"Der Staub der Prärie"Highnoon in Zittau: Gerhart-Hauptmann-Theater zeigt Western für den Osten
Einen Western für den Osten hat Maria Milisavljevic als Auftragswerk für das Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau geschrieben. In "Der Staub der Prärie" spielt sie mit den Klischees des Genres, ohne alte Vorurteile über freie, aber abgehängte Sachsen zu wiederholen. Vielmehr vermittelt ihr Stück gekonnt ein Lebensgefühl; wenn sie die Geschichte von Familie King erzählt, die sich auf mehr oder weniger legale Weise durchschlägt, "den Grund morgens aufzustehen" und den Glauben an eine staatliche Ordnung verloren hat. Eine Kritik.
Ein Western für ein Theater ganz im Osten. Das kann eigentlich nur Absicht sein. Ein klassischer Verfremdungseffekt. Eine Sache ist scheinbar ganz weit weg und eigentlich ganz nah – so ist das wohl gemeint. Die Handlung dieses eineinhalb Stunden langen Stücks spielt in der Prärie im Wilden Westen. Handlungsort ist ein Friseursalon. Hier lebt die alte "Mama King" mit ihren drei erwachsenen Kindern: Flint, der ältere Sohn, hat seine Arbeit in einer Mine verloren, lungert rum, wird kleinkriminell; Sarah, die Tochter, hat auch keine Perspektive, trinkt viel zu viel Alkohol und gerät mit Flint auf die schiefe Bahn.
Charly, der jüngere Sohn, schafft als Barbier das Geld ran und ist das Zentrum des Stücks. Dazu kommt noch Sheriff Smith, der sich jeden Morgen bei Charly rasieren lässt.
Waffen fürs bessere Selbstwertgefühl
Eigentlich passiert dann gar nicht viel. Im Kern geht es um die Idee des Bürgermeisters, der das Tragen von Waffen in der Stadt verbieten will. Das stößt bei Flint auf totale Ablehnung: Freie Bürger dürfen auch frei Waffen tragen, findet er. Deswegen plant er einen Anschlag auf "die da oben", die nicht mehr auf die kleinen Leute hören. Die Waffe ist bei ihm mehr fürs Selbstwertgefühl wichtig als wirklich nötig. Das Schlimmste sei nämlich "das Gefühl hier drinnen". Eine bedrückende Leere, wo einst "ein Grund war, wofür es gelohnt hat aufzustehen".
Neben dieser Mini-Handlung ist in dem Stück vor allem Situationsbeschreibung. Die staubige Hauptstraße der Kleinstadt, in der die Handlung hier spielt, ist komplett abgehängt. Es gibt kaum Arbeit. Die Eisenbahn, Synonym für Zukunft und Freiheit, geht am Ort vorbei. Es gibt keine Perspektive. Es gibt auch keine Kinder, die wirklich noch Kinder wären. Man kann eigentlich nur wegziehen. Natürlich erinnert das alles an das, was über die Grenzregion Ostsachsen immer wieder zu hören und zu lesen ist – fast schon ein Klischee; dass hier nur die alten Leute geblieben sind, während die Kinder in den Westen zogen, wo es Arbeit gibt – und wo jetzt schon deren Kinder bzw. die Enkel leben.
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Keine Anspielungen auf Ostsachsen
Die Inszenierung hält keine Anspielungen auf Ostsachsen bereit. Es geht nicht um waffentragende Reichsbürger, freie Sachsen und eine Wirtschaftsregion, die durch Nachwende- und Treuhandpolitik schon lange keine mehr ist. Regisseurin Lisa Pauline Wagner inszeniert das Stück alles andere als naturalistisch. Bei ihr ist alles sehr formal. Die fünf Protagonisten tragen Kostüme in Schwarz-Weiß, Cowboystiefel, Cowboyhüte, Fransen am Hemd, also etwas sehr Klischee-, aber ebenso Zeichenhaftes, das hier bewusst ausgestellt wird. Auch die Gestik der Figuren ist sehr zeichenhaft. Im Grunde ist es immer nur der Auftritt, dann eine Pose, gern die Hände am Revolvergurt eingehängt, dann wird kurz gesprochen, dann wieder abgegangen.
Diese Zeichenhaftigkeit und formale Strenge passt gut zum Text, weil er auch sehr konzentriert daherkommt. Die Figuren machen wenig Worte. Es gibt nur zwei, drei kleine Monologe, wo es aus ihnen herausbricht. Dann reden sie Tacheles. Leider, und das ist ein Wermutstropfen, werden die Schauspieler dann oft nur ziemlich laut. Für die Inszenierung wäre es gut gewesen, diese emotional vorgetragenen Wahrheiten auch einmal leise, trotzig, vielleicht traurig auszusprechen, statt sie wütend in die Welt zu schreien. Aber das ist nur ein kleiner Wermutstropfen. Im Grunde ist die Spielweise der hier ausgestellten Ästhetik, dem zeichenhaften Stil, sehr angemessen.
Blick hinter die Ost-Schießbuden-Klischees
Auch das Bühnenbild ist abstrakt und zeichenhaft: eine leere Bühne mit einem beigefarbenen Sandboden, sanften Hügeln, darüber ein blauer Himmel mit Wolken. Dazu gibt es auf der Bühne: einen Mond, einen Kaktus, ein Bison, eine Saloontür und einen Friseurstuhl, drei, vier Steine aus Pappmasche und ein paar vertrocknete Büsche, die über die Bühne wehen. Mond und Bison sind auf Pappen aufgemalt, und man sieht die Aluminium-Konstruktion, die die Pappen aufrechthält. Das erinnert an Schießbude, vielleicht auch an ein Filmset. Alles nur Fake, dem Publikum vorgegaukelt? Eigentlich geht es um etwas, was sich hinter diesen klischeehaften Oberflächen verbirgt.
Global und überzeitlich
Dieses Dahinter lässt sich gut entschlüsseln. Doppelt gut ist es, dass sich das Stück, das als Auftragswerk für das Gerhart-Hauptmann-Theater geschrieben ist, nicht in die unmittelbare Nachfolge des Dichters begibt. Der war mit Stücken wie den "Webern" oder "Vor Sonnenaufgang" ein Vertreter des naturalistischen Theaters. Hier im "Staub der Prärie" ist es wie bei Hauptmann auch ein Stück, das die prekäre soziale Situation vorstellt, aber als Inszenierung eine Ästhetik bedient, die eher das Gegenteil von Naturalismus ist. Heute ist eben nicht Gestern! Heute bedient sich das Theater eines Verfremdungseffekts, der den Osten als Western vorstellt. Global, überzeitlich wenn man so will.
In der Konsequenz, wie es Regisseurin Lise Pauline Wagner und ihre Ausstatterin Lisa Buchholz hier auf die Bühne bringen, ist es eine sehr schlüssige Inszenierung.
PS: Leider war die zweite Vorstellung nach der Premiere am Samstagabend nur zu 30 bis 40 Prozent ausgelastet, was auch an der Bahnanbindung liegen könnte. Obwohl die Verbindung am nächsten Morgen von Zittau nach Oybin ein zweites Highlight war.
Angaben zum Stück"Der Staub der Prärie"
Stück von Maria Milisavljević
Regie: Lisa Pauline Wagner
Weitere Vorstellungen am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau:
Haus Görlitz Großer Saal
Sa, 22.04., 19:30 Uhr
Fr, 05.05., 19:30 Uhr
So, 07.05., 15:00 Uhr
Haus Zittau Großer Saal
Fr, 24.03., 19:30 Uhr
So, 23.04.,18:00 Uhr
Besetzung:
Charles Charly King, der Barbier: Paul-Antoine Nörpel
Flint King, der ältere Bruder: David Thomas Pawlak
Mama King, die Mutter: Sabine Krug
Sarah King, die jüngere Schwester: Xenia Wolfgramm
John Smith, der Sheriff: Marc Schützenhofer
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 13. März 2023 | 12:10 Uhr