Landesbühnen Sachsen: "Der Vampyr" Wenn Küsse töten
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17. Oktober 2023, 17:18 Uhr
An den Landesbühnen Sachsen wurde am 4. November 2023 eine Oper auf die Bühne gebracht, die immer noch als Wiederentdeckung durchgeht, da sie so selten gespielt wird: "Der Vampyr" – große romantische Oper von Heinrich Marschner und Wilhelm August Wohlbrück. Bettina Volksdorf war bei der Premiere dabei.
Dass Opern von Heinrich Marschner heutzutage kaum noch aufgeführt werden, ist in erster Linie einem Verdrängungsprozess geschuldet: Da Richard Wagner die Gattung ab den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts in Richtung durchkomponiertes Musikdrama weiterentwickelte, wurden Marschners Dialog-Opern schnell als old-fashioned abgetan. Auch sein 1828 in Leipzig uraufgeführter, zunächst sehr erfolgreicher "Vampyr". Just mit dieser Oper wollte Marschner – der ewige "Weber-Epigone" und "Zwischenmeister" in der Reihe Mozart-Beethoven-Weber-Wagner – dem "Freischütz" etwas entgegensetzen.
Melange aus Erotik, Gewalt und Tod
Marschner und sein Librettist Wilhelm August Wohlbrück setzten damals ganz gezielt auf die Melange aus Erotik, Gewalt und Tod. Denn in den Jahren nach den Napoleonischen Kriegen und dem Wiener Kongress, als in Europa z. T. alte Herrschaftsmodelle wiederbelebt wurden und der Rückzug ins Private angesagt war, fanden Schauer- und Gruselgeschichten einen fruchtbaren Nährboden. Auch der Vampirismus!
Ein Mythos übrigens, den die Kirche für sich instrumentalisierte, denn Vampire sind Untote, deren Seele im christlichen Sinne nicht erlöst werden kann. Diese Erotik des Bösen faszinierte damals und sie tut das auch heute noch, man denke nur an die Verfilmung der Twilight Saga (2008/09).
Darüber hinaus verbindet Marschners Vampyr eine ideelle Komponente mit Mozarts Don Giovanni: Beides sind Bariton-Partien, beide Männer überschreiten gesellschaftlich-gesetzte Grenzen und verführen jeweils drei Frauen bzw. wollen sie verführen. Diese zumeist sexuellen Grenzüberschreitungen sind es auch, die Regisseur Manuel Schmitt interessant fand: Die "dunklen Seiten" des Menschen, wenn triebhafte Sehnsüchte die Vernunft besiegen.
So auch bei Lord Ruthwen (dem Vampyr): Er muss den Höllen-Geistern binnen 24 Stunden drei Bräute liefern, sonst endet seine Zeit auf Erden. Das ist der Plot. Bass-Bariton Paul Gukhoe Song verkörpert die Figur mit bewundernswerter Intensität, hat das stimmliche Potential und den 'Peng', auch das Durchhaltevermögen, das es für diese große Partie braucht. Dennoch fehlte mir am Ende das letzte Quentchen Charisma für diesen ultimativen Verführer-Typ.
Dessen ungeachtet ist diese Produktion eine herausragende Ensemble-Leistung der Landesbühnen Sachsen, waren doch mehr als ein Dutzend Solisten aus dem Haus heraus zu besetzen. Natürlich gibt es da qualitativ Unterschiede. Am überzeugendsten empfand ich die Gesamt-Leistung von Sopranistin Franziska Abram als Malwina sowie Tenor Aljaž Vesel als deren Geliebten Aubrey.
Besetzung
- Musikalische Leitung Ekkehard Klemm
- GMD Florian Merz
- Hans-Peter Preu
- Inszenierung Manuel Schmitt
- Ausstattung Julius Semmelmann
- Dramaturgie Gisela Zürner
- Choreinstudierung Karl Bernewitz
- Sir Humphrey, Laird von Davenaut Do-Heon Kim
- Malwina, seine Tochter Franziska Abram, Anna Maria Schmidt
- Edgar Aubry, ein Verwandter Aljaž Vesel, Taejun Sun
- Lord Ruthwen Paul Gukhoe Song, Dániel Foki
- Sir Berkley / Tom Blunt Michael König
- Janthe, seine Tochter Anna Erxleben
- Georg Dibdin Florian Neubauer
- Emmy, seine Braut Stephanie Krone
- James Gadshill Kay Frenzel
- Richard Scrop Johannes Wollrab
- Robert Green Fred Bonitz
- Suse, Blunts Frau Ylva Gruen
- Diener Stefan Glause
- Priester Hans-Udo Vogler
- Junge Leonardo Abram, Lukas Finger
- Mädchen Lua Song, Theodora Luise Schneider
- Chor der Landesbühnen Sachsen
- Zusatzchor der Landesbühnen Sachsen
- Komparserie Juliane von Stein, Michelle Körner
Musikalisch absolut lohnend
Und dann der Chor! Die Damen und Herren vom Theater- bzw. dem Extrachor der Landesbühnen sangen und spielten sich als moralisch ziemlich verlotterte Dorfgemeinschaft die Seele aus dem Leib. Gleiches gilt für die Elbland-Philharmonie Sachsen, die mit Chefdirigent Ekkehard Klemm den richtigen Mann für dieses Werk am Pult hatte. Klemm trieb die Musik vom ersten Takt an mit Verve und Lust an der Dramatik voran; da war kein Raum für melancholisch-wabernde Romantik, wohl aber für eine Fülle an sanglichen Melodien, an komischen oder schaurig-hohl-klirrenden Grusel-Momenten, wobei vor allem die Holz- und Blechbläser enorm gefragt waren.
Zeitlos aktuell durch-inszeniert
Manuel Schmitt war klug beraten, diese wenig bekannte Oper erst einmal zeitlos-aktuell, dafür schlüssig zu erzählen. Es hätten sich auch Bezüge in die Gegenwart angeboten - Stichwort Verschwörungstheorien o.ä., doch Schmitt, der die Produktion vor Corona, im März 2020 schon einmal bis zur Generalprobe brachte, verzichtete darauf.
Das Setting für sämtliche Bilder war ein bestuhlter Einheits-Kirchenraum, der kreativ variiert und phantasievoll bespielt wurde. Dieser Bühnen-Raum von Ausstatter Julius Semmelmann funktioniert wunderbar, da sich darüber die Symbiose von Kirche-Dorf-Gemeinschaft und Vampir-Glaube überzeugend darstellen lässt. Gut auch, dass Manuel Schmitt die Dialoge zugunsten einer atmosphärisch-passenden Erzähl-Stimme kappte und auf diese Weise die Handlung stringent zusammenfasste. Schlussendlich aber würden dieser gelungenen Produktion Untertitel ausgesprochen gut tun!
Weitere Vorstellungen:
Fr, 10. November 2023 um 19:30 Uhr, Landesbühnen Sachsen - Hauptbühne
So, 12. November 2023 um 17 Uhr, Kulturzentrum Großenhain
Fr, 17. November 2023 um 19:30 Uhr, König Albert Theater Bad Elster
So, 19. November 2023 um 19 Uhr, Landesbühnen Sachsen - Hauptbühne
Fr, 29. Dezember 2023 um 20 Uhr, Landesbühnen Sachsen - Hauptbühne
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 04. November 2023 | 20:05 Uhr