Premiere "Madame Butterfly" an der Semperoper Dresden

"Madame Butterfly" ist die Tragödie einer jungen Geisha, die um 1900 von einem amerikanischen Marine-Offizier als "inklusives Inventar" beim Kauf eines Hauses in Nagasaki miterworben wird. Die beiden verlieben sich, Butterfly bekommt ein Kind, wird am Ende aber von Pinkerton verlassen. So geht Oper! Giacomo Puccini hat daraus eine seiner populärsten gemacht. Gestern Abend ging die "Butterfly" als Premierenvorstellung über die Bühne der Semperoper. Bettina Volksdorf war für MDR KLASSIK dabei.

MDR KLASSIK: Eine Premierenvorstellung an einem Mittwochabend. Das ist außergewöhnlich. Wie kam es dazu?

Bettina Volksdorf: Geplant war die Premiere für Samstag, aber es gab zu viele Corona-Fälle in einer Abteilung des Hauses, so dass der Termin der zweiten Vorstellung zur Premiere gemacht wurde.

Bei Puccini ist Butterfly noch ein Teenager – gerade einmal fünfzehn Jahre alt. Im Kern geht es aus heutiger Sicht also um eine Missbrauchsgeschichte. Kann man einen solchen Stoff angesichts der MeToo- und anderer feministischer Debatten noch auf die Bühne bringen? 

Eine  berechtigte Frage, die sich Intendant Peter Theiler und Chef-Dramaturg J. Casimir Eule auch gestellt haben. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass der Stoff entweder von einer Frau oder einer Person aus dem asiatischen Kulturkreis inszeniert werden sollte. Aber wenn wir zwei Opernfreaks uns ehrlich machen: Wie viele Opern dürften heute noch gespielt werden, wenn man diese moralischen Kriterien zum Maßstab machte? Die entscheidende Frage ist, wie man einen solchen Stoff ins Heute transferiert.

Mit Amon Miyamoto wurde ein Regisseur gewonnen, der in Japan zu den wichtigen Musiktheater-Regisseuren zählt. Welches Konzept hat er für diese Dresdner "Butterfly"-Produktion entwickelt?  

Er lässt die Oper nicht um 1900, sondern in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts spielen. Und er hat noch vor Beginn der Musik ein kleines Vorspiel inszeniert: Darin sieht man den gealterten Pinkerton auf dem Sterbebett, wo er seinem Sohn einen Brief in die Hand drückt und so über dessen Herkunft aufklärt. Vom ersten Ton an durchlebt der junge Mann dann die Liebesgeschichte seiner Eltern als Beobachter mit. 

Funktioniert das? 

Zunächst einmal ja, weil Miyamoto und Bühnenbildner Boris Kudlička filmschnittartig gleitende Bühnenbilder arrangieren. Dabei werden auf riesige, vielfältig bewegbare Stoffbahnen Videos projiziert, so dass auf faszinierende Weise immer wieder neue Bühnenräume entstehen. Auf mich wirkte das ebenso stimmungsvoll wie assoziativ und mitunter leider auch plakativ: Ich denke an die Alleen rosafarbener Kirschbäume in voller Blüte, an sonnenstrahlengeschwängerte Bambuswälder, einen riesigen Sternenhimmel, den blutroten Sonnenaufgang, Kirchenfenster und dergleichen mehr. Will heißen: Miyamoto erzählt bildreich und farbenfroh von einem individuellen Frauenschicksal, blendet den gesellschaftspolitischen und historischen Hintergrund aber beinah aus.

Was genau meinen Sie damit? 

"Butterfly" ist auch die Geschichte eines Clashs der Kulturen! Japan als Inselstaat samt Kastengesellschaft hat sich erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts dem Westen geöffnet. Um 1900 eiferten die Japaner dann vor allem den technischen Errungenschaften des Westens nach, hielten andererseits streng an ihren Traditionen fest. Und Butterfly, deren Vater nach einem Samurai-Aufstand zum Suizid gedrängt wurde, sah in der Heirat mit Pinkerton die Möglichkeit, sich als Geisha aus dieser Gesellschaft zu befreien. Nicht zu vergessen: Pinkerton hat sie für einhundert Yen sozusagen als Inventar eines Hauses erworben. Seine "richtige" Frau ehelicht er natürlich in Amerika. Insofern halte ich den konzeptionellen Zugriff von Miyamoto für verengt. 

Omer Meir Welber – bislang 1. Gastdirigent der Sächsischen Staatsoper Dresden und ab dem 1. September 2022 Musikdirektor der Volksoper Wien – stand am Pult der Staatskapelle Dresden. Welchen Zugriff hat er auf das Werk? 

Einen sehr überzeugenden. Er wurde samt der Kapelle auch entsprechend gefeiert. Welber schlägt beherzte Tempi an, treibt die Musik voran – zuweilen in eine Art Puccini-Breitwand-Sound, dirigiert das insgesamt aber so dynamisch, federnd, behutsam und leidenschaftlich-dramatisch: Das ist einfach umwerfend.

Wir müssen über die Sängerinnen und Sänger reden: über die Cio-Cio-San der Kristine Opolais, die Suzuki von Christa Mayer und den B.F. Pinkerton von Freddie De Tommaso, um die drei wichtigsten Partien zu nennen. Hat die sängerische Umsetzung überzeugt? 

In grosso ja. Besonders weil Freddie de Tommaso als Pinkerton, Gabriele Viviani als Sharpless und Christa Mayer als Suzuki authentische Rollenportraits lieferten, bei denen stimmlich keine Wünsche offen blieben. Anders bei Kristine Opolais. Opolais ist Anfang 40 und eine sehr schöne Frau, aber als Sänger-Darstellerin dann doch eine viel zu robuste Butterfly. Das macht sich zuweilen in der Tongebung allgemein, vor allem aber in der Art, wie sie Spitzentöne produziert, bemerkbar. Insofern blieb da für mich am Ende bei ihrer Cio-Cio San einiges offen. 

Mitwirkende:

Cio-Cio-San: Kristine Opolais
Suzuki: Christa Mayer
Kate Pinkerton: Nicole Chirka
B.F. Pinkerton: Freddie De Tommaso
Sharpless: Gabriele Viviani
Goro: Aaron Pegram
Fürst Yamadori: Sebastian Wartig
Onkel Bonzo: Nicolai Karnolsky
Yakusidé: Friedrich Darge
Kaiserlicher Kommissar: Mateusz Hoedt
Standesbeamte: Sie Hun Park
Mutter Cio-Cio-Sans: Anna Sax-Palimina
Tante: Rahel Haar
Cousine: Anna Schubert
Pinkertons Sohn: Alexander Ritter

Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden
Musikalische Leitung: Omer Meir Wellber
Inszenierung: Amon Miyamoto
Bühnenbild: Boris Kudlička
Kostüm: Kenzō Takada
Licht: Fabio Antoci
Video: Bartek Macias
Chor: Jonathan Becker
Eine Koproduktion mit der Tokyo Nikikai Opera Foundation, dem Det Kongelige Teater in Kopenhagen und der San Francisco Opera

Die nächsten Vorstellungen: 8. und 14. April, jeweils 19.00 Uhr

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | 07. April 2022 | 09:36 Uhr

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