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Szene aus "Mädchen in Not" am Puppentheater Magdeburg Bildrechte: Bayerischer Rundfunk

"Mädchen in Not"Magdeburg: Puppentheater hinterfragt das Bild von Frauen als Objekten

von Wolfgang Schilling, MDR KULTUR

Stand: 05. November 2022, 13:18 Uhr

"Mädchen in Not" als Titel einer Puppentheater-Produktion? Das klingt nach einem Ratgeberstück oder Hilfsangebot für Kinder und Jugendliche. Doch das täuscht, die Magdeburger Inszenierung ist explizit an Menschen ab 18 adressiert und sogar mit einer Triggerwarnung wegen der Thematisierung von Gewalt versehen. Worum geht es in dem Stück, dass von der 1978 in Essen geborenen Autorin Anne Lepper stammt?

Uraufgeführt wurde es schon 2016 am Nationaltheater in Mannheim und ein Jahr später mit dem renommierten "Mühlheimer Dramatiker"-Preis ausgezeichnet. Eigentlich als Schauspieltext – aber schon bei der Uraufführung wurden die Darsteller in menschliche Marionetten verwandelt. Später diente der Text dann in Koblenz zur Vorlage für eine Puppentheater-Inszenierung, die jetzt, vom fast identischen Team, noch einmal in Magdeburg auf die Bühne kommt.

Eine Frau widersetzt sich ihrer zugewiesenen Rolle

Im Zentrum steht Baby. Eine junge Frau, die sich nicht länger mit der ihr von Natur oder gesellschaftlichem Konsens verordneten Rolle abfinden will. Sie ist mit einem männlichen Lebenspartner liiert. Ein Häuschen samt Kinderwunsch sind mit im Spiel, wie auch ein zweiter Mann für die alternativen sexuellen Momente. Doch all dem ist Baby überdrüssig. Und jetzt wird es interessant. Duran-Duran kommt ins Spiel: der beste Puppenbauer der Stadt. Von dem will sich Baby eine solche bauen lassen. Kuschlig, anpassungs- und gebrauchsfähig soll die Puppe sein, für all ihre Bedürfnisse. Aber: ohne den eigenen, männlichen und sie unterdrückenden Willen.

Die Tyrannei der "Gesellschaft der Freunde des Verbrechens"

Der Weg zu Duran-Duran ist offensichtlich gefährlich. Denn das Leben, besonders das in der Nacht, wird beherrscht von der "Gesellschaft der Freunde des Verbrechens". Das sind keine Waisenknaben, sondern echte Gewalttäter. Die unter dem Motto "Vergewaltigen, Erschießen, Ausweisen" gegen alles vorgehen, was ihnen nicht so recht ins Weltbild passt. Deswegen zittern Baby und vor allem ihre adipös-dicke Freundin Dolly auch schon mal ordentlich. Aber Baby hält nichts ab von ihrem Plan.

Luisa Grüning und Richard Barborka in "Mädchen in Not" am Puppentheater Magdeburg Bildrechte: Viktoria Kühne

Surrealistischer Road-Trip mit viel Musik

Es ist ein Abend für zwei. Luisa Grüning, die das Stück schon in Koblenz gespielt hat, und ihren neuen Magdeburger Partner, Richard Barborka. Sie lässt die Puppen tanzen. Er macht die Musik. Puppenspieler sind sie beide, an der Berliner Ernst-Busch-Hochschule diplomierte und damit auch von allerbester Schauspiel-Qualität. Sie entfalten bei ihrer Reise durch eine surreale Welt eine unglaubliche Spielfreude. Das ist fesselnd und hilft einem als Zuschauer über so manches hinweg, was sich nicht immer gleich erschließen will. Der Abend erzählt viel über unser Leben in all seinen Facetten, möchte dabei aber auch ein bisschen geheimnisvoll bleiben.

Puppenmänner wollen ihre Frauen zurückerobern

Was zum einen an der Textvorlage liegt. Da werden aus besten Freundinnen Rivalinnen im Kampf um die Liebe von kleinen Puppenmännern. In denen, dank der Magie von Duran-Duran, die beiden echten Männer stecken, die in Puppengestalt ihr Baby, ihre Frau zurückerobern wollen. Und wenn sie ganz nah dran sind, bekommen sie einfach ihren kleinen Puppen-Puller abgerissen. Mit dem sie vorher der adipösen Dolly offenbar ein Puppenkind gemacht haben. Dem später ganz nebenbei das Genick gebrochen wird, bevor Baby dann auch der besten Freundin den Garaus macht. Willkommen in der Gesellschaft der Freunde des Verbrechens.

Chucky die Mörderpuppe lässt grüßen

Baby hadert mit ihrer Rolle als Frau: Szene aus "Mädchen in Not" am Puppentheater Magdeburg Bildrechte: Viktoria Kühne

Ein kleines bisschen Horror-Show steckt drin, in dieser Wundertüte. Was vor allem dem zwielichtigen Spiel von Richard Barborka zu danken ist. Der nicht nur als Livemusiker mit Entertainer-Qualität an Klavier und Synthesizer überzeugt, sondern auch auf der Klaviatur seiner schauspielerischen Möglichkeiten zu glänzen vermag. Luisa Grüning ist mit einem ganzen Puppen-Arsenal vom handlichen Format bis zur Lebensgröße gefordert. Der Mensch-Puppen-Seelen-Transfer gelingt ihr dabei immer wieder auf verblüffend schöne Weise. Halten wir fest: Ein Abend, an dem einem vieles um die Ohren fliegt und sich nicht alles entschlüsselt. Dieses Theater birgt ein Restgeheimnis, zum Entschlüsseln auf dem Nachhauseweg. Wer sich auf sowas einlassen kann – auf ins Puppentheater nach Magdeburg. 

Informationen zum Stück"Mädchen in Not" am Puppentheater Magdeburg

Premiere am Samstag, 05.11., 20:00 Uhr: Ausverkauft

Weitere Vorstellungen:
11.11. 20:00 Uhr
12.11. 20:00 Uhr
13.11. 18:00 Uhr
25.11. 20:00 Uhr
27.11. 18:00 Uhr

Regie: Nis Søgaard
Bühne und Kostüm: Nis Søgaard, Doreen Wagner
Puppen: Barbara Weinhold
Musikarrangement: Philipp Plessmann
Musik: Richard Barborka
Dramaturgie: Juliane Wulfgramm, Sofie Neu
Spiel: Luisa Grüning, Richard Barborka

Triggerwarnung:
Bitte beachten Sie: Die Inszenierung "Mädchen in Not" beinhaltet

– Darstellung eines Suizidversuchs
– Darstellung oder Beschreibung körperlicher und sexualisierter Gewalt

(Redaktionelle Bearbeitung: Judith Burger)

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 05. November 2022 | 10:10 Uhr