Kinder- und JugendtheaterThalia Theater in Halle feiert 70. Geburtstag mit Festival
Zum 70. Jubiläum des Kinder- und Jugendtheaters "Thalia" in Halle findet vom 8. bis 16. Oktober ein Kindertheaterfestival statt. Unter dem Motto "Perspektiv*en" sind verschiedene "partizipative, experimentierfreudige und politische Formate" geplant. Dem Jubiläum liegt die Gründung des Theaters der jungen Garde am 11. Oktober 1952 zugrunde. Ein eigenes Haus hat das Thalia-Theater nicht mehr, hauptsächlich führt man auf der Kulturinsel auf. Damals schlüpfte man beim Neuen Thater Halle unter. Das Ziel des Festivals ist, Kindern und Jugendlichen eine Bühne für ihre Themen und Ideen zu bieten. Matthias Brenner, scheidender Intendant vom Neuen Theater Halle, ist dazu im Gespräch mit Julia Hemmerling.
MDR KULTUR: Warum ist es wichtig, dass dieses Festival für Kinder, Jugend und Familie stattfindet?
Matthias Brenner: Für mich ist es wichtig, dass wir die 70 Jahre Thalia Theater jetzt nehmen, um eine wirklich wunderbare Idee umzusetzen, auch wenn sie aus einer vergangenen Ideologie stammen mag, nämlich für Kinder und Jugendliche, ein eigenes Theater aufzubauen, spielen zu erlernen, analog zu erlernen durch Begegnung miteinander: live. Dass das jetzt nicht unter den Hammer fällt. Gerade in der nächsten Zeit, wo wir durch die Inflation müssen. Es ist ein Publikumsfestival zum Mitmachen. Das ist richtig, dass wir jetzt – ich sage es mal schön auf Deutsch – mit aller Freude und Herzblut wunderbarerweise den Arsch aufgerissen haben! Wir freuen uns sehr auf die nächsten acht Tage, was da alles abgehen wird.
MDR KULTUR: Wir schauen einmal in die Geschichte des Kinder- und Jugendtheater. Als sie 2010 Intendant am Neuen Theater wurden, da hatten Sie einen schweren Start, als das Thalia Theater schließlich seine Spielstätte in der Kardinal Albrechtstraße verlor. Wie blicken Sie auf diese Zeit?
Matthias Brenner: Dass man das Theater selbst in die Krise brachte und sagte, ihr müsst euch selbst schließen. Es ist ja nicht so, dass jemand von außen kommt und jagt uns einfach raus. Es war so: Nein, das Geld gibt es nicht mehr, ihr müsst jetzt. Und mein Gedanke damals war: Die sollen nicht irgendwo unterkriechen in verschiedene Spielstättchen und noch ein bisschen was machen, bis sie ganz sterben. Ich habe damals in einer Nacht- und Nebelaktion mit meinem neuen Team gesagt: So, wir gehen jetzt Morgen dahin und sagen: Die kommen jetzt alle zu uns ins Haus. Technische Leute bei uns haben wunderbarerweise wirklich in einer kurzen Zeit Garderoben und eigene Masken gebaut, sodass diese Menschen erst mal in Würde von den Kollegen aufgenommen wurden und ihre eigenen Spielplan-Ideen mit unserer Unterstützung wahrnehmen konnten.
Alles, was sich nicht verändert, auch im Neuen Theater, geht unter. Ich will das nicht als Glücksfall bezeichnen, dass die geschlossen wurden, aber für uns war es ein Glücksfall, dass wir das so entschieden haben. Denn so sind wir zusammengewachsen, ein Mehrgenerationenhaus geworden, und ich möchte unbedingt dafür werben, dass es mehr Mittel für Kinder und Jugendtheater gibt, das wir das Thalia-Theater bitte mitbespielen, das wir die Oper mitbespielen, dass wir das miteinander zu wirklichen Theaterzentren für Kinder und Jugendliche machen. Und natürlich den Erwachsenen-Spielplan anreichern, den sogenannten Abendspielplan. Aber was das Ensemble betrifft, hat das sehr, sehr gut geklappt.
MDR KULTUR: Lassen Sie uns noch einen kleinen Schritt weiter in die Geschichte zurückgehenden, zu einer legendären Ära. Das war das Hotel Neustadt, Annegret Hahn, 2003, ein partizipatives Theater. In Halle-Neustadt wurde ein Block einfach wiederbelebt. Da wurde Theater gemacht, ein Festival gemacht und auch ein Hotel nebenbei betrieben. Was ist von dieser Energie geblieben?
Matthias Brenner: Was Annegret Hahn geleistet hat, das sucht bitte seinesgleichen. Das ist eine großartige Theaterzeit gewesen, ganz streitbar und sicher auch im Sinne des Betriebes: immer ungerecht, und nur über Ungerechtigkeiten reiben wir uns. Das hat diese Frau in einer wunderbaren Weise hier beherrscht, ob das ihr Stadion-Ding war mit dem Fußball damals oder Hotel Neustadt. Bei uns färbt das insofern ab: Kaum waren die da, bei uns haben wir gesagt "neu statt sterben", wir gehen ins Gasometer, das war damals noch keine Sternwarte, und werden dort Theater, Rock, Musik in der Neustadt mit den Neustädtern zusammen betreiben.
Ich sage mal so, wenn ich jetzt noch länger hier wäre, auch bleiben würde, würden wir natürlich ganz viele Aspekte innerhalb Stadt, Gesellschaft und innerhalb der Verortung der Stadt fortsetzen. Ich weiß aber durch meine Nachfolgerinnen, dass die das richtig gut im Plan haben. Ich glaube, die kommen auch beide ein bisschen aus dem Stall, denn die haben damals bei Annegret Hahn Theatermachen gelernt, und das ermutigt mich. Ich glaube, das wird gut gehen. Es muss natürlich in der Gesellschaft unterstützt werden. Und wir sind kein Unterhaltungsbetrieb, wir sind nicht das Oktoberfest. Wir sind ganz schlicht und ergreifend eine Bildungs- und Kunststätte.
MDR KULTUR: Wenn ich Sie so reden höre, kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass Sie hier aufhören nach der nächsten Spielzeit. Aber Sie haben es angesprochen, Sie haben sehr gute Nachfolgerinnen: Mille Maria Daalsgard und Mareike Mikat, was ist da zu erwarten?
Matthias Brenner: Die beiden Damen haben hier ihr Programm noch nicht vorgelegt. Ist doch auch klar, die haben jetzt erstmal beobachtet, geguckt, was hier so gelaufen ist. Aber ich kann nur sagen, allein wie sie ihre Fragen stellen, spüre ich, dass sie mit größtem Respekt der Vergangenheit, diesem Theaters gegenüberstehen. Und ganz ehrlich, ich trenne mich ganz schwer von Halle. Ich werde es auch nicht gleich ganz tun. Ich behalt meine Wohnung hier Und ich möchte mich gern in der Stadt, auch in der Kulturlandschaft weiter engagieren. Auf welche Weise werden wir sehen.
Das Gespräch führte Julia Hemmerling für MDR KULTUR.
Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 08. Oktober 2022 | 17:10 Uhr