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Die Oper Leipzig versetzt Mozarts "Don Giovanni" gelungen in die Gegenwart und bleibt dabei dem Original treu. Bildrechte: Tom Schulze

KritikMozarts "Don Giovanni" an der Oper Leipzig: Ein Gesamtkunstwerk

von Stefan Petraschewsky, MDR KULTUR-Theaterredakteur

Stand: 08. Februar 2023, 04:00 Uhr

Die Oper Leipzig leistet sich einen humorvollen Kommentar zur Wohnungsnot, und verdammt mit Mozarts "Don Giovanni" die Vermieter in die Hölle. Dabei jongliert Regisseurin Katharina Thoma mit Original und Interpretation, wie es besser nicht geht, lobt unser Kritiker. Ein Bühnenbild à la Quentin Tarantino, perfekte Kostüme und die gelungene Ensembleleistung erwecken am Ende gar den Eindruck, Mozart hätte an der Leipziger Inszenierung mitgeschrieben.

Don Giovanni ist der Vermieter. Er wohnt ganz oben, nah am Licht. Um hier aber der Nacht zu huldigen, wälzt er sich aus seiner samtschwarz ausstaffierten Liebeshöhle ins Wohnzimmer, in dem nur ein Sessel vor Sideboard mit Hi-Fi-Anlage und Bar steht. Er legt eine Platte auf und unten im Orchester startet die Ouvertüre: Prost! Schnell noch Hemd und Smoking an, Dobermann-Maske über.

Mozarts Oper in Leipzig: komisch und dämonisch

Während sich die namenlose Frau aus der Höhle davonschleicht, hat Giovanni-Dobermann schon wieder Appetit und Fährte aufgenommen: Donna Anna unter der Dusche. Wo sie dann auch gestellt wird, wie vermutlich vor ihr schon 90 Mieterinnen aus Persien, 100 aus Deutschland, 640 aus Italien und 1.003 aus Spanien. Wie viele trugen Mietschulden quasi in Naturalien ab?

Don Giovanni wird in Leipzig zum skrupellosen Vermieter, der die Wohnungsnot schamlos ausnutzt. Bildrechte: Tom Schulze

Leporello, der für diese Dates Pizza liefert, führt genau Buch, verrät es aber nicht. Und weil die Sache so gut läuft, muss Giovanni auch nicht renovieren, obwohl das dringend nötig wäre: die Elektrik fällt gelegentlich aus, Wasserflecken an der Decke erzählen von Rohrbrüchen oder übergelaufenen Wannen. Aber solange Wohnungsnot in der Sevilla herrscht, zieht auch Zerlina, Studentin vom Land, noch ins ehemalige Außen-WC auf halber Treppe ein und sich für Giovanni aus.

"Don Giovanni" ist in Leipzig ein skrupelloser Vermieter

Im Finale vor der Pause kommen andere Dober-Männer zur Party bei Giovanni. Auch sie Vermieter, Anwälte, Neureiche, auch sie machen wohl hauptberuflich oder nebenbei etwas mit Immobilien, machen damit Jagd auf leichte Beute – Donna Anna, ebenfalls eingeladen, macht gute Miene. Sie, eben noch von einem "Unbekannten" vergewaltigt, wohnt bei Giovanni im Erdgeschoss, mit dem Vater und demnächst wohl auch mit ihrem Verlobten Don Ottavio.

Die drei sind hier von Anfang an die Verlierer. Alter Adel, der sich gerade noch so die Innenstadt, aber eben nur noch im fußkalten Erdgeschoss leisten kann. Die Masken, die sie zur Party tragen, sagen viel: Ottavio kommt als Erdhörnchen, Anna als schöner Pfau mit gestutzten Federn – nur Donna Elvira, die Ex-Geliebte, die sich in der Gästewohnung eingemietet hat, zeigt als Leopardin Krallen und wirkte den Dober-Männern gegenüber wohl gleichwertig, wenn wir nicht annehmen müssten, dass sie für ihr Zimmer auch zahlt, um durch räumliche Nähe wieder attraktiv zu sein, welche Demütigung!

Die Oper Leipzig setzt "Don Giovanni" mit perfekten Kostümen und kongenialem Bühnenbild um. Bildrechte: Tom Schulze

Perfekte Kostüme und Bühnenbild à la Quentin Tarantino

Neben den perfekten Kostümen von Irina Bartels ist die Bühne von Étienne Pluss als riesiges Puppenhaus detailverliebt und kongenial: Wo Sängerinnen und Sänger normalerweise abgehen, und der Zuschauer sich die Handlung im Off weiterdenken muss, wird sie hier im angrenzenden Zimmer weitergespielt, greift später in die Haupthandlung auf den Punkt wieder ein.

Man könnte denken, Mozart hätte hier an der Inszenierung mitgeschrieben [...]. Regisseurin Katharina Thoma jongliert mit Original und Interpretation, wie es besser nicht geht.

Stefan Petraschewsky

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Man könnte denken, Mozart hätte hier an der Inszenierung mitgeschrieben, die in ihrer Ästhetik an Wes Anderson oder Quentin Tarantino erinnert, wie Humor und eindeutige Bilder hier ohne Scheu ins Spiel gebracht werden. Regisseurin Katharina Thoma jongliert mit Original und Interpretation, wie es besser nicht geht.

An der Oper Leipzig wird "Don Giovanni" originaltreu und modern zugleich interpretiert. Bildrechte: Tom Schulze

"Don Giovanni" in Leipzig ein gelungenes Gesamtkunstwert

Die Musik dazu klingt immer flüssig, strebt vorwärts, muss sich nicht behaupten, sondern begleitet die Szene souverän, bleibt unaufgeregt, auch wenn es an ein paar Stellen musikalisch klappert. Jonathan Darlington stellt sein Dirigat angenehm uneitel in den Dienst eines Gesamtkunstwerkes, ebenso Chor, Orchester, Sängerinnen und Sänger. Alle Akteure zeigen in jedem Moment eine stimmige Figur, entwickeln aus ihr einen Ton, der die Rolle auch musikalisch weiterdenkt: eine gelungene Ensembleleistung!

Am Ende, wenn der Vermieter, der ganz oben wohnt, im Keller einquartiert ist, was für ihn die Hölle bedeutet, ist es auch ein Appell für mehr sozialen Wohnungsbau – zu diesem Zwecke wird in den letzten Takten noch ein richtiger Teufel an die Wand gemalt: die luxussanierte Eigentumswohnung.

Weitere Informationen

Oper "Don Giovanni" von Wolfgang Amadeus Mozart
Dramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Lorenzo Da Ponte
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Leitung:
Musikalische Leitung: Jonathan Darlington / Matthias Foremny
Regie: Katharina Thoma
Bühne: Étienne Pluss
Kostüme: Irina Bartels
Licht: Susanne Reinhardt
Dramaturgie: Anna Diepold
Choreinstudierung: Alexander Stessin
Inspizienz: Mirjam Wolf
Hammerklavie:r Nathan Raskin / Christian Hornef
Chor der Oper Leipzig
Komparserie der Oper Leipzig
Gewandhausorchester

Besetzung:
Don Giovanni: Jonathan Michie / Tuomas Pursio
Il commendatore: Sebastian Pilgrim
Donna Anna: Olga Jelínková / Anna Princeva
Don Ottavio: Josh Lovell / Joshua Whitener
Donna Elvira: Kathrin Göring / Barbara Senator
Leporello: Sejong Chang / Randall Jakobsh
Masetto: Peter Dolinšek
Zerlina: Samantha Gaul

Oper Leipzig
Augustusplatz 12
04109 Leipzig


Weitere Termine:
08. Februar, 19:30 Uhr
26. Februar, 17 Uhr
05. März, 17 Uhr
26. März, 17 Uhr

Redaktionelle Bearbeitung: Valentina Prljic

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 08. Februar 2023 | 13:10 Uhr