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Feiert am 21. Januar 2023 Premiere am DNT Weimar: "Der Silbersee". Regisseurin Andreas Moses hat die Schauspieloper neu inszeniert. Bildrechte: Candy Welz

Premiere"Der Silbersee" am Nationaltheater Weimar: alte Geschichte und neue Bedeutung

von Stefan Petraschewsky, MDR KULTUR-Theaterredakteur

Stand: 20. Januar 2023, 10:31 Uhr

Am Deutschen Nationaltheater in Weimar feiert am Samstag, 21. Januar, "Der Silbersee" Premiere – eine Schauspieloper. Der Text stammt vom Magdeburger Dichter Georg Kaiser, die Musik vom Dessauer Komponisten Kurt Weill. Uraufgeführt wurde "Der Silbersee" am 18. Februar 1933, kurz darauf wurde das Stück von den Nationalsozialisten verboten. Operndirektorin Andrea Moses bringt es nun am DNT wieder auf die Bühne.

In "Silbersee" überfällt Severin, ein armer Schlucker, mit Freunden einen Lebensmittelladen und klaut eine Ananas. Ein Polizist, der auf Streife vorbeikommt, schießt ihn an. Severin kommt ins Krankenhaus. Als der Polizist, der Olim heißt, mitbekommt, dass Severin nur eine Ananas geklaut, also Mundraub begangen hat, macht er sich Gewissenbisse: Habe ich zu übertrieben gehandelt, indem ich ihn erschießen wollte? Zufälligerweise hat der Polizist Olim nun auch noch im Lotto gewonnen, kauft sich ein Schloss am Silbersee, wo er Severin fortan pflegen lässt und auch selbst wohnt.

Aber dann fliegt die Sache irgendwann auf und Severin muss erkennen, dass sein Wohltäter auch der Täter, der Schütze, war. Damit nicht genug, können die alten Schlossbesitzer Olim übertölpeln, so dass Olim den alten Besitzern das Schloss wieder zurück schenkt. Am Ende erkennen Polizist und Räuber, dass sie beide kleine Leute sind, die von der Obrigkeit gegeneinander aufgehetzt werden. Man kann auch sagen: Die Arbeiterklasse lässt sich vom alten System spalten und erkennt dann diesen Fehler.

Gespaltene Gesellschaft versöhnt sich

In "Der Silbersee" geht es um Zorn und Angst, wie die Weimarer Regisseurin Andrea Moses erklärt. "Angst und Zorn sind zwei Haupteigenschaften, die – das lernen wir bei Georg Kaiser am Schluss im Finale – die kapitalistische Weltordnung überhaupt zusammenhalten. Die Leistungsgesellschaft geht nur durch die Kombination von Angst und Zorn", so Moses. Im Stück überwinden die Protagonisten schließlich die Charaktereigenschaften, die sie prägen, und versöhnen sich am Ende.

Das Stück ist deswegen großartig, weil es zeigt, wie eine gespaltene Gesellschaft wieder zusammenkommen kann. Und deswegen muss es heute unbedingt auf den Spielplan.

Andrea Moses | Operndirektorin

Spielt die Gigafabrik für Elektroautos von Elon Musk in Grünheide jetzt in der Inszenierung in Weimar eine aktuelle Rolle? Stichwort: Leistungsgesellschaft. Denn sie steht heute vier Kilometer vom Silbersee entfernt, der in Wahrheit Peetzsee heißt. Hier hatte Georg Kaiser gewohnt, als er den "Silbersee" geschrieben hatte.

Uraufführung 1933 in Leipzig, Erfurt und Magdeburg

In der Oper Leipzig gab es am 18. Februar 1933 die Uraufführung des "Silbersees", zeitgleich mit Premieren in Erfurt und Magdeburg. Als Reaktion auf die Uraufführung, so steht es im Programmheft zur "Silbersee"-Premiere jetzt in Weimar, hätte es in der Magdeburgischen Zeitung am 21. Februar 1933 eine "Gemeinschaftserklärung" aller faschistischen Organisationen gegeben. Man forderte dort die sofortige Absetzung des Stückes, denn: "Mit schamloser Aufdringlichkeit predigt dieses Stück den Gedanken des Klassenhasses und birgt in sich ungezählte offene und versteckte Aufforderungen zur Gewalttätigkeit. Das Magdeburger Stadttheater, das in schwerer Zeit durch die Steuergroschen der gesamten Bevölkerung gehalten, den kulturellen und nationalen Aufstieg des deutschen Volkes unterstützen sollte, ist durch die Hand des Intendanten Götze zu einem Instrument gänzlich unkünstlerischer Bolschewisierungsversuche geworden."

In der NSDAP-Parteizeitung, dem "Völkischen Beobachter" hieß es über die Leipziger Uraufführung: "Einem Komponisten wie Weill muss man mit Misstrauen begegnen, noch dazu, wenn er es sich als Jude erlaubt, für seine unvölkischen Zwecke sich einer deutschen Opernbühne zu bedienen."

Auch der Generalmusikdirektor und künstlerische Leiter der Oper Leipzig, Gustav Brecher, der aus einer jüdischen Familie stammt und die Uraufführung dirigiert hatte, stand in der Kritik: "Das Beschämendste an dieser Angelegenheit ist, dass sich Gustav Brecher, zu derartigen musikalischen Belanglosigkeiten hergab. Ein Mann mit einigem Feingefühl hätte an diesem verantwortungsvollen Posten, ausgerechnet fünf Tage nach dem 50. Todestage Richard Wagners, mitten in den Gedenkfeiern der ihm leider immer noch anvertrauten Oper auf solche Darbietungen verzichtet."

Stolperstein und Gedenktafel für Gustav Brecher

Es war aber ausgerechnet Gustav Brecher, der fast alle Wagneropern in seiner Intendanz seit 1923 ins Repertoire genommen hatte und so 1933 für ein Wagnerjubiläum bestens gerüstet war. Die Nazis mit Wagnerverehrer Hitler an der Spitze unterschlugen das und schmückten sich mit fremden Federn. Gut, dass die Oper Leipzig in der Intendanz Ulf Schirmer eine Probebühne nach Gustav Brecher benannt, eine Gedenktafel aufgehängt und einen Stolperstein vor das Opernportal gesetzt hatte.

Die Oper Leipzig erinnert mit einer Gedenktafel an Gustav Brecher, der Generalmusikdirektor und künstlerischer Leiter der Oper war und die Uraufführung von "Der Silbersee" in Leipzig 1933 dirigiert hatte. Bildrechte: MDR /Stefan Petraschewsky

Wagners 50. Todestag am 13. Februar 1933 ist Beginn der Wagnerfeiern in Gewandhaus und Oper. Die Uraufführung des "Silbersees" am 18. Februar also mittendrin mit den genannten Reaktionen. Am 27. Februar brennt der Reichstag in Berlin. Am 4. März 1933 dirigierte Gustav Brecher ein letztes Mal in der Leipziger Oper. Am 7. März verlässt er Deutschland. Dirigentenkollegen wie Fritz Busch in Dresden oder Gewandhauskapellmeister und Weltstar Bruno Walter werden ebenso verjagt. Brecher nimmt sich am 12. Mai 1940 in der belgischen Hafenstadt Ostende das Leben, aus Angst, den deutschen Besatzern noch in die Hände zu fallen.

Operndirektorin Andrea Moses hat den "Silbersee" in Weimar auf den Spielplan gesetzt und inszeniert. Kaiser habe seine Protagonist*innen erhoben zu selbstbestimmten, sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzenden Wesen, in der Hoffnung, dass diese Fähigkeit im Theater vorgeführt werde und gleichzeitig im Zuschauer Früchte trage, sagt Moses. "Das es dann 1933 ganz anders kam, und die Uraufführungen von der SA gestürmt wurden, das Stück abgesetzt wurde, und auf den Index kam, spricht natürlich nicht unbedingt dafür, dass das funktioniert, was Kaiser und Weill dort wollten. Aber ich bin ein unverbesserlicher Optimist und denke mir, es könnte heute vielleicht auch wieder einen guten Anstoß geben, sich zu beteiligen."

Angaben zum Stück"Der Silbersee - ein Wintermärchen"
Schauspieloper von Kurt Weill mit einem Text von Georg Kaiser
Deutsches Nationaltheater Weimar (DNT)

Musikalische Leitung: Friedrich Praetorius
Regie: Andrea Moses
Dramaturgie: Michael Höppner / Beate Seidel
Bühne: Jan Pappelbaum
Kostüme: Meentje Nielsen

Termine:
21. Januar 2023, 19:30 Uhr (Premiere)
29. Januar 2023, 16 Uhr
10. Februar 2023, 19:30 Uhrs
23. Februar 2023, 19:30 Uhr
16. März 2023, 19:30 Uhr
14. April 2023, 19:30 Uhr
21. April 2023, 19:30 Uhr
1. Mai 2023, 18 Uhr

Redaktionelle Bearbeitung: Cornelia Winkler

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 20. Januar 2023 | 18:00 Uhr