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NeuinszenierungTrauer muss Elektra tragen? Das Theater Erfurt kann sich mit dieser Neuproduktion schmücken

10. Oktober 2022, 14:58 Uhr

Das Theater Erfurt hat einen neuen Generalmusikdirektor, den 30 Jahre jungen Dirigenten Alexander Prior. Seinen Einstand gab der auch als Komponist hervorgetretene Künstler mit der Oper "Elektra" von Richard Strauss. MDR KLASSIK hat die Oper besucht.

von Michael Ernst, MDR KLASSIK

Archaik ganz heutig: Das Theater Erfurt hat seine neue Saison mit der 1909 in Dresden uraufgeführten Oper "Elektra"eröffnet. Richard Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal griffen damit einen Stoff auf, der mehr als 2500 Jahre alt ist und auf das gleichnamige Schauspiel von Sophokles beziehungsweise auf die "Orestie" von Aischylos zurückgeht.

Tunnelblick

Der italienische Regisseur Giancarlo del Monaco lässt das blutige Drama in einem von Daniel Bianco und Carmen Castanón entworfenen Tunnel spielen, bei dem man nicht weiß, ob er einer Autobahn, der Eisenbahn oder dem Abwasser dienen soll. Möglicherweise ist er einfach nur ein Fluchttunnel, wirkt jedenfalls ungemein bedrückend und einengend, so dass trotz leuchtender Exit-Schilder alles Vergebliche bewusst wird.

Hier gibt’s keinen Ausweg, muss Elektra als Magd unter Mägden dahinvegetieren und kann lediglich auf die Rückkehr ihres Bruders Orest hoffen, damit der den gemordeten Vater rächen und Klytämnestra für ihre Untat töten soll. Mord wird also mit Mord beglichen, ein trauriges Abbild der Menschheitsgeschichte.

Wenn die Königin im Rollstuhl vorfährt, verzweifelt ihre Perücke von sich wirft, gibt sie sich quasi nackt und hilflos, obwohl sie sich für unbesiegbar hält. Mit solchen Details gelingen dieser Inszenierung bedrückende Bilder. Charakterisiert wird das Ganze auch durch die Kostüme des Erfurter Ausstattungsleiters Hank Irwin Kittel, der den gesamten Hofstaat in Sado-Maso-Outfits gesteckt hat und damit andeutet, als sollte damit die Dekadenz am Hofe gesondert betont werden.

Monumentaler Orchesterklang, schwierigste Gesangspartien und handfeste Handlung

Der britische Dirigent (und Komponist) Alexander Prior gab mit "Elektra" seinen Einstand als neuer Generalmusikdirektor am Theater Erfurt. Der eben 30-Jährige hat sehr gestenreich und mit sichtlichem Körpereinsatz das Orchester in vielen Farben und Schattierungen aufblühen lassen, bekam kleinere Unstimmigkeiten hinsichtlich der teils arg vertrackten Tempi stets rasch in den Griff.

Am Ende wurde der Maestro dann nicht nur vom Publikum stürmisch gefeiert, sondern ebenso von den sichtlich begeisterten Sängerinnen und Sängern sowie vom Orchester, das sich den enormen Herausforderungen dieses komplexen Musiktheaters als bestens gewachsen erwies. Schließlich fließen hier monumentaler Orchesterklang, schwierigste Gesangspartien und handfeste Handlung untrennbar ineinander zusammen.

Opulenter Spielzeitauftakt

Die für diesen opulenten Spielzeitauftakt zusammengestellte Besetzung kann man sich besser kaum wünschen: Die Estin Aile Asszonyi gestaltete die Titelpartie mit enormer Stimmkraft und zeigte sich spielerisch höchst vielseitig, indem sie Trauer und Wut, bei Bedarf auch Spuren von Wahnsinn in sich vereinte.

Ursula Hesse von den Steinen als mordende Königin Klytämnestra hat ihren Machtrausch bis ins Schrille hörbar gemacht, zeigte sich mit enormem Potential jederzeit glaubhaft. Gerächt wird sie letztlich von Orest, dem totgeglaubten Sohn. Der wird vom georgischen Bass Kakhaber Shavidze mit furchteinflößender Stimmkraft gesungen und raumgreifend gespielt.

Als Schwester Chrysothemis, die den Tod des Vaters nicht rächen will, sondern auf ein Ende des ewigen Mordens hofft und sich ein friedliches Leben wünscht, gab sich die italo-amerikanische Sopranistin Jessica Rose Cambio geradezu liebenswürdig, mit feinem Stimmklang und darstellerischer Inbrunst. Und auch der brasilianische Tenor Ewandro Stenzowski als Aegisth sowie sämtliche weiteren Partien bis hin zu den Mägden waren adäquat besetzt.

Fazit: Eine gefeierte Premiere, die ganz ohne erhobenen Zeigefinger beklemmend deutlich gemacht hat, dass die Welt schon in der Antike aus blutigen Machtkämpfen bestand – und seitdem kaum friedlicher geworden ist, gestalteten eine überzeugende Ensembleleistung.

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Dieses Thema im Programm:MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 10. Oktober 2022 | 09:10 Uhr