Doku "The Golden Age of Darkness" Wie Goth die Welt eroberte
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Eine Doku von Simone Unger und Marcus Fitsch
"Anders als der fröhliche Techno" sollte ihre Musik sein. In der fränkischen Provinz gründeten Stefan Ackermann und Bruno Kramm 1989 die Band Das Ich und praktizierten fortan ihre "Neue Deutsche Todeskunst". In den Neunzigern schlägt die Stunde für die Industrial-Bands. Der Sound der schwarzen Szene wird härter, metallischer und elektronisch. Und sie ist längst keine kleine Subkultur mehr, sondern ein globales Phänomen – wie seit 1992 jedes Jahr beim WGT in Leipzig zu sehen ist.

Jedes Jahr zu Pfingsten folgen mehr als 20.000 Menschen dem "Ruf der Finsternis". Dann steigt mit dem Wave-Gotik-Treffen das Familienfest "der Schwarzen" in Leipzig. Zu Beginn der 90er-Jahre begründeten ein paar Individualisten die Szene. Bald wurde aus der Subkultur ein globales Phänomen. Groß wurde Goth auch im Osten Deutschlands – und mit einer Band aus der fränkischen Provinz.
"Anders als der fröhliche Techno"
Geschichten beginnen eben manchmal da, wo man es am wenigsten erwartet. Zum Beispiel in Bayreuth, wo seit Wagner musikalisch nicht viel passierte: 1989, im Jahr des Mauerfalls gründen Stefan Ackermann und Bruno Kramm dort ihre Band Das Ich. Ganz in Schwarz, mit auftoupiertem Haar inszenieren sie sich im Geist der New Wave- und Gothic-Helden der frühen Achtziger. Sie verbinden düstere elektronische Musik mit nihilistischer Lyrik inspiriert von Friedrich Nietzsche, Trakl oder Gottfried Benn. "Gottes Tod" heißt einer ihren ersten Hits. Der Sound trifft das Lebensgefühl vieler Jugendlicher, die mit ihnen die "Neue Deutsche Todeskunst" statt Hedonismus praktizieren wollen. Über die Anfänge sagt Bruno Kramm:
Alles, was mit dem Untergang zu tun hatte, wurde (gesellschaftlich) ausgegrenzt. Deswegen war es uns so wichtig, genau dafür eine Sprache zu finden; eine neue Form von Musikalität, die sich – so wie alles in dieser frühen Gothic-Szene – mit dem Sterben, mit dem Tod beschäftigt. Anders als der fröhliche Techno, der letztlich das Gegenmodell war, zu dem, was wir gemacht haben.
Dank Sampler: "Sänger, Keyboarder, fertig"
Techno, seit den 80er-Jahren weltweit auf dem Vormarsch, wird in den 90er-Jahren Mainstream. Wochenendlange Raves begeistern ein junges feierwütiges Publikum. Was in Berlin als kleiner Umzug beginnt, ufert Mitte der Neunziger zu einer gigantischen Massenparty aus; der Love Parade. Nach all den politischen Bedrohungen der Achtziger gibt es scheinbar nicht mehr so viel, weswegen man sich Sorgen machen müsste. Friede, Freude, Eierkuchen? Dieses Lebensgefühl teilen Gruftis nicht.
Aber auch die schwarze Szene findet in der neuen elektronischen Musik ein Zuhause. Beispielsweise in der Electronic Body Music. Der Sound von Bands wie FRONT 242 klingt alles andere als unbeschwert. Auch deutsche Bands wie Deine Lakaien und Project Pitchfork schlagen düstere Töne an. Formationen wie AND ONE eifern nicht nur optisch Ikonen wie Depeche Mode nach. Dass gerade jetzt so viele Bands auf den Plan treten, erklärt der Musikjournalist Ecki Stieg auch mit dem Aufkommen der Sampler: Damit sei es einfacher geworden, Musik zu produzieren. Zum Beispiel in den Duo-Konstellationen "Sänger, Keyboarder, fertig".
"Grenzwellen" für Fans und junge Bands in Ost und West
Stieg legt damals auf für eine Generation, die neue Musik noch über das Radio kennenlernt. Für seine "Grenzwellen" auf FFN trifft er Robert Smith von The Cure oder Peter Murphy von Bauhaus. Tonangebend ist Stiegs Sendung – einmal in der Woche drei Stunden lang – damals auch für junge deutsche Bands wie Wolfsheim, sagt Peter Heppner: "Das Beste, was es an Alternative-Musik in Deutschland und Europa gab, wurde da rauf und runter gespielt."
Auch im Osten hat Stiegs Sendung treue Hörer. Nach der Wende dürfen die Gruftis ihren Weltschmerz offen zeigen und endlich dabei sein, wenn ihre Helden spielen. Und eine Band wie Wolfsheim, die mit düsterem Wave-Pop im Westen die Nische bedient, wird im Osten überraschend zum Hit. Nicht vor 50, sondern vor 1.500 Leuten habe man dann in Städten wie Dresden oder Leipzig gespielt, erinnert sich Heppner.
Und plötzlich hat sich in Deutschland so ein ganz neues Goth-Universum aufgetan.
So ganz ungefährlich ist das Dasein als Grufti auch nach der Wende immer noch nicht. Auch für Westbands wie Das Ich werden die Konzerte in der Ex-DDR zum Abenteuer.
Wir sind viel in den Osten gefahren zu Konzerten. Zu der Zeit, wo die Straßen nicht so geil waren, wo Skinheads Clubs überfielen. (...) Aber ohne den Osten wäre die schwarze Szene in Deutschland nie so groß geworden.
Mit dem Aufkommen des Internets wissen alle Bescheid
Nach der Gründung 1992 wird das WGT in Leipzig vom heimeligen Stelldichein weniger Eingeweihter zum Spektakel. Auch auf dem Zillo-Festival in Baden-Württemberg kann die nun vereinigte schwarze Szene endlich gemeinsam anders sein. Nicht jedem ist wohl bei dieser Ansammlung "finsterer Gestalten". Der "Kult um Tod und Verderben". Tatsächlich spielen Anhänger des Black Metal mit satanischen Symbolen und einige wie der 1994 wegen Brandstiftung und Mordes verurteilte norwegische Sänger Varg Vikernes meinen es offenbar todernst. Mit dem Aufkommen des Internets kann sich jeder informieren, was es heißt, ein Goth zu sein. Goth erreicht Japan, Südamerika und die Vereinigten Staaten. In Europa sieht man die amerikanische Variante des Schock-Rock eines Marylin Manson eher als Pose. Aufsehenerregend, doch ungefährlich. Musikjournalist Markus Kavka nennt ihn ein "ziemlich stimmiges Gesamtpaket", eine sehr extreme Persönlichkeit, aber mit klaren Absichten:
Man sollte nicht unterschätzen, was für ein unfassbares Geschäftsmodell alternative Musik, die aus dem Goth kommt, dann Mitte der 1990er in den USA war.
Die "Band mit dem Kleid" oder: Wie Goth Mainstream wird
Die Verbindung aus Metal und Goth machen Within Temptation aus den Niederlanden populär. Ihre Art, dunklen Metal mit einer Frauenstimme romantisch aufzuladen, war neu. Robert Westerholt und Sharon den Adel sagen: "Der Metal konnte nicht noch härter werden. Es gab alles schon. Alles war schon so schnell und tief und brüllte herum. Und deshalb suchten wir nach etwas, das anders war und überraschen konnte, experimentierten mit Orchestern, mit Synthesizern, mit Melodien." Für die "Band mit dem Kleid" öffnete sich der Weg in den Mainstream.
Mit dem Beginn des neuen Jahrtausends wird Goth endlich Pop, mit großem kommerziellen Potenzial.
Den Style gibt es im Handel. Bruno Kramm findet das keinen Grund zum Jammern. Er sagt, die Szene sei nun eben gesellschaftlich verankert, umso mehr müsse sie in die Tiefe gehen.
Natürlich mag's erschreckend sein für den einen oder anderen, wenn H&M plötzlich eine Gothic-Kollektion führt. Da muss man selbstbewusst sagen: 'Das ist halt der Mainstream, aber unsere Szene hat viel, viel mehr zu bieten.'
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | SPEZIAL | 07. Juni 2019 | 18:05 Uhr