Zirkusfestivals und Zugkonzerte Wie Jena Kulturinnovationen vorantreibt
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Welche Gestaltungsmacht haben Städte, wenn es darum geht, das eigene Kulturleben weiter zu entwickeln? Die meisten setzen zunächst auf die Strukturen, die bereits existieren, wie Theater und Museen, und finanzieren nebenher kurzfristige Projekte. Die Stadt Jena aber geht seit drei Jahren neue Wege – sie will Innovationen im Kulturbereich ermöglichen, und hat dafür ein besonderes Förderinstrument entwickelt. Nach dem ersten Durchlauf ist es Zeit für eine Bilanz.
Vor vier Jahren kam im Jenaer Kulturamt frischer Wind auf: Der damals 33-jährige Theaterdramaturg Jonas Zipf wurde zum Werkleiter bestimmt und brachte neue Ideen ein. Einige waren von ziemlich grundsätzlicher Natur – Zipf gingen etwa die Fördermöglichkeiten für neue Kulturinitiativen in der Stadt nicht weit genug. Denn Projekte hätten immer Erfolg versprechend sein müssen, um Gelder zu bekommen: "Wir wollten deswegen dafür sorgen, dass ein Akteur etwas ausprobiert, was er vielleicht sonst nicht ausprobiert. Dass er Risiken eingeht und auch scheitern darf. Deswegen haben wir in Jena die Innovationsförderung vorgeschlagen."
Vor drei Jahren ging die Stadt auf Zipfs Vorschlag ein. Freie und städtische Kulturakteure können seitdem Ideen einreichen, ihre Anträge werden von Kulturschaffenden aus dem ganzen Land begutachtet und vielleicht auch bewilligt. Drei Jahre gibt es dann Geld, um Projekte voranzutreiben – ein ungewöhnlich langer Zeitraum im Bereich der Kulturförderung. Unter den ersten Antragstellern war Alexander Richter, der künstlerische Leiter der Jenaer Brass-Band Blechklang. Mithilfe der Innovationsförderung hat er in den vergangenen Jahren ein Kompetenzzentrum ins Leben gerufen, in dem die Brass-Musik auf verschiedenen Wegen unterrichtet wird.
Bundesweit einmaliges Bildungsprojekt
Für Richter war der Aufbau des Kompetenzzentrums ein Wagnis, das sich aber, wie er heute sagt, voll und ganz gelohnt hat. So konnten mit einer Fördersumme von 70.000 Euro über drei Jahre unter anderem internationale Meisterkurse in Jena durchgeführt und Dozenten aus England und den USA gewonnen werden, eine frühere Schülerin studiert nun im Brass-Band-Mekka Birmingham. "Unser Ziel ist es eben, eine nachhaltige Struktur aufzubauen", betont Richter. "Diese soll sich dann möglichst auch, wenn das Fördervolumen ausgereizt ist, selber tragen. Wir hoffen, dass wir nach den drei Jahren solch eine Reichweite haben."
Auch Kulturamtsleiter Jonas Zipf hofft, dass das Kompetenzzentrum in naher Zukunft finanziell auf eigenen Beinen stehen wird. Gleichzeitig betont er aber auch, dass dies ein Einzelfall sei – dass sich die wenigsten Kulturprojekte am Ende aus eigener Kraft finanzieren könnten. Künftig solle deswegen auch die Möglichkeit bestehen, nach dem Ende der Innovationsförderung in eine institutionelle, also dauerhafte städtische Förderung überzugehen.
Jena die Zirkusstadt
Letzteres wäre vermutlich ein Traum für Friedemann Ziepert vom Mitmachzirkus MoMoLo. Er und sein Team haben mit Hilfe der Innovationsförderung ein Festival für zeitgenössischen Zirkus entwickelt, das Composé-Festival. "Wir setzen alles dran, dass sich das Festival etabliert, weil wir ein großes Potenzial sehen. Dieses Jahr war es aufgrund der begrenzten Platzkapazitäten keine Kunst, die Shows auszuverkaufen, aber letztes Jahr war das auch schon so. Die Reaktionen vom Publikum sind einfach nur toll. Es ist dankbar, dass es hier so etwas gibt. Und dass man eben auch neue Kunstformen hier etablieren kann."
Das Composé-Festival: eine weitere Erfolgsgeschichte im Rahmen der Innovationsförderung. Kulturamtsleiter Zipf gibt gleichzeitig zu, dass in den vergangenen Jahren durchaus auch Projekte gescheitert seien. Aber selbst das trage zur Entwicklung bei: "Insgesamt ergibt sich – und das sage ich mit einem gewissen Stolz – das Bild einer sehr lebendigen Kulturszene in dieser Stadt. Für die Größe dieser Stadt ist das enorm. Und wir hoffen sehr, dass wir es über die Corona-Zeit hinweg retten können und dann auch weiterentwickeln."
Steuereinbrüche verheißen nichts Gutes
Noch ist nicht klar, wie groß das Loch im städtischen Haushalt im kommenden Jahr ausfallen wird. Doch Zipf prognostiziert schon jetzt – für neue Anträge im Bereich der Innovationsförderung wird dann coronabedingt wohl kein Geld da sein, zuerst müssen die Strukturen erhalten werden, die bereits existieren. So wird langsam deutlich, was die langfristigen Folgen dieser Pandemie sein werden: In Jena eben ein Kulturleben, in dem wohl erst mal nicht viel Neues passieren wird.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 21. September 2020 | 12:10 Uhr