Vergessenes ukrainisches Saiteninstrument – der Torban "Wenn ein Kleinkind zu seinen Eltern sagt: ‘Guck mal, das ist ein Torban!’ Das ist wunderbar."

27. Juni 2022, 16:57 Uhr

Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat dazu geführt, dass ukrainische Kulturtraditionen in Westeuropa intensiver beleuchtet werden. So auch Instrumente, die für eine kulturelle Identität stehen. Der Torban ist ein Saiteninstrument, dessen Name ähnlich klingt wie der der Theorbe. Man kennt Letztere von barocken Opernaufführungen, wo sie ihren Hals aus dem Orchestergraben streckt. Der Torban ist kleiner – und unbekannter. Es gibt wenige Musikerinnen und Musiker, die mit ihm vertraut sind. Eine von ihnen ist die 23-jährige Maria Viksnina. MDR KLASSIK hat sie getroffen.

Der Torban besitzt um die dreißig Saiten, kompliziert versetzt über einen kunstvoll gebogenen Hals gespannt. Maria Viksnina kann ihn trotzdem bemerkenswert schnell stimmen. Seit 13 Jahren spielt sie das traditionelle ukrainische Instrument, das fast vergessen wurde.

Russland half dabei mit. Denn auf dem Torban waren viele Lieder der ukrainischen Nationalbewegung begleitet worden. Das gefiel nicht. Der Torban wurde schlecht gemacht. Das sollte auch dabei helfen, die Verbreitung ukrainischer Volkslieder zu verhindern, sagt Viksnina:

"Dann haben sie auch verbreitet, dass der Torban zu schwierig zu bauen und zu spielen sei. Alle müssten das Instrument vergessen. In dieser Zeit wurde der Torban in der Ukraine anders genannt."

Wehmut der Vergangenheit und Gegenwart

Seit fünf Generationen verdient Maria Viksninas Familie ihr Geld mit Musik. Ihre Großeltern spielten nicht den Torban, sondern die Bandura, die vereinfachte Torban-Verwandte mit weniger Saiten und metallischerem Klang. Sie ist heute in der Ukraine ein viel bekannteres Instrument als der Torban.

Etwas widerwillig gaben die Großeltern in ihren letzten Lebensjahren der Familie noch eine Kostprobe jener Bandura-Musik, die sie Jahrzehnte zuvor im ländlichen Kasachstan zum besten gegeben hatten. Von zwei zusammengestellten Lastwagen aus weckten sie damals als fahrende Sänger bei den vielen deportierten Ukrainern wehmütige Erinnerungen an ihre Heimat.

Und wieder Wehmut: Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Viksnina ihre jüngeren Geschwister und einen Cousin bei sich in Berlin. Ihr Vater Vadim Viksnin arbeitet noch heute als Instrumentenbauer in Kiew.

Der erste moderne Torban

Er fing als Geigenbauer an, spezialisierte sich aber nach und nach auf ukrainische Saiteninstrumente. Drehleier, Kopsa und verschiedene Tischharfen gehören zu Viksnins Repertoire. "Einmal kam ein Mann zu ihm und sagte: 'Ich möchte einen Torban. Können Sie einen für mich bauen?' Mein Vater hat gesagt: 'Ich habe das noch nie gemacht, aber ich werde es versuchen'", erinnert sich die Musikstudentin.

Der Vater studierte alte Bildquellen, ging in Museen, befragte Musikerinnen und Musiker – und baute den ersten modernen Torban. Der Unbekannte meldete sich nie wieder. Vor dreizehn Jahren überzeugte Vadim Viksnin seine zweitälteste, musikbegeisterte Tochter, es mit diesem Instrument zu versuchen.

Den Torban wieder bekannt machen

Schnell war Viksnina begeistert. Schon zu Schulzeiten hat sie daran gearbeitet, den Torban durch ihr Spiel in der Ukraine bekannter zu machen – mit Erfolg. "Ich habe in den letzten Jahren den Torban auf der Straße gespielt und gemerkt, dass immer mehr Menschen das Instrument kennen. Wenn ein Kleinkind zu seinen Eltern sagt: ‘Guck mal, das ist ein Torban!’ Das ist wunderbar", erzählt die 23-Jährige.

Den Torban weltberühmt machen: Nun hat Maria Viksnina ihr Lebensprojekt auf Westeuropa ausgeweitet.

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 20. Juni 2022 | 07:40 Uhr

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