Gartenhistorie Der Maiglöckchenanbau in Wittenberg
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Wittenberg in Sachsen-Anhalt war früher ein wahres Maiglöckchenmekka. Dort wurden Maiblumentreibkeime millionenfach angebaut und in die ganze Welt exportiert. Günter Haberland war als Agrarwissenschaftler bis zu Beginn der 1970er-Jahre in den Maiglöckchenanbau involviert. Das anmutige Blümchen hat ihn sein Leben lang nicht losgelassen.
Seine Geburt in Wittenberg hat Günter Haberland (Jahrgang 1936) unauflöslich mit den Maiglöckchen verknüpft. Als junger Mann führte ihn sein beruflicher Weg zum Studium des Gartenbaus an die Humboldt-Universität in Berlin. Ein Professor für Zierpflanzenanbau setzte den Studenten dann aufgrund seiner Wittenberger Herkunft auf die Maiglöckchenforschung an, schließlich war die sachsen-anhaltinische Stadt einst das Mekka des Maiblumenanbaus in Deutschland.
Anfang im 19. Jahrhundert
Die Geschichte der Wittenberger Maiblumen begann 1840 als verschiedene Gärtner den Anbau der duftigen Staude als gutes Geschäft entdeckten. Der dortige Boden war für die Pflanze ausgezeichnet geeignet: Humos, sandig, mit einem leicht sauren PH-Wert und einem hohen Grundwasserspiegel. Die Gegend war außerdem mit einem trockenen Herbst gesegnet, was sich dahingehend günstig auswirkte, dass sich die Wittenberger Maiglöckchen ausgezeichnet für die Frühtreiberei eigneten.
Maiglöckchen haben, wie manch andere Frühlingspflanzen auch, die Eigenschaft, dass sie sich gut vortreiben lassen und dann schon im Winter erblühen. Besonders zur Weihnachtszeit lief das Geschäft mit den blühenden und duftenden Frühlingsgrüßen ausgezeichnet. Zwar wurden im Mai auch die Blüten direkt verkauft, aber das Hauptgeschäft bestand im Export der Treibkeime im Herbst und Winter. Bereits 1860 wurde erstmals in die Niederlande und nach Großbritannien exportiert. 20 Jahre später folgte dann die erste Lieferung in das künftige Hauptabnehmerland USA. Aber auch Russland, Skandinavien, Frankreich und Italien nahmen die Wittenberger Treibkeime gern an.
Millionen Maiglöckchen für die ganze Welt
Die Hochphase des Anbaus und Exports lag zwischen 1900 und 1912. Für das Jahr 1911 ist überliefert, dass auf 70 Hektar Maiblumen angebaut und 24 Millionen Maiblumenkeime verkauft wurden. Für Wittenberg waren die Blümchen zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden, der auch noch zu Zeiten der Wirtschaftskrise in den 1920er-Jahren noch Devisen in die Stadt spülte. Allerdings war der Anbau damals schon rückläufig, der Erste Weltkrieg hatte die internationalen Handelsbeziehungen einbrechen lassen und für die meisten Menschen waren Nahrungsmittel in dieser schweren Zeit wichtiger als Zierpflanzen. Für einen noch stärkeren Einbruch des Maiblumengeschäfts sorgte dann der Zweite Weltkrieg. 1945 gab es gerade noch 12 Hektar Anbaufläche um Wittenberg herum, die in den Nachkriegsjahren stetig weiter abnahm.
Maiglöckchen-Forschungsprogramm in der DDR
Zwar stieg in den folgenden Jahren die Nachfrage aus dem In- und Ausland wieder, allerdings konnte der sinkende Anbau nicht den Bedarf decken. Daran änderte auch nichts, dass die noch junge DDR stark am Maiglöckchenanbau interessiert war, da er eine Devisenquelle darstellte. Um die Kultur der Zierpflanze neu zu organisieren und effizienter zu gestalten, wurde sogar ein spezielles Forschungsprogramm als Teil des VEG Saatzucht Zierpflanzen Erfurt aufgelegt.
Günter Haberland wurde nach Abschluss seines Studiums Teil dieses Forschungsteams. Zwar konnten die Wissenschaftler die Arbeitsproduktivität beim Roden der Maiglöckchen-Rhizome im Herbst durch technische Neuerungen verbessern, aber insgesamt blieb der Anbau manuell sehr aufwendig. Insbesondere die Sortierung in Blüh- und Blattkeime erforderte ein geschultes Auge und sorgfältige Handarbeit. Das Putzen und Sortieren der Rhizome übernahmen meist erfahrene Saisonarbeiterinnen aus Wittenberg und Umgebung.
Ende des Maiblumenanbaus in Wittenberg
Doch alle Forschung half nichts: Der Maiblumenanbau wurde zunehmend unrentabel, die LPG stiegen auf Gemüseanbau um. Die Böden wurden dafür entwässert, ihr PH-Wert änderte sich durch den Einsatz von Kunstdünger. Auch spielte sicher eine Rolle, dass durch die Kollektivierung der Landwirtschaft viele traditionelle Familienbetriebe zerschlagen wurden und so das spezielle Wissen um den Maiblumenanbau allmählich verloren ging. Alles in allem änderten sich die Verhältnisse derart, dass die Maiglöckchen nicht mehr gut in Wittenberg gediehen. 1970 waren noch zwei Hektar übrig geblieben, der professionelle Anbau wurde kurz darauf eingestellt. Einzig in Hamburg haben sich bis heute noch ein paar Familienbetriebe gehalten, die gewerbsmäßig Maiblumen anbauen.
Privat gab es noch einige Enthusiasten, zu denen auch Günter Haberland zählt, die weiterhin Maiblumen in kleinem Stil kultivierten. "Aber unsere Generation stirbt aus, wir können die schwere körperliche Arbeit nicht mehr bewältigen und es gibt keine Jungen mehr, die sie auf sich nehmen wollen", sagt der Maiglöckchen-Experte. Auch wenn er sich beruflich nur rund zehn Jahre mit den duftenden Blumen beschäftigt hat, ließ ihn die Leidenschaft für sie nicht mehr los. Haberland wurde zum Maiglöckchensammler und Geschichtsforscher. Seine Erkenntnisse über den Wittenberger Maiblumenanbau hat er in einem schmalen Band zusammengefasst, der zahlreiche Dokumente und viele historische Abbildungen enthält. Sein Wunsch ist, dass dieses spezielle Kapitel der Stadtgeschichte im Bewusstsein bleibt: "Schließlich hat Wittenberg mehr zu bieten als immer nur Martin Luther."
"Maiglöckchengeschichte aufgeschrieben"
Günter Haberland, Siegfried Müller
Der Wittenberger Maiblumenanbau. Ein geschichtlicher Rückblick.
Veröffentlichungen der Städtischen Sammlungen der Lutherstadt Wittenberg
Band 17
Drei Kastanien Verlag, Wittenberg 2014
88 Seiten
Das Buch ist nicht im Handel erhältlich.
Quelle: Dr. Günter Haberland, Maiblumenexperte aus Wittenberg
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Garten | 15. Dezember 2019 | 08:30 Uhr