BühneTheater Magdeburg überzeugt mit Stück über sowjetisch-ukrainische Geschichte
Am Theater Magdeburg hatte am Samstag, 26. November, ein Stück nach Sasha Marianna Salzmanns hochgelobtem Roman "Im Menschen muss alles herrlich sein" Premiere. Salzmann wurde geboren in Wolgograd – damals noch Sowjetunion – und lebt seit 1995 in Deutschland. Sie ist preisgekrönt als Roman- und Theaterautorin und bekannt dafür, sich immer wieder auf literarische Erkundungsreisen in ihre Geschichte zu begeben und nach den Folgen des Heimatverlusts zu suchen.
Das Spiel beginnt lustvoll und originell: Vier Schauspielerinnen und zwei Schauspieler betreten nacheinander die Bühne und sprechen alle denselben Text. Sie sind absolut gleich gekleidet, sie werden die Rollen wechseln, auch die Geschlechter (so wie auch Autorin Salzmann sich als genderfluid bezeichnet). Das macht sofort viel Freude, man bekommt Lust auf mehr, wenn sie dabei kurz aus den Rollen treten und sagen: "Komm, mach du die Mutter." Oder: "Darf ich den Vater spielen?"
Gleichzeitig beginnt damit aber auch ein Verwirrspiel, das es nicht ganz leicht macht, der Handlung zu folgen. Zumal auch die Bühne unverändert bleibt – ein fast leerer Raum mit Sand auf dem Boden, eine Art Spielplatz – egal ob wir gerade im Pionierlager "Junge Adler" auf der Krim sind oder im Studentenwohnheim in Donezk oder im heutigen Berlin.
Theater Magdeburg
Viel sowjetische Geschichte in einem Theaterstück
Im Zentrum des Abends stehen zwei Frauen – Lena und Tatjana – sowie ihre Töchter Edi und Nina. Beide Mütter sind in der Sowjetunion geboren und leben jetzt in Deutschland. So richtig ganz angekommen sind sie aber beide nicht. Immer wieder drehen sich ihre Gedanken um die alte Heimat, handelt das Stück in ihrer Kindheit und Jugend. In ihrer ukrainischen Heimatstadt, in den Pionierlagern auf der Krim, in einem bankrotten Imperium, in den korrupten Jahren nach dessen Ende.
Beide sind letztlich nie darüber hinweggekommen, dass diese Heimat nicht mehr existiert. Ihre Töchter hingegen sind längst in der neuen Heimat ankommen; sie sind genervt von den Eltern, die sie einmal sogar als "Perestroika-Zombies" und "diktaturgeschädigte Jammerlappen" bezeichnen. Sie treibt anderes um, etwa dass viele Spätaussiedler heute die AfD wählen.
Die Handlungszeit des Stückes reicht von den 70er-Jahren bis ins Heute, und wer den Roman nicht kennt, der wird sicher nicht alle der zahlreichen zeitlichen und räumlichen Sprünge der Inszenierung nachvollziehen können. Das ist ein Wermutstropfen, dass Regisseurin Alice Buddeberg und ihre Dramaturgin Viktoria Göke eine Fassung erstellt haben, die gar nicht erst versucht, das zu ermöglichen. Die Inszenierung konzentriert sich auf das Verhältnis zwischen den Müttern und den Töchtern. Ein Thema, das nicht nur die Frauen auf der Bühne betrifft.
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Wer Sasha Marianna Salzmanns Roman kennt, ist im Vorteil
Dabei legt die Autorin ihren Protagonistinnen außergewöhnlich schöne Texte in den Mund. Beginnend beim Titel, der allerdings ein Tschechow-Zitat aus dem "Onkel Wanja" ist. Aber auch Sasha Marianna Salzmann bewegt sich sprachlich auf höchstem Niveau, sie differenziert fein zwischen den Müttern und den Töchtern, die in einer heutigen Tonlage sprechen. Edi eher trotzig und rotzig, Nina mit sehr viel Emotionalität.
Herausragend an der Inszenierung ist, wie viel Historisches sie anreißt und anregt, das letztlich auch uns betrifft, bis hin zum Krieg in der Ukraine, der am Ende angedeutet wird, als Edi sagt, sie wolle als Journalistin in den Donbass fahren. Nur eben nicht vordergründig, weil sie Heimatgefühle hat, sondern weil es beruflich spannend wäre. Da zeigt sich dann auch, wie groß die Entfremdung zu ihrer Mutter Lena ist – die ist entsetzt darüber und sagt: Dir ist es völlig egal, ob du über Pinguine schreibst oder den Donbass.
Magdeburger Inszenierung zeigt Bezüge zur Geschichte und Gegenwart in der Ukraine
Tschernobyl wird erwähnt, Edis leiblicher Vater ist Tschetschene, ihr Ziehvater jüdisch – Beispiele dafür, dass im Grunde kleine Stichworte als Trigger genügen, um sich an die Geschichte zu erinnern oder mit ihr zu beschäftigen. Oder die Hoffnung der Sowjetbürger auf die Freiheit, auf den Westen, dann aber auch die Enttäuschung darüber, dass es dort menschlich kälter und nüchterner zugeht – Dinge, die viele Ostdeutsche ähnlich empfunden haben dürften.
Auch der heutige Konflikt wird thematisiert, der Krieg in der Ukraine, aber nicht explizit, sondern beispielsweise dadurch, dass wir lange nicht zwischen Ukrainern und Russen unterschieden haben, nach dem Motto, die sprechen eh alle Russisch. Insofern ist dieser Abend einer, der nichts auserzählt, aber vieles andeutet und anbietet.
Kein unnötiger Zauber
Was zudem begeistert, ist ihre Spielweise. Die haben einfach Freude daran, zu spielen. Das Stimmungsspektrum reicht von heiter bis tieftraurig. Ohne aufdringliche Diskurse zu führen, werden Geschlechter getauscht, auch das Alter spielt keine Rolle. Ebenso bei Licht, Musik und Ausstattung: Da gibt es keinen unnötigen Zauber, da ist kein Chichi, und trotzdem wirkt die Inszenierung sehr modern. Wird Auto gefahren, bewegen sie einfach die Oberkörper etwas hin und her, und ein Fön macht den Fahrtwind. Mein Tipp: vorher kurz nachlesen, worum es geht, dann lohnt es sich noch mehr!
Informationen zum Stück
"Im Menschen muss alles herrlich sein"
Roman von Sasha Marianna Salzman
Für die Bühne bearbeitet von Alice Buddeberg und Viktoria Göke
Theater Magdeburg, Schauspielhaus
Ab 15 Jahren
Premiere: 26. November 2022
Weitere Vorstellungen:
18. Februar, 3. März und 24. März
Redaktionelle Bearbeitung: Hendrik Kirchhof
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 28. November 2022 | 10:10 Uhr