Oper"Tannhäuser" – Wer ist das und worum geht's?
Die Bayreuther Festspiele gehören zu den Opernhighlights des Jahres. Eröffnet werden sie in diesem Jahr am 25. Juli – mit Wagners romantischer Oper "Tannhäuser". Das Stück, das unter anderem den Sängerkrieg auf der Wartburg thematisiert, weist einen deutlichen Bezug zu Thüringen auf. Und es geht um die Liebe. Und darüber hinaus? MDR KULTUR-Theaterredakteur Stefan Petraschewsky erklärt es und verrät auch, welche reellen Vorbilder Wagner für seine Oper verwendet hat.
Inhalt des Artikels:
Schon über die "Tannhäuser"-Ouvertüre schreibt Richard Wagner als Bemerkung: "Nicht schleppend, gehend". Und dieses Gehen geht durchs ganze Stück. Wagners "Tannhäuser" ist ein Stück über das Gehen. Allerdings heißt dieses Gehen auch immer: an Grenzen gehen; über Grenzen gehen. Extremismus-Erfahrungen inklusive. Doch der Reihe nach:
Am Anfang steht die Kunst. Landgraf Hermann I., Landesvater in Thüringen, war nämlich ein Kunstfreund. Er hatte verschiedene Sänger an seinem Hof engagiert und immer wieder Gesangswettbewerbe organisiert. Da mussten die Sänger zu bestimmten Themen Lieder verfassen und gegeneinander antreten. Tannhäuser, der mit Vornamen Heinrich heißt, muss das ziemlich gut gekonnt haben. Zumindest in den Ohren – und Augen! – von Elisabeth, der Nichte des Landgrafen (gemäß Libretto) bzw. Schwiegertochter (historisch betrachtet). Elisabeths reales Vorbild ist die "Heilige Elisabeth", die schon im Diesseits ziemlich Jenseits-orientiert war. Deswegen gibt sich Elisabeth auch in Wagners "Tannhäuser" ziemlich unnahbar. Mit einer Ausnahme: Tannhäusers Lieder rufen ihr "neues Leben in die Brust". Für Elisabeth waren es "Gefühle, die ich nie empfunden!". "Jähe Lust" war in sie gedrungen. Klingt so, als hätte Elisabeth auf dem Weg in die Heiligkeit Schmetterlinge im Bauch und kurz die Kontrolle verloren. Allerdings hatte Tannhäuser auch nicht zugegriffen. Vielleicht, weil Elisabeth dem Landgrafen, seinem Arbeitgeber, so nahe stand.
Irgendwann hatte Tannhäuser aber die Nase voll und mit "Hochmut" gekündigt. "Stolz" war er GEGANGEN. Allerdings nicht weit. 13 Kilometer östlich der Wartburg liegt der Hörselberg mit Venushöhle. Dort war Tannhäuser dann gewissermaßen abgetaucht. Und hier beginnt die Oper. In einer Grotte, die in "zauberhaftem, rötlichen Licht" erscheint. Dazu gibt es einen "smaragdgrünen" Wasserfall, einen Badesee und "korallenartige tropische Gewächse". Am Strand lieben Jünglinge sich mit Nymphen; Bacchantinnen fordern zu "wilder Lust" auf. "Höchste Raserei", Chaos also, bricht aus und will wieder in geordnete Bahnen gebracht werden – davon erzählt die Ouvertüre und bringt vielleicht eine Utopie ins Spiel, in der Liebeskräfte letztendlich austariert sind.
Die Vorgeschichte
Erster Akt: Cupiditas
Hinter all dem romantischen Bilderkitsch der Liebesgrotte wird hier nämlich das Thema der Liebe, verstanden als Cupiditas und Caritas, verhandelt.
Was ist der Unterschied zwischen Cupiditas und Caritas?
Wo die Lateiner unter uns Cupiditas und Caritas unterscheiden, sagen wir Deutschen nur: Liebe. Strenggenommen gibt es aber diese zwei Lieben: körperliche Lust (Cupiditas) und so etwas wie "geistige", gern auch "höhere" Liebe genannt – auch Nächstenliebe (Caritas). Hier kommen jetzt Religion und Ideologie ins Spiel. Wir sprechen dann gerne von Anbetung und verharren als Gläubige still vor dem Angebeteten. Vor dem, der am Kreuz hängt, beispielsweise. Oder auch vor der Angebeteten. Unten vor dem Fenster. Wir wollen ihr dann eigentlich nahekommen. Können es nicht und wollen es vielleicht auch nicht. Dialektisch betrachtet hat dieses erstarrte Anbetungsritual den Vorteil, dass wir nie enttäuscht werden, weil wir der Sache durch Annäherung nie auf den Grund gehen können. Die/Der Angebetete bleibt hübsch auf ihrem/seinem Denkmalsockel und wir schauen andächtig zu ihr/ihm auf. Die Illusion bleibt. In Ewigkeit Amen.
Tannhäuser nennt die Venusgrotte sein "Zauberreich der Mitte". Und schafft es, sich im ersten Akt an die "schöne Göttin" Venus hochselbst ranzumachen. Er GEHT quasi mit ihr. Genau genommen setzt die Handlung im ersten Akt schon etwas später ein, als Tannhäuser dieses Puffleben mit Frau Venus bereits satt hat. Es sei "ihr übergroßer Reiz", den er künftig "meiden" will: "Bei dir kann ich nur Sklave werden", befindet Tannhäuser, den es nun nach "Freiheit dürstet". Er will folgerichtig weg, "sei's auch auf Tod und UNTERGEHEN". Die Sache schaukelt sich auf.
In "heftigstem Zorn" lässt Venus den "Wahnsinnigen" schließlich ziehen. Er soll zu den "kalten Menschen" fliehen. Und Venus spricht einen Fluch aus: Sollte Tannhäuser nicht zu ihr zurückkehren, so "sei die Welt öde, und ihr Held ein Knecht!" Dann verschwindet sie urplötzlich. Und Tannhäuser landet auf einer schnöden Schafweide am Fuße der Wartburg, wo er vom Landgrafen und seinen ehemaligen Sängerkollegen gefunden wird, die zufälligerweise gerade dort auf der Jagd sind. Dem Landgrafen fällt vor Freude nichts Besseres ein, als gleich wieder ein "Sängerfest" auf der Wartburg feiern zu wollen. Was Tannhäuser logischerweise nicht wieder mitmachen will. Stattdessen will er "vorwärts eilen, denn rückwärts darf ich niemals sehn" und wird ungewollt zum Stichwortgeber Erich Honeckers. Erst als Wolfram erzählt, dass er doch bitte bei Elisabeth bleiben soll, ist Tannhäuser wie vom Schlag getroffen und GEHT mit auf die Burg.
Zweiter Akt: Caritas
Elisabeth als Köder. Die dann auch gleich einen Wunschkonzert-Klassiker zum Besten gibt: die Arie "Dich, teure Halle, grüß ich wieder!" Dass Wolfram von Eschenbach sie hier ins Spiel bringt, ist kein Zufall. Wolfram himmelt sie nämlich an. Am liebsten unglücklich. Und da passt Tannhäuser als Konkurrent mit besseren Chancen natürlich gut ins Konzept. Wolfram ist auch so ein Gläubiger im Sinne der Caritas-Liebe, und erfindet für die angebetete Elisabeth das Bild des "Wunderbronnens". Er dichtet: "Und nimmer möcht' ich diesen Bronnen trüben, berühren nicht den Quell mit frevlem Mut: in Anbetung möcht' ich mich opfernd üben, vergießen froh mein letztes Herzensblut." In diesem Ritual erkennt Wolfram von Eschenbach "der Liebe reinstes Wesen".
Elisabeth und ihr reales Vorbild
Elisabeth ist eine ungarische Prinzessin, die 1221 mit dem Thüringer Landgrafen Ludwig IV. verheiratet wurde. Sie hat also tatsächlich auf der Wartburg und auch auf Schloss Neuenburg in Freyburg an der Unstrut gelebt. Dort findet sich z.B. eine schöne Holzplastik. Als ihr Mann 1227 während eines Kreuzzugs starb, gab sie ihren Besitz auf, lebte in Armut, half den Armen und Kranken und tat Wunder. Mit nur 24 Jahren starb sie 1231 und wurde 1235 heilig gesprochen, nachdem jahrelang Akten zusammengetragen worden, in denen ihre Wundertätigkeit dokumentiert ist.
Ach so: Der Landgraf hat es dann doch noch geschafft und einen Sängerwettstreit organisiert. Zum "Sängerfest" kommt der ganze Chor, die "Edlen meiner Lande" auf die Wartburg und singen "Freudig begrüßen wir die edle Halle" – schon wieder ein Wunschkonzert-Klassiker. Das Thema des Wettstreites lautet diesmal passenderweise: "Das Wesen der Liebe". Wolfram von Eschenbach hat dazu seinen "Wunderbronnen" vorgetragen. Und natürlich lehnt Tannhäuser so ein Caritas-Gesäusel ab, und haut stattdessen mit selbsterlebten Cupiditas-Venusberg-Versen so richtig auf die Pauke. Die feine Gesellschaft ist entsetzt. Die Szene eskaliert. Man hat den Eindruck, als wollten sie Tannhäuser schon lynchen, aber Elisabeth schafft es im letzten Moment, ihn zur Strafe und zur Buße auf Pilgerreise nach Rom zu schicken. Tannhäuser muss also schon wieder GEHEN.
Dritter Akt: Caritas & Cupiditas pervers
Wie schlimm sich eine pervertierte Liebe auswirken kann, demonstriert uns Richard Wagner schließlich gleich zweimal im dritten Akt. Zunächst in der Szene, in der Wolfram von Eschenbach das Lied vom "holden Abendstern" singt. Real ist das der Planet Venus. Und man achte auf den Bezug zur Venus im ersten Akt! – Der "holde Abendstern" ist hier jetzt der Wunschkonzertklassiker schlechthin.
O du, mein holder Abendstern,
wohl grüsst' ich immer dich so gern:
vom Herzen, das sie (gemeint ist Elisabeth) nie verriet,
grüß sie, wenn sie vorbei dir zieht,
wenn sie entschwebt dem Tal der Erden,
ein sel'ger Engel dort zu werden!
Der schöne Abendstern ist natürlich auch ein Bild. Er ist real unerreichbar fern. Der Nachbarplanet Venus ist von der Erde aus rund 40 Millionen Kilometer weit weg. Und es sind gut 400 Grad auf der Planetenhaut. Eine sowjetische Raumsonde schaffte 1970 die Landung und funkte 23 Minuten, bevor sie verstummte. Ja, wer die Venus berührt, dem kann ganz schön heiß werden. Das hatten wir schon in der Ouvertüre. Also lieber Abstand halten. Wie bei Elisabeth, der anderen Angebeteten. Oder sind Elisabeth und Venus ein und dieselbe Person? Zwei Seiten der Medaille? – Sie treten in der Oper nie gleichzeitig auf und könnten also von derselben Sopranistin dargestellt werden! Götz Friedrich hatte das 1972 in Bayreuth auch so inszeniert, was einen Skandal auslöste.
Elisabeth begeht zu Wolframs Lied vom Abendstern übrigens Selbstmord. Auf Ansage, weil sie vorher im Gespräch mit Wolfram die Jungfrau Maria bittet: "O, nimm von dieser Erde mich!" Pietätvollerweise passiert dieses Wegnehmen dann hinter der Bühne. Warum hat Wolfram diesen Selbstmord nicht verhindert? Warum hat er Elisabeth hier nicht berührt und festgehalten?! Er singt ja nach Elisabeths Abgang von "Todesahnung". Das ist dann strenggenommen unterlassene Hilfeleistung. Freiheitsstrafen oder Geldbußen wären möglich. Und es ist allergrößter Zynismus. Wagner zeigt uns in dieser Szene sehr konkret, wohin es führt, wenn Religion und nicht gesunder Menschenverstand zum Maß der Dinge werden.
Auch die Pilgerreise Tannhäusers zeigt uns eine pervertierte Liebe. Die feine Gesellschaft setzt körperliche Liebe und Lust mit der Hölle gleich. Der Venusberg wird zum "Höllenpfuhl". Tannhäuser muss sich quasi reinwaschen. Nachdem er über sogenannte sittliche Grenzen gegangen ist, muss er jetzt von Eisenach über die Alpen nach Rom gehen. Stupides GEHEN unterhalb der Gefahrenschwelle als neuer Lebensinhalt. 1265 Kilometer. Umgerechnet bei 4 km/h Schrittgeschwindigkeit sind das 316 Stunden. Und dann nochmal zurück. Wieder 1265 Kilometer. So berichtet es Heinrich Tannhäuser in seiner "Romerzählung" – übrigens auch ein Wunschkonzert-Klassiker.
Aber dieses monotone Gehen zur Reinigung ist ihm, dem einstigen Extremisten in Sachen Liebe, nicht genug: "Wie neben mir der schwerstbedrückte Pilger die Strasse wallt', erschien mir all zu leicht", findet Tannhäuser, und erfand sich für die Reise fünf Dinge hinzu, die das Gehen schwerer machten, im Vergleich zu den anderen Pilgern:
1. - "Betrat sein Fuß den weichen Grund der Wiesen, der nackten Sohle sucht' ich Dorn und Stein."
2. - "Lies Labung er am Quell den Mund genießen, sog ich der Sonne heißes Glühen ein."
3. - "Wenn fromm zum Himmel er Gebete schickte, vergoss mein Blut ich zu des Höchsten Preis."
4. - "Als das Hospiz die Wanderer erquickte, die Glieder bettet' ich in Schnee und Eis."
5. - "Verschlossnen Aug's, ihr Wunder nicht zu schauen, durchzog ich blind Italiens holde Auen."
Kurzum: Heinrich Tannhäuser ist jetzt ein Masochist, der Fußschmerz und Sonnenstich provoziert, sich blutig schlägt, im Schnee schläft und den Blinden spielt. Mit "Inbrunst im Herzen" tut er das alles. Mit Leidenschaft also. Was Leiden schafft. Weil Heinrich Tannhäuser vor seiner Wanderkarriere in Herzensangelegenheiten unterwegs war. Als Extrem-Herz-Forscher. Erst Venus; dann Elisabeth. Er will ja "der Liebe wahrstes Wesen" erkunden. Am Ende wird er scheitern. Das macht diese Oper so sympathisch. Ein Antiheld als Hauptperson. Vielleicht ist es sein Unglück, dass er die Liebe nur im Extrem, so oder so, denken und empfinden will. Oder hat die Gesellschaft sie so sehr zergliedert?
Pointe
In Rom findet Tannhäuser übrigens keine Gnade. Der Papst, der mit seinem Bischofsstab vor dem Petersdom steht, urteilt: "Wie dieser Stab in meiner Hand nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, kann aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer dir erblühn!" Und wir Zuschauer – und auch Tannhäuser – erinnern uns an den Fluch der Venus. Also zurück in den Hörselberg.
13 Kilometer vor dem Ziel, am Fuße der Wartburg, wartet Elisabeth auf die zurückkehrenden Pilger. Als sie Tannhäuser nicht entdeckt, weil der hinter dem Haupttross hinterherläuft, fasst sie ihren Entschluss zum Selbstmord. Als Tannhäuser schließlich erscheint, wird sie im Sarg vorbeigetragen. Tannhäuser stirbt. Irgendwie grundlos. Einfach so. Bricht auf ihrem Sarg zusammen. "Heilige Elisabeth, bitte für mich!", sind seine letzten Worte. Urplötzlich kommen noch jüngere Pilger gelaufen. Sie waren bis zuletzt auf dem Platz vor dem Petersdom. Ein Wunder! Der Bischofsstab habe doch noch grüne Zweige bekommen. Tannhäuser sei erlöst. Ist aber schon tot.
Leider schreibt Wagner nicht, dass der Papst gelogen hat. Oder zumindest, dass aus ihm nicht Gottes Wille spricht. Es wäre deftigste Kirchenkritik neben einer Kritik an einer Gesellschaft gewesen, die mit ihrem freud- und lustlosen Liebesbegriff ganz schön UNTERGEHT.
Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 25. Juli 2019 | 18:05 Uhr