint ihr Gott Bacchus und erhebt sie in den Olymp. In Richard Strauss' Oper versucht Ariadne eine Commedia dell´Arte Gruppe zu erheitern - das verlangt nämlich der reiche Mann, der Ernstes mit Komischem verbunden wissen möchte.

Monroe, Chaplin und die Marx Brothers

In der Inszenierung des englischen Regisseurs James Bonas wird aber nicht der antike Mythos in griechischen-antiken Kostümen vorgeführt, sondern eine Kinowelt. Ariadne ist eine einst berühmte Diva der 1960er-Jahre, ein gefallener Stern, der nicht auf einer wüsten Insel, sondern in einem Hotelbett stirbt: unverkennbar in der Maske von Marilyn Monroe.

Die Nymphen auf der Insel sind Putzfrauen im Hotel oder Krankenschwestern und die Komiker, die den Star aufzuheitern versuchen, Kinofiguren der Zwanziger Jahre: Zerbinetta ist Charlie Chaplin; Harlekin, Truffaldino, Scaramuccio und Brighella sind die Marx Brothers.

Theaterbetriebsamkeit vor Vorstellungsbeginn

Das Vorspiel spielt jedoch in der Gegenwart, vor dem Eisernen Vorhang. Nicht über den Bühneneingang, sondern vom Zuschauerraum aus trudeln die Theaterleute hier ein, auf dem Weg zur Garderobe oder ihren Arbeitsräumen: Feuerwehrmann, Tanzmeister, Perückenmacher usw.

Der Haushofmeister, der die Vorgaben des reichen Mannes, gnadenlos exekutiert, gibt seine Anweisungen bisweilen über Lautsprecher: In Magdeburg ist dieser Haushofmeister (Susi Wirth) also eine Art Intendantin, eine Frau, kein Intendant wie in der Vorlage. Mit großer realistischer Spielfreude wird der Theaterbetrieb und die Hektik hinter der Bühne zwei Stunden vor der Abendvorstellung vorgeführt.

Spielszene, drei Krankenschwestern stehen auf einem Bett
Der britische Regisseur James Bonas gibt mit dieser Magdeburger Inszenierung sein Deutschlanddebüt Bildrechte: Andreas Lander

Sterbezimmer plötzlich im All

In der eigentlichen Oper selbst wird die realistische Szenerie des Sterbezimmers Ariadnes dezent durch Videoeinspielungen relativiert. Hinter den Vorhängen des Hotelzimmers schäumen Meereswellen, glitzern Sterne, ziehen Wolken vorbei. Sie untermalen die psychischen Zustände, Ängste und Träume. Wenn die Einrichtung des Hotelzimmers allmählich abgebaut wird, findet man sich in einem leeren, abstrakten Raum – im All.

Satire und zarte Melancholie

Trotz aller komödiantischer Figuren ist Strauss' Musik von oft berührender, ja geradezu zarter Melancholie. Die die Magdeburger Philharmonie unter Svetoslav Borisov, etwa im Vorspiel zur Oper, beeindruckend zu musizieren versteht.

Spielszene, zwei Personen hpcken auf der Bühne
Die anglo-französische Mezzosopranistin Emilie Renard (l.) spielt den Komponisten Bildrechte: Andreas Lander

Wenn auch drei Gäste zusätzlich verpflichtet werden mussten: "Ariadne auf Naxos" benötigt ein großes Ensemble, insbesondere Emilie Renard sticht daraus in der Hosenrolle des Komponisten hervor. Für die Ariadne musste innerhalb von vier Tagen Soojin Moon-Sebastian einspringen und meisterte das in Marilyn-Monroe-Pose sehr gut. Nicht erkannt und dann doch vereinigt als Tod mit Bacchus ist Arnold Bezuyen in Anzug und Krawatte. Höhepunkt ist immer die Arie der Zerbinetta, hier ein weiblicher Charlie Chaplin mit Chaplin-Hut. Die Koloraturen wollen darin kein Ende nehmen und Lisa Mostin bekam sogar zwischendrin Szenenapplaus.

Spielszene, eine Frau umringt von Männern, alle haben ähnliche Kleidung im Stil von Charlie Chaplin
Lisa Mostin als Zerbinetta im Chaplin-Look Bildrechte: Andreas Lander

Kann es so weitergehen mit der Oper? Lassen sich die Beschränkungen der Kunst in Kauf nehmen? Die Aufführung in Magdeburg setzt keine Fragezeichen. Sie führt – indem sie aus den antiken Mythen Kinomythen macht – routinierte Betriebsamkeit und ein kulinarisches Opernvergnügen vor, in dem sich Todesritual und Komik verbinden.

Redaktionelle Bearbeitung: op

Die Aufführung "Ariadne auf Naxos"
Oper von Richard Strauss

Musikalische Leitung: Svetoslav Borisov
Regie: James Bonas
Bühne, Kostüme: Thibault Vancraenenbroeck
Video: Anouar Brissel

Ab 14 Jahre

Theater Magdeburg | Oper
Universitätsplatz 9, 39104 Magdeburg

Premiere: 4. März 2023

Vorstellungen
11.3. 2023, 19:30 Uhr |Opernhaus Bühne
19.3.2023, 16:00 Uhr |Opernhaus Bühne
2. 4.2023, 16:00 Uhr |Opernhaus Bühne
8.4.2023, 19:30 Uhr |Opernhaus Bühne
23.4.2023, 16:00 Uhr |Opernhaus Bühne
23.4.2023, 18:00 Uhr |Opernhaus Bühne

Einführung jeweils eine halbe Stunde vor Konzertbeginn.

Bühne in Magdeburg

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 05. März 2023 | 09:40 Uhr