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Die deutsche Nationalhymne ist seit 1922, mit Unterbrechungen, das "Deutschlandlied" von Hoffmann von Fallersleben zur Melodie der ursprünglichen Kaiserhymne von Joseph Haydn. Bildrechte: imago/Steinach

JubiläumVom Lied der Deutschen zur Nationalhymne

22. August 2022, 09:51 Uhr

Mit dem Wunsch nach Einigkeit Deutschlands kam auch der Wunsch nach einer gemeinsamen deutschen Nationalhymne auf. Doch so bewegt die deutsche Geschichte war, so widrig war auch der Weg zu einer Staatshymne. Lange mussten die Deutschen auf eine Nationalhymne warten – und sich zeitweise sogar mit Karnevalsschlagern begnügen:

von Mario Plath, MDR KLASSIK

Als Deutschland in den ersten Nachkriegsjahren in Zonen aufgeteilt war, durfte die Deutsche Nationalhymne auf Weisung der Alliierten nicht gesungen werden. Sieben Jahre hatten die Deutschen wieder einmal keine Hymne. So wurde ein Karnevalsschlager, "Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien" zur heimlichen Nationalhymne.

Und weil es keine wirkliche Nationalhymne gab, wurde der erste Bundeskanzler, Konrad Adenauer, sogar bei einem Staatsbesuch in den USA mit einem anderen Karnevalshit begrüßt: "Heidewitzka, Herr Kapitän" spielte die Blaskapelle damals. Vielleicht war das für Adenauer endgültig Ansporn, die Debatte um eine deutsche Nationalhymne voranzutreiben. Die Schwierigkeiten der Deutschen, sich auf eine Hymne zu einigen, begannen aber schon sehr viel früher.

Viele Länder, viele Lieder

Nach dem Ende der Napoleonischen Fremdherrschaft wurde 1815 der Deutsche Bund gegründet. Das war ein Zusammenschluss von 35 Kleinstaaten, die ihre eigenen Traditionen und Lieder pflegten. Was aber alle "Regionalhymnen" wie "Gott mit dir, du Land der Bayern" oder "Heil dir, mein Badnerland" vereinte, war die deutsche Sprache.

1817 kamen Studenten aus allen deutschen Kleinstaaten zum Wartburgfest zusammen und riefen zur Einheit der Deutschen auf. 1832 kam es dann beim Hambacher Fest zu einer weiteren landesweit beachteten Demonstration für die Deutsche Einheit. In der Folge entstanden patriotische Lieder wie "Ich hab‘ mich ergeben mit Herz und mit Hand" oder das Lied "Was ist des Deutschen Vaterland" von Ernst Moritz Arndt.

Diese Lieder und das in Folge der Rheinkrise entstandene Lied "Die Wacht am Rhein" wurden zu inoffiziellen Nationalhymnen der Deutschen und verdrängten die Herrscherhymne "Heil dir im Siegerkranz", die bis dahin zu offiziellen Anlässen gespielt wurde.

Auf der Suche nach einer National- statt Königshymne

Nach dem Tod der Großmutter des deutschen Kaisers, Queen Victoria, geriet die Kaiserhymne endgültig in Verruf, zumal sie auf dieselbe Melodie gesungen wurde wie das englische "God Save the Queen".

Der Dichter des "Deutschlandliedes", Hoffmann von Fallersleben, hat den Erfolg seiner Zeilen nicht mehr erlebt. Bildrechte: imago/Werner Otto

Diese englische Hymne hörte im Sommer 1841 der Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben auf der damals noch britischen Insel Helgoland. Er fragte sich: Warum haben die Engländer und alle anderen Nationen eine Hymne und wir Deutschen nicht.

Ich will ein Lied schreiben, das die Deutschen eint. Keine Huldigung an die Fürsten, sondern ein Lied der Sehnsucht nach der Einheit der Nation.

Hoffmann von Fallersleben

Bis dahin war es aber noch ein langer Weg. 1874, also drei Jahre nach der deutschen Reichsgründung, ist Hoffmann von Fallersleben gestorben, ohne dass dieses Reich eine Hymne bekommen hatte.

Eine Hymne für die Republik, nicht für Nationalisten

Dass sich aber dann ausgerechnet das "Lied der Deutschen" als Nationalhymne durchsetzen sollte, ist erstaunlich. Denn spätestens mit dem Ersten Weltkrieg wurden die ersten Zeilen des Liedes umgedeutet und missbraucht. Nicht mehr über allen Ländern des kleinstaatlichen Deutschen Bundes sollte ein einiges Deutschland stehen, sondern über denen des Feindes. So hatte es Hoffmann von Fallersleben sicher nicht gemeint.

Der Britische Premierminister David Lloyd George unterzeichnet den Versailler Vertrag am 28. Juni 1919. Bildrechte: IMAGO / United Archives International

Dass es trotzdem 1922 zur Proklamation des Deutschlandliedes zur Nationalhymne ausgerechnet durch den sozialdemokratischen Präsidenten Friedrich Ebert gekommen ist, erstaunt auch heute die Historiker. Denn Maas und Memel wie auch die Etsch und der Belt waren in Folge des Krieges nicht mehr Außengrenzen des Deutschen Reiches. Und so wurde das Lied jetzt auch zu einem Protestlied der rechten Parteien gegen die Anerkennung des Versailler Vertrages.

Darum betonte die Reichsregierung schon damals die dritte Strophe und stellte die Feierstunde am 11. August 1922 im Reichstag unter das Motto "Einigkeit und Recht und Freiheit".

Vom Lied der Deutschen zur Nationalhymne

Das Lied der Deutschen wurde zur Nationalhymne. Doch Recht und Freiheit wurden schon bald bedroht. Die Nationalsozialisten ließen nur noch die erste Strophe des Deutschlandliedes singen, gefolgt vom Horst Wessel Lied. In diesen Kontext gestellt wurde das öffentliche Singen des Deutschlandliedes nach 1945 verboten. Bei der Proklamation des Grundgesetzes 1949 durch den Parlamentarischen Rat in Bonn wollten die Gründer aber nicht auf ein Lied verzichten. So sangen sie wiederum das Lied "Ich hab' mich ergeben mit Herz und mit Hand".

Theodor Heuss gestaltete im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz entscheidend mit. Bildrechte: imago/ZUMA/Keystone

1950 wurde vom ersten Bundespräsidenten, Theodor Heuss, verfügt, dass bis zum Vorliegen einer neuen deutschen Hymne dieses Lied "Ich hab' mich ergeben" zu singen sei. Heuss selbst beauftragte den Kirchenlied-Dichter Rudolf Alexander Schröder, einen neuen Text zu schreiben. "Land des Glaubens, deutsches Land" konnte sich aber nicht durchsetzen und wurde, als "Theos Nachtgesang" verspottet, zu einer Blamage für Theodor Heuss. Es ist einem geschickten Manöver Konrad Adenauers zu danken, dass sich das "Lied der Deutschen" ein weiteres Mal durchsetzen konnte. Im Mai 1952 kam es zu der Entscheidung, das Deutschlandlied wieder als Nationalhymne einzusetzen.

"Einigkeit und Recht und Freiheit" – ein Text und Traum

Das galt allerdings nur für den Westen Deutschlands, denn im Osten hatten Johannes R. Becher und Hanns Eisler bereits 1949 die spätere DDR-Nationalhymne "Auferstanden aus Ruinen" verfasst. "Einigkeit und Recht und Freiheit" waren wieder einmal in weite Ferne gerückt und das "Deutschland einig Vaterland" in der DDR-Hymne durfte ab 1972 auch nicht mehr gesungen werden.

Als dann 1990 die deutsche Einheit ein weiteres Mal errungen wurde, standen die Deutschen wieder vor der Frage: Welches Lied soll Nationalhymne werden? Und obwohl es unzählige Vorschläge und Neuvertonungen gab, konnte sich das "Lied der Deutschen" von Hoffmann von Fallersleben ein zweites Mal durchsetzen.

So begehen wir in diesem Jahr ein Doppeljubiläum: 100 Jahre Proklamation der Nationalhymne und 70 Jahre Wiedereinführung der Hymne nach dem Zweiten Weltkrieg.

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