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Der Mond fasziniert seit jeher – in der Literatur, im Film, in der Kunst. Aber was macht ihn so geheimnisvoll? Bildrechte: IMAGO / Science Photo Library

Kleine Kulturgeschichte des MondesFaszination Mond: "Schau. Er ist dein Spiegel"

04. Juni 2019, 04:00 Uhr

Der Mond ist nicht nur ein Lieblingsmotiv der Romantik und Schwarzen Romantik, er scheint auf verblüffende Weise auch allgegenwärtig in der Literatur, der Kunst, der Musik und im Alltag. Ob in Songs wie "Who Killes Mr. Moonlight" von Bauhaus, in Gemälden wie Caspar David Friedrichs "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes" oder in Filmen wie "Man in the Moon" und "Iron Sky". Der Mond bietet verschiedene lunare Schicksale: das Unheimliche, das Märchenhafte; der Mond als Ort alles Verlorenen, als Ziel der Raumfahrten, als feminine Göttin oder eingefangen in Flaschen im Supermarkt-Regal. Aber warum fasziniert er die Menschheit so?

von Jan Dörre, MDR KULTUR

Die Faszination des Mondes ist Jahrtausende alt und heute so lebendig wie einst. Alle Menschen kennen ihn und fast alle sind an ihm interessiert. Das liegt vor allem an seinen sonderbaren Eigenschaften: Er spendet Licht in der Nacht, das nicht sein eigenes ist. Er verändert fortlaufend Größe, Farbe und Form, er kann Ozeane schrumpfen lassen und Fluten herbeiführen.

Die Flecke des Erdtrabanten entfachen die Fantasie der Menschen und seine abgeschiedene Rückseite bietet viel Raum für Spekulationen. Dabei ist er – bei allem Respekt – nichts weiter als eine kugelförmige Steinwüste ohne Atmosphäre, ohne Leben. Und doch scheint der Mond dem menschlichen Maß eher zu entsprechen als die Sonne mit ihrer enormen Strahlkraft.

Beschmutze, böse Sonne

Sonne und Mond waren Kernelemente früher Religionen. Sie sah man, blickte man zum Himmel. Sie waren Bruder und Schwester oder ein ständig miteinander streitendes Paar: Bei den alten Griechen hieß die Mondgöttin Selen, bei den Römern Luna. Der römische Tag der Mondgöttin "lunae dies" wurde als Montag (Mond-Tag) ins Deutsche übernommen.

Im Rigveda, einem 4.000 Jahre alten Hindu-Text, gibt es ein Loblied auf die Hochzeit des Mondgottes mit der Sonnengöttin. Bei den Juden in der Provence des Mittelalters galt der Mond als beschmutzte oder böse Sonne. In Kulturen mit wärmeren Klima – wie in Indien, Mesopotamien oder Ägypten kam der Mond mit seiner kühlen Zurückhaltung in Anbetung und Bewunderung der Sonne gleich.

Die Himmelsscheibe von Nebra Bildrechte: IMAGO / Köhn

So verwundert es nicht, dass sich Monde in Zeugnissen früher Kulturen finden, wie bei der 5.000 Jahre alten Venus von Laussel, eine in Kalkstein geritzte Frauenfigur oder in den Felszeichnungen der Höhle von La Mouthe.

Auch die goldenen Ornamente der schönen Himmelsscheibe von Nebra (ca. 1.600 Jahre v. Chr.) lassen sich als Mondsichel oder verfinsterte Sonne interpretieren. Einige Wissenschaftler sehen darin einen Beweis, dass schon Bronzezeit-Menschen eine Kombination aus Sonnen - und Mondkalender benutzten.

Der Mann im Mond

Als der amerikanische Astronaut Neil Armstrong seinen Fuß in den Mondstaub setzte (1969), hatten dort längst fantastische Wesen ihre Spuren hinterlassen. Feen und Kröten waren da, entführte Kinder, grausige Teufel und Menschenfresser eilten dem Mondflieger voraus. Denn die Flecke des Erdtrabanten entfachten mannigfach die Fantasie der Menschen.

Illustrationen von Hans Baluschek aus dem Buch "Peterchens Mondfahrt" Bildrechte: Hans Baluschek

Da gibt es die Mondfee in der chinesischen Sagensammlung und den Mann im Mond der deutschen Sagenwelt: Ein Holzsammler, der an einem Sonntag Holz gestohlen haben soll und dafür auf den Mond verbannt wurde. Aufgegriffen in der wunderbar-schaurigen Geschichte "Peterchens Mondfahrt" von Gerdt von Bassewitz.

Weiblich, männlich oder?

Doch wie verhält es sich mit dem Geschlecht des Mondes? Ist sie weiblich, wie in fast allen romanischen Ländern, wo sie die lockende Frau Luna gibt? Oder doch eher männlich, wie bei den Deutschen, den Basken, den Finnen, Japanern oder Polen? Die ausgewogenste Lösung scheinen die Chinesen gefunden zu haben. Dort sind Mond und Sonne geschlechtslos und verschmelzen im Yin (schattig, kühl) und Yang (hell und warm) zu einer untrennbaren Einheit.

"Er leuchtet, ohne zu wärmen"…

… schrieb Arthur Schopenhauer im Jahr 1819. Er wirke "so wohltätig, beruhigend und erhebend", weil er ein "Gegenstand der Anschauung, aber nie des Wollens" sei.

Etwa zur selben Zeit (1819/20) malte Caspar David Friedrich sein Bild "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes" – die Ikone der romantischen Malerei. Aufklärer und Romantiker machten sich aus der Enge der Städte hinaus in die Natur und richteten ihren Blick zum Nachthimmel. Der Mond wurde dabei zur Projektionsfläche für alle denkbaren Träumereien.

Von Jakob Philipp Hackert über Johan Clausen-Dahl, von Ernst Ferdinand Oehme bis Caspar David Friedrich malten Klassizisten und Romantiker immer wieder mondbeschienene Landschaften. Friedrich ragte freilich unter den Mond-Malern heraus: Er entwickelte eine eigene Symbolik, die den aufgehenden Mond als Zeichen des auferstehenden Christus sah.

Der Mond ist gar nicht rein!

Schon in der Malerei der Renaissance wurde es lunar, stand doch der Mond für das Reine, das Unbefleckte. Gern versah man Maria mit dem Attribut der Mondsichel. Der Blick durch Galileis Fernrohr (1609) offenbarte jedoch das Unerhörte: Der Mond ist gar nicht rein! Er ist überzogen mit Kratern und Pusteln.

Dem gern verwendeten Motiv tat dies keinen Abbruch: Und so findet man den Mond bei Dürer bis Rauschenberg, bei Böcklin bis Vallotton, in den kühl-besinnlichen Nachtlandschaften eines Wolfgang Mattheuer oder ganz aktuell in einigen Bildern des Leipziger Malers Christian Brandl.

"Und leuchtet schlecht"

Der Mond ist in der Literatur das Zentralgestirn, wenn es um die Beleuchtung von Liebesszenen oder Schauplätzen des Verbrechens geht. Da stellt er sogar die Sonne in den Schatten.

Vom "verruchten deutschen Mond" fühlt sich ein preußischer Jurist in Wilhelm Raabes Erzählung "Deutscher Mondschein" verfolgt. Baron Münchhausen klettert an einer Bohnenranke zu ihm hinauf, um seine silberne Axt zurückzuholen. Der Geheimrat Goethe ruft ihn in einem Gedicht an und lässt Faust beim beschwerlichen Aufstieg auf den Blocksberg sinnieren:

Wie traurig steigt die unvollkommene Scheibe / des roten Monds mit spätem Glück herauf.

Aus "Faust" von Johann Wolfgang von Goethe

Worauf Mephisto – ganz seiner Art entsprechend relativiert: "Und leuchtet schlecht."

Auch bei Bestseller-Autor Frank Schätzing wird es in "Limit" lunar. Bildrechte: IMAGO / Future Image

Die Comic-Helden Tim und Struppi erkunden den Mond auf einer wahrhaft abenteuerlichen Reise in den 50er-Jahren, während Vladimir Nabokov in seinem Meisterwerk "Fahle Feuer" (1962) vor dem trügerischen Spiel des Trabanten warnt. Dass auch heute noch der Mond Autoren fasziniert, beweist der populäre Thriller von Frank Schätzing, "Limit" (2009): Eine Zukunftsvision mit geopolitischem Plot.

Den Verstand verlieren

Vom Engländer Alexander Pope gibt es ein entzückendes Poem: "Die geraubte Locke" (1712-1714). Dieses Gedicht beschreibt, wofür der Mond zu dieser Zeit stand: Der Ort für verschwundene oder verlorene Dinge. Doch nicht nur Dinge, auch den Verstand konnte man bei seinem Anblick verlieren: Die Mondsüchtigen folgen ihm willenlos und der Wahnsinnige heißt noch heute bei den Angelsachsen: lunatic.

So spiegelt der Mond die vielfältigen Seiten unserer Seele. Der argentinische Dichter Jorge Luis Borges fasste es so in Worte:

Der Mond der Nächte ist nicht jener Mond, / den Adam sah. Lange Jahrhunderte /menschlichen Wachens habe ihn erfüllt / mit alter Klage. Schau. Er ist dein Spiegel.

Jorge Luis Borges, Dichter

Dieses Thema im Programm:MDR JUMP | 19. Februar 2019 | 09:50 Uhr