Zeitgenössischer Zirkus Keine Tiere, viel Artistik: Moderner Zirkus in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
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Wer das Wort Zirkus hört, denkt häufig an große Zirkuszelte, Clowns und Dompteure, die Tiere Kunststücke machen lassen, die sie in freier Natur nie bringen würden. Doch die Kunstform Zirkus ist wesentlich umfangreicher als das, was man heute als "traditionellen Zirkus" bezeichnet, wie ihn die großen Zirkusse wie Roncalli oder Krone präsentieren. Zeitgenössischer Zirkus kann politisch sein. In der Zirkuspädagogik erlernen Kinder Zirkusdisziplinen. Ein Reiz, den man auch vom "guten alten Zirkus" kennt, bleibt jedoch: Zirkus überrascht, riskiert und macht Spaß.
Der "Natur- und Umweltzirkus", ein Gemeinschaftsprojekt vom Uferleben e.V. und dem Zirkomania e.V. aus Leipzig, ist ein zirkuspädagogisches Projekt und führt regelmäßig Zirkuswochen für Kinder und Jugendliche durch. In diesem Jahr findet die Ferienwoche in der "geheimen Welt von Turisede" bei Görlitz statt. Eine Traumwelt und ein Erlebnispark für Kinder – mit Baumhäusern, Tunnelsystemen und fantastischen Geschichten. Dass das Zirkuslager in diesem Jahr dort stattfindet, hat auch mit dem Motto der Woche zu tun: Partizipation.
Es ist ein Zirkus, der mit Einradfahren, Clownerie oder Tuchartistik auf wichtige Themen aufmerksam machen soll.
"Natur- und Umweltzirkus": "Gebt den Kindern das Kommando“
Die Kinder haben Mitspracherecht beim Ort, Programm und auch in der Themensetzung. Denn neben dem Üben der Zirkusdisziplinen (Einrad, Jonglage, Artistik u.v.a.) finden verschiedene Workshops statt. Die Themen reichen vom Umweltbereich bis hin zu Politik und sollen später mithilfe der Artistik auf die Bühne gebracht werden. Ob in Form von Plakaten oder Darstellungen auf der Bühne – der Fantasie der Jugendlichen sind keine Grenzen gesetzt, sagt Organisator Frank Beutner.
"3, 2, 1 … 0." Der Zirkustrainer beendet den Countdown, Queen dröhnt aus den Boxen und ein Leopard brüllt in sein Jonglierkegel-Mikrofon: "Tonight I'm gonna have myself a real good time". Der Leopard heißt Florian, ist 11 Jahre alt und natürlich nur kostümiert. Die Freddie Mercury-Attitüde hingegen ist echt. Wenige Momente später hievt sich Florian auf ein Einrad und fährt vor der versammelten Zirkusgruppe an der Bühnenkante entlang. Die Probe für den großen Auftritt sieht schon ganz gut aus.
Ist zeitgenössischer Zirkus immer politisch?
Beim Theaternatur Festival in Benneckenstein im Harz spielt Jana Korb "narrativen Zirkus". So nennt die Künstlerin ihre Form, mit Zirkus Geschichten zu erzählen. In ihrem Stück "Vintage! Women! Varieté" erzählt sie die Geschichte von Zirkus-Künstlerinnen im 19. Jahrhundert. Zirkusgeschichte, verpackt in modernem Zirkus. Besonderes Augenmerk liegt auf der weiblichen Perspektive. Jana Korb sieht damals wie heute Ungleichheiten und will mit Stereotypen brechen. Es ist ein großes Trapezgerüst aufgebaut, die Zirkuskünstlerinnen wechseln spielerisch zwischen Luftartistik, Akrobatik und Schauspiel. Jana Korb leitet gleichzeitig wie eine Zirkusdirektorin durch das Programm.
Zirkus ist für mich die Kunst des Risikos.
Was unterscheidet den traditionellen vom modernen Zirkus?
Jana Korb ist studierte Kulturwissenschaftlerin und setzt sich seit vielen Jahren mit der Kunstform Zirkus auseinander. Sie will die Grenze zwischen traditionellem und zeitgenössischem Zirkus gar nicht unbedingt ziehen. Natürlich gäbe es traditionellen Zirkus mit Tierdompteuren und Clowns wie im Klischee. Gleichzeitig sieht sie, wie Grenzen verschwimmen. Traditioneller Zirkus könne politisch sein und zeitgenössischer Zirkus auch rein unterhaltend. Besonders freut sie, dass es mittlerweile einen regen Austausch zwischen traditionellem Zirkus auf der einen und zeitgenössischem Zirkus und Zirkuspädagogik auf der anderen Seite gäbe.
Die Zukunft des Zirkus
Beim "Natur- und Umweltzirkus" hat das Nachmittagsprogramm mit den Workshops begonnen. Die Kinder tuscheln, diskutieren und verhandeln. Es geht um Mitbestimmung, Kompromisse und wie sie funktionieren. Die Ergebnisse aus ihren Gruppenarbeiten sollen am Ende der Woche bei der Zirkusshow präsentiert werden. Die Zirkustrainerin Stephanie Lehmann sagt, man würde den Kindern Anstöße geben, aber der Rest komme dann von ganz allein.
Wie der Zirkus der Zukunft aussieht? Vielleicht kommt er ohne Tiere aus. Vielleicht wird er politischer. Vielleicht verschmelzen traditionelle und zeitgenössische Elemente noch mehr als bisher. So richtig weiß das niemand, aber alle Beteiligten gestalten ihn schon jetzt. Eins wird bleiben: Zirkus überrascht und Zirkus riskiert.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. August 2021 | 13:45 Uhr