InterviewTheaterintendant Morgenroth sieht Theater Görlitz-Zittau kurz vor Insolvenz
Das Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau hat massive Finanzprobleme: Durch Tariferhöhungen und inflationsbedingt gestiegene Kosten fehlen dem Haus in diesem Jahr 1,3 Millionen Euro. Intendant Daniel Morgenroth erklärt im Interview, warum er keine weiteren Möglichkeiten für Einsparungen im laufenden Betrieb sieht. Zugleich hält er eine wahre Brandrede für die Idee des Stadttheaters. Aus seiner Sicht ist ein funktionierendes Theater gerade in der Strukturwandelregion Ostsachsen unverzichtbar.
MDR KULTUR: Dem Theater Görlitz-Zittau fehlen im laufenden Jahr 1,3 Millionen Euro. Wie gehen Sie mit der Situation um?
Daniel Morgenroth: Das ist eine sehr schwierige Situation, die mir große Sorgen macht. Wenn nichts passiert, melden wir hier im Laufe dieses Jahres noch Insolvenz an. Da kommen wir nicht drumherum. So viel Geld kann niemand aus einem laufenden Haushalt einsparen. Und es ist natürlich so ein bisschen eine missliche Lage mit Ansage. Denn es war ja klar, dass Tariferhöhungen kommen. Es war klar auch, es wird alles immer teurer.
Das ist ein Riesenproblem, aber ich muss ehrlich sagen: Es ist eigentlich eine Unterfinanzierung mit Ansage. Und ich sehe natürlich die Not der Kommunen dabei, dass den Kommunen das Geld fehlt, dass sie in den letzten Jahren mit Aufgaben überfrachtet worden sind.
Und tatsächlich hat das Land Sachsen sich stark bewegt bei den Zuschüssen. Die waren eigentlich seit zehn Jahren statisch im Kulturraum. Und jetzt, zum ersten Mal, gab es da Aufwüchse, genau wie beim Kulturpakt, was uns enorm freut. Also das Land hat sich da schon deutlich bewegt. Und jetzt liegt der Ball im Feld der Städte und Landkreise, das auch zu tun.
Gibt es da Zeichen? Was passiert da?
Ich möchte nicht in der Haut der Bürgermeister und Landräte stecken. Ich sehe die große Not. Der Landkreis Görlitz steht gerade vor einem Haushaltsdefizit von 50 Millionen und versucht deshalb zu sparen, wo es irgend geht. Allerdings ist es auch so: Selbst wenn man alle Freiwilligkeitsaufgaben streicht, alles, was man irgendwie kürzen könnte, wäre man immer noch bei, ich glaube 25 Millionen Defizit. Man kommt da nicht raus. Man merkt, die Kreise und auch die Kommunen sind strukturell unterfinanziert.
Aber deshalb kann es nicht die Lösung sein, alles, was diese Region lebenswert und belebt macht, wegzukürzen. Im Gegenteil: Wenn ich die Region nach vorne bringen will, wenn ich, wie es immer heißt, im Strukturwandel Regionen weg von der Kohle hin zu innovativen, lebhaften Regionen bringen möchte, dann sind Theater, Kultur, Musikschulen, Volkshochschulen, Museen ein ganz zentraler Baustein dieser Strategie.
Solange wir hundert Milliarden für Bundeswehr und ähnliches haben, solange muss auch Geld für Künstlerbezahlung da sein.
Daniel Morgenroth, Intendant des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau
Was können Sie tun, als Theater – ganze Sparten schließen?
Wir rechnen tatsächlich gerade Horrorszenarien. Anders kann man es nicht beziffern, denn die Beträge, die da im Raum stehen, bedeuten, dass wir ungefähr 30 bis 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen müssten. Das bedeutet, allein die Tanzcompagnie streichen oder den Chor streichen, das reicht nicht. Wir reden jetzt nur noch über ganz harte Maßnahmen: Entweder wir schaffen das ganze Schauspiel ab oder das ganze Musiktheater oder das ganze Orchester. Und das sind enorme Einschnitte.
Die Szenarien rechnen wir gerade im Auftrag durch um zu sehen, welche Ersparnisse würde das bringen. Dass das kulturpolitisch grundfalsch ist, da bin ich ganz klar, und ich möchte das auch nicht. Aber wenn diese Einschnitte kommen, dann sind das spürbare, heftige Einschnitte. Alles, was wegzusparen war an Kleinigkeiten, ist in den letzten zehn Jahren weggekommen. Es ist im Moment auch so, dass alle Abteilungen bei uns – wenn eine Person mal länger als eine Woche ausfällt, dann bricht schon alles zusammen. Wir haben wirklich keine Redundanzen mehr, auf die wir uns stützen könnten, sondern wenn man jetzt sagt, es ist zu teuer, dann muss die Politik klar sagen, was sie sich nicht mehr leisten will.
Mehr Theater in Görlitz und Zittau
Mal andersherum gefragt: Gibt es einen Kern, davon können wir uns nicht trennen – was ist das für Sie?
Der Kern unseres Theaters ist immer die Vernetzung mit den Städten und mit der Region. Das läuft über die Präsenz in der Region, wie jetzt mit unserem Orchester mit der "Landpartie", oder über die Spielklubs, die Bürgerbühnen. Diese Vernetzung in die Stadt rein – wir merken, wie das richtig nachgefragt ist und uns auch verwurzelt. Das geht aber nur an einem lebendigen, produzierenden Haus. Das ist für uns der Kern.
Aber das funktioniert eben nur, wenn wir neue Opern, neues Schauspiel, neue Konzerte auch produzieren. Und ich möchte keine dieser Sparten streichen. Ich glaube vor allem auch, es wäre nicht sinnvoll, irgendetwas davon wegzukürzen. Es braucht das. Ich sehe nicht, wie man sinnvoll reduzieren könnte.
Dieser Irrglaube, man könne immer das Gleiche haben für weniger Geld – das ging zehn Jahre auf dem Rücken der Belegschaft über Haustarife, über sehr viel Mehrarbeit. Da machen sich wirklich viele Kolleginnen und Kollegen krumm. Und das geht jetzt nicht mehr. Wenn es jetzt noch billiger werden soll, dann müssen Dinge weg.
Ich denke, das Stadttheater, das ja immer wieder mal den Abgesang bekommt, hat eine großartige Zukunft.
Daniel Morgenroth, Intendant des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau
Ich weiß, ich bin da relativ leidenschaftlich. Aber ich finde es ehrlich gesagt immer wieder einen Skandal. Wir sprechen hier nicht davon, dass wir in irgendeiner Weise gierig werden oder dass wir mehr fordern. Sondern wir brauchen eigentlich nur das Geld für die Tariferhöhungen. Und wie viele Tausende Menschen sitzen in kommunalen, in Landes-, in Bezirksbehörden. Da laufen jedes Jahr die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst durch, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber sobald die Künstler Tarifverträge mal substanziell erhöhen, ist alles zu teuer und nicht möglich. Und das will ich mir nicht erzählen lassen. Solange wir hundert Milliarden für Bundeswehr und ähnliches haben, solange muss auch Geld für Künstlerbezahlung da sein.
Ist es eigentlich in Ihrer Wahrnehmung ein Problem, was jetzt den Landkreis Görlitz betrifft, wegen dieser 50 Millionen? Oder ist es was, was symptomatisch ist für die kleinen Theater in ganz Ostdeutschland?
Ich glaube, es geht sogar noch über Ostdeutschland hinaus. Wenn Sie die Verlautbarungen vom Landkreistag, vom Städte- und Gemeindetag lesen, dann gibt es viele Kommunen und Kreise in ganz Deutschland, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Und in Sachsen haben viele Landkreise jetzt ihre Haushalte gerade noch mal dicht gekriegt, über Rücklagen oder über Haushaltstricks. Aber die werden in zwei oder vier Jahren vor den gleichen Problemen stehen.
Theater in der Krise
In der alten Bundesrepublik wurden viele Theater in der Zeit zwischen Zweitem Weltkrieg und Wende zu Landesbühnen fusioniert. Das ist im Osten in dem Maße nicht passiert, also gibt es hier mehr Theater. Und die Frage steht natürlich, ob man mit diesem alt-westdeutschen Modell weiter käme. Es gibt ja eine Landesbühne in Sachsen, in Radebeul, wenn die alles auf Gastspiel mitversorgen würden?
Die Landesbühnen haben eine ganz wichtige Aufgabe, Theater eben auch dorthin zu bringen, wo es sonst nicht wäre. Ich glaube, ein Ersatz für ein produzierendes Haus – da gibt man sich der Illusion hin, man könne das Gleiche für weniger Geld bekommen. Wenn irgendjemand gastspielhaft im Haus ist, dann ist er eben zwei, drei Abende da. Die anderen vier Abende ist nichts. Und dann ist zehn Tage später wieder was. Und Sie haben natürlich auch nicht mehr den Kontakt in die Stadt hinein.
Wir machen ja auch viele Podiumsdiskussionen oder politische Diskussionen. Die Diskussion der Kandidaten zur Oberbürgermeisterwahl in Zittau fand wie selbstverständlich bei uns im Theater statt, weil das ist der Diskurs-Mittelpunkt der Stadt. Deshalb: Natürlich kann man das machen. Man spart wohl Geld. Irgendwann wird die Geschichte aber ziemlich witzlos. Dann haben wir so eine zentrale Konzertdirektion, hätte ich fast gesagt, die in alle Regionen etwas schickt. Aber dann haben auch alle das Gleiche zu sehen.
Dieser Irrglaube, man könne immer das Gleiche haben für weniger Geld – das ging zehn Jahre auf dem Rücken der Belegschaft über Haustarife, über sehr viel Mehrarbeit. Und das geht jetzt nicht mehr.
Daniel Morgenroth, Intendant des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau
Ich denke aber, das Stadttheater, das ja immer wieder mal den Abgesang bekommt, hat eine großartige Zukunft. Ich merke auch bei uns: Die Bude ist voll, also vor dem Wasserschaden. Die Leute kamen wieder, wir hatten auch wieder Kartenverkäufe wie vor Corona, und das wird nachgefragt. Das ist beileibe keine Übung für irgendwelche bürgerlichen Nischen oder Eliten, sondern das ist in die Breite. Das merke ich gerade in Sachsen.
Sachsen, das ist mir aufgefallen im Wechsel vom Bodensee hierher, hat da eine ganz andere Kulturtradition, Liebe zur Kultur und auch so einen hohen Stellenwert für die Kultur. Das gefällt mir sehr. Das merkt man immer wieder, wie Theater hier gelebt und geliebt wird. Schon deshalb wäre es schrecklich, wenn hier gekürzt würde.
Die Region um Görlitz und Zittau steht jetzt durch den Strukturwandel im Fokus. Es werden Gelder ausgeschüttet, speziell Richtung Görlitz. Wenn man an diese Perspektive denkt – gibt es da nicht auch wieder sehr viele Argumente für Theater?
Das versuche ich gerade auch allen politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern zu sagen: Tretet doch mal bitte einen Schritt zurück aus den zwei Jahren Doppelhaushalt oder aus den vier Jahren Legislaturperiode. Denn das ist hier eine Region des Strukturwandels, wo die Braunkohle verschwunden ist, wo wir jetzt Ersatz brauchen. Und da gibt es Milliarden vom Bund, die in den nächsten Jahrzehnten dorthin fließen werden, um diesen Strukturwandel zu stützen. Da müssen wir aber in Zeiträumen von 10, 20, 30 Jahren denken. Wenn wir da uns überlegen: Wie soll diese Region in 20 Jahren aussehen? Wer lebt da?
Da kommen immer Schlagworte wie: Natürlich versuchen wir, kleine innovative Unternehmen anzusiedeln. Wir bauen die Hochschullandschaft aus, wir kriegen ein Großforschungszentrum. Wir wollen den Tourismus ausbauen. Wenn ich mir überlege, welche Menschen da angezogen werden sollen, dann ist doch die Frage, ob ich in diesem Zentrum ein lebendiges produzierendes Theater sehe, eigentlich keine Frage mehr, sondern dann ist das ein essenzieller Teil dieses Wandels der Region in die Zukunft.
Das Gespräch führte MDR KULTUR-Theaterredakteur Stefan Petraschewsky. Redaktionelle Bearbeitung: Hendrik Kirchhof
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | Diskurs | 01. April 2023 | 19:05 Uhr