Tugend aus der Not Nach Wasserschaden: So funktioniert Oper im Görlitzer Kaufhaus
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Ausgerechnet vor der traditionell gut verkauften Weihnachtssaison entsteht im Opernhaus Görlitz ein massiver Schaden: eine Fehlfunktion der Sprinkler-Anlage setzt die gesamte Bühne unter Wasser. Das Gerhart Hauptmann-Theater reagierte schnell und spielte spontan konzertante Opernaufführungen im Kaufhaus. Nun inszenierten sie dort "Viva la mamma" von Donizetti – ein Stück, dass die Zustände am Theater persifliert. Das Görlitzer Team hat die Handlung für die aktuelle Situation umgeschrieben.

Vor 110 Jahren wurde das große, historistische Kaufhaus in Görlitz eröffnet. Doch seit 2009 wird das Gebäude höchstens für Filmproduktionen genutzt. Stefan Sevenich beispielsweise kannte den Ort schon aus dem Hollywood-Film "Grand Budapest Hotel". "Ich war total geflasht", erinnert sich der Sänger an seinen ersten Besuch im Kaufhaus.
Notlösungen nach Havarie in Görlitzer Theater
Das Gerhart-Hauptmann-Theater will nun eine ganze Oper inszenieren, in der Stefan Sevenich als Gast die Hauptrolle übernimmt. In einer Ecke stehen noch Kulissen vom letzten Filmdreh, die jetzt als Bar dienen. In die Mitte wurden Podeste für die Bestuhlung aufgebaut. In den Galerien hängen Scheinwerfer und über dem Treppenaufgang wurde eine Bühne gebaut. Das alles sind Notlösungen.
Ursprünglich war eine andere Premiere im Opernhaus geplant. Doch eine Fehlfunktion der Sprinkler-Anlage hat die Bühne unter Wasser gesetzt und für massive Schäden gesorgt. Glücklicherweise gab es vorher schon eine kurze Zusammenarbeit mit dem Besitzer des Kaufhauses, sodass das Theater hier spontan Adventskonzerte und halbszenische Opernaufführungen spielen konnte – mit Erfolg. "Das hat uns den Mut gegeben zu sagen: Wir bleiben hier, und wir machen eine Produktion, die wirklich für das Kaufhaus gedacht ist", erzählt der leitende Dramaturg für das Musiktheater, André Meyer.
Stück über Probleme in der Oper
Er hat sich bewusst dagegen entschieden, eine Operette oder ein Musical zu wählen. Das würden alle an so einem Ort machen. Außerdem wollte er das Ensemble so einsetzen, wie bei der verschobenen Produktion. Die Wahl fiel also auf "Viva la mamma!" von Gaetano Donizetti.
Das Stück erzählt von einer Opern-Kompanie, die gerade dabei ist ein neues Stück zu proben – und immer neue Probleme lösen muss: Die Primadonna will mehr singen, die Alt-Sängerin und der Tenor hauen ab. Dann kommt die Mutter der zweiten Sängerin und löst die Probleme. Das Stück hat viel mit der aktuellen Situation zu tun. "Man kriegt keine Gage und soll auch noch bezahlen", singt das Ensemble an einer Stelle und trifft damit in Görlitz einen wunden Punkt. Für Sevenich ist das Stück daher auch aktuell: Das Theater muss immer kämpfen.
Besondere Herausforderungen im Görlitzer Kaufhaus
"Hier ist eine Spielstätte, die nichts kann: Es gibt keine Drehbühne, keine Züge. Alles, was wir auf die Bühne stellen, müssen wir bauen, müssen wir erfinden", fasst die Dramaturg Meyer die Situation zusammen. Er würde sich gerne mal wieder um Inhalte und nicht nur um Lösungen kümmern, verrät er später.
Damit musste auch die musikalische Leiterin Ewa Strusinska umgehen: Wie die Sängerinnnen und Sänger musste sie sich in viel zu kurzer Zeit mit dem neuen Stück vertraut machen. Auch die akustische Situation ist schwierig: Das Orchester ist neben der Bühne platziert, wo eine große Säule steht. "Ich kann nur in die Kamera dirigieren und sie sehen mich auf einem Monitor", beschreibt sie die Situation.
Spaß voller Ernst
Die junge Dirigentin erzählt das mit einem fröhlichen Gesicht. Das ganze Team geht die Herausforderung positiv an: Es geht momentan nicht anders und spielen wollen sie auf jeden Fall. Von dieser Einstellung ist Stefan Sevenich tief beeindruckt. Er ist so etwas wie der Experte für dieses Stück – die Partie der Mamma hat er schon oft gesungen.
Donizetti spielt mit allen Vorurteilen des Opernbetriebs. Das machte für den Regisseur Benjamin Bley einen großen Reiz aus. "Alle hatten viel Spaß und Freude daran, sich teilweise selber aufs Korn zu nehmen." Viele der Situationen, die nun auf der Bühne gespielt werden, stammen aus dem tatsächlichen Probenalltag – auch wenn die Sängerinnen sonst keine Diven-Allüren haben.
Nachdenken über die Situation in Görlitz
Die eigentliche Handlung des Stücks hat der Dramaturg André Meyer großzügig umgeschrieben – immer mit einem Ohr auf die Situation am Haus. Und so lebt das Stück von zahlreichen Kalauern, zum Beispiel wie das Wasser bis zum Hals steht. Im Stück lassen sich diese Probleme immer lösen. Doch in der Realität ist Aufgabe größer, so Benjamin Bley, der schon seit Jahren am Haus arbeitet. "Wir hoffen, dass diese eher lustigen Texte auch zum Nachdenken anregen, weil sie eigentlich so lustig gar nicht sind", meint der Regisseur.
Schon seit Jahren arbeitet das Gerhart Hauptmann-Theater in Görlitz und Zittau mit Notlösungen. Dennoch wird es aktuell wieder um weitere Einsparungen gebeten. Die sind aber kaum noch zu stemmen: Für die Ausstattung werden alte Kostüme wieder verwertet, die Erhöhung der Mindestgagen war aber dringend nötig, meint Benjamin Bley. Das Stück ist auch eine Kampfansage: Das Theater will nicht einfach aus Görlitz verschwinden.
Der junge Regisseur vermutet auch, dass Teile des Publikums am Ende eher kommen, um das Kaufhaus mal wieder zu sehen und nicht so sehr wegen der Oper. Aber er hofft, sie dennoch erreichen zu können. Wie es weitergeht, ist noch unklar.
Weitere Informationen
"Viva la mamma" von Gaetano Donizetti
Musikalische Leitung: Ewa Strusinska
Regie: Benjamin Bley
Ausstattung: Robert Schrag
Dramaturgie: André Meyer
Adresse:
Kaufhaus Görlitz
An der Frauenkirche 5 - 7
02826 Görlitz
Termine:
18. März, 19.30 Uhr (Premiere)
24. März, 19.30 Uhr
25. März, 19.30 Uhr
1. April, 19.30 Uhr
29. April, 19.30 Uhr
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 18. März 2023 | 08:10 Uhr