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Anatoli Michaelis bei einem Auftritt in der Westukraine. Bildrechte: Anatoli Michaelis / privat

Anatoli MichaelisUkraine-Krieg: Wie ein musikalischer Clown aus Weimar Geflüchteten hilft

von Samira Wischerhoff, MDR KULTUR

12. Januar 2023, 04:00 Uhr

Anatoli Michaelis stammt gebürtig aus Kiew und lebt seit den 80er-Jahren in Weimar. Dort hat er Trompete an der Musikhochschule studiert und vor ein paar Jahren einen "musikalischen Zirkus" gegründet. Als der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine begann, wusste er, dass er etwas tun muss. Kämpfen? Nein – Musik machen und lustig sein, das Lachen zu den Menschen zurückbringen! Ob ihm das gelingt und welche Erfahrungen er in der Ukraine während des Krieges gemacht hat, haben er und seine Frau Viola Michaelis MDR KULTUR erzählt.

Als im Februar letzten Jahres die ersten Nachrichten vom Krieg in der Ukraine eintrudelten, war Anatoli Michaelis wie gelähmt. In den ersten Wochen konnte er nicht aufhören Nachrichten zu schauen. "Eigentlich waren nur Tränen die ganze Zeit, es ist Wahnsinn. Unschuldige Menschen müssen sterben. Für was?", sagt er in seinem ukrainischen Akzent. Zum Kämpfen sei er zu alt, meint er. Doch was könne man als Musiker tun? 

Vor ein paar Jahren hat Michaelis in Weimar den "Musikalischen Zirkus" gegründet. Für ihn bedeutet das: In ein Clownskostüm samt roter Nase schlüpfen, die Trompete zur Hand nehmen und musikalische Scherze aufführen.

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Musikalischer Zirkus für Geflüchtete

Seine Frau Viola begleitet ihn dabei stets am Klavier, sie stammt aus Magdeburg. Kennengelernt haben sie sich in den späten 80er-Jahren. Beide verbindet die Liebe zur Musik. Sie unterrichtet an der Musikhochschule "Franz Liszt" in Weimar, er an der Musik- und Kunstschule in Jena.

Als in Freiburg, wo die Tochter des Paars wohnt, die ersten Busse mit Waisenhauskindern aus der Ukraine ankamen, entschieden Anatoli und Viola Michaelis, dort hinzufahren und ihren musikalischen Zirkus aufzuführen. Das war der Anfang einer Reihe von Auftritten für ukrainische Geflüchtete in verschiedenen Städten Deutschlands.

Anatoli Michaelis in Kiew, hier spürt man die Gegenwart des Krieges. Bildrechte: Anatoli Michaelis / privat

Als Clown Ungerechtigkeit bekämpfen

Als Michaelis im Mai entschied, erstmals nach Kiew zu fahren, hatte das einen traurigen Hintergrund: Sein Onkel war nach einem Schlaganfall gestorben. Zusammen mit seinem Bruder beerdigte er ihn nahe Kiew. Seine Frau Viola, seine Schwiegermutter sowie seine Tochter Paulina hatten große Angst, dass ihm etwas passiert. Doch er kehrte gesund zurück und wusste bereits, dass es nicht seine letzte Reise in die Ukraine war. 

Wenn es Menschen schlecht geht, kann ich nicht Ferien machen und Urlaub machen. Wenn diese Ungerechtigkeit passiert!

Anatoli Michaelis über seine Motivation

Also plante er, im Sommer als musikalischer Clown in die Ukraine zu fahren. Seine Frau war lange im Schwanken, ob es wirklich sein müsse. Aber dann habe sie gedacht: "Das ist mein Mann, unser Projekt und dazu stehe ich!"

Musikalische Tour durch Polen und die Westukraine

Mit Clowns-Kostüm, Trompete sowie Violas E-Piano im Gepäck fuhren sie los: Zuerst hatten sie Auftritte in Polen, danach ging es weiter in die Westukraine, nach Lwiw. Der Krieg im Land sei allgegenwärtig, erinnert sich Viola: Sandsäcke, aufgebaute Schießscharten. Doch die Menschen vor Ort versuchten, ein normales Leben krampfhaft aufrecht zu erhalten. So gut es eben geht.

Doch auch für die Auftritte des Paars hatte der Krieg unmittelbare Folgen. Als sie ihr Programm in einer Bibliothek in Lwiw spielen wollten, durften nur 30 Kinder zuhören – denn im Ernstfall würden nur 30 Kinder in den Keller passen. Auch Luftalarm erlebte das Paar mehrfach. Auftritte konnten erst dann starten, wenn die Sirenen verstummt waren.

Die Dankbarkeit ist unglaublich groß

Doch spätestens dann, wenn sich während der Auftritte in den Gesichtern der Kinder ein Lächeln oder sogar ein Lachen zeigte, wussten sie, dass sie das Richtige taten. Viola erklärt: "Es gelingt ja nicht bei jedem Menschen, je nachdem was für traumatisierende Situation sie erlebt haben, aber dass wir sie zum Lachen zum Teil bekommen haben, das ist einfach Anatolis Talent: Er geht ja auf die Menschen zu, er schafft so eine Atmosphäre in der Vorstellung, dass er direkten Kontakt herstellt.".

Anatoli Michaelis wird bei seinen Auftritten von seiner Frau Viola am Klavier begleitet. Bildrechte: Anatoli Michaelis / privat

Im Publikum seien vor allem Mütter und ihre Kinder gewesen. Nach den Auftritten seien die Kinder dem Clown um den Hals gefallen, Mütter hätten kleine Geschenke überreicht. Die Dankbarkeit sei unglaublich groß, dass jemand da ist, der mal was ganz anderes macht, hat Viola erfahren.

Die Kinder möchten natürlich gern, dass wir wiederkommen. 'Du kommst wieder!' Ich sage: jaja, kommen wir. Wir machen das, ja!

Clown Anatoli Michaelis spürt die Begeisterung der Kinder

Und wenn Anatoli sagt, dass er wiederkommen möchte, meint er es auch so. Zwischen den Jahren ist er wieder nach Kiew gereist, um dort in einer Klinik die Kinder als Clown aufzumuntern. Zusammen mit seiner Frau Viola will er im April wieder in die Ukraine reisen. Damit die Menschen zumindest zeitweise ABlenkung vom den Krieg finden.

Musikhochschule Weimar

Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 11. Januar 2023 | 07:10 Uhr