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Artem Lonhinov (Teilnehmer des Operettenworkshops) beim Abschlusskonzert am 8. Januar 2023. Bildrechte: Ida Zenna

Musikalische KomödieOperettenworkshop in Leipzig: Wie man das Gummiband ausdehnt

von Thilo Sauer, MDR KLASSIK

09. Januar 2023, 14:08 Uhr

Walzer- und Jazz-Rhythmen sind keine Seltenheit in der Silbernen Operetten-Ära, die viele Einflüsse aus Amerika aufgenommen hat. Das stellt Dirigentinnen und Dirigenten jedoch auch vor besondere Herausforderungen. Im Rahmen des Operettenworkshops des Deutschen Musikrats an der Musikalischen Komödie in Leipzig konnten 2023 wieder drei junge Dirigenten lernen, worauf es dabei ankommt.

Der Zeitplan scheint doch ziemlich eng zu sein – denn die jungen Dirigenten haben nur wenige Tage Zeit, um im Rahmen des Workshops die Feinheiten der Operette kennenzulerenen und ein unbekanntes Werk einzustudieren. Darum sind sie noch kurz vor der Probe in die Noten vertieft und überlegen, wie das Stück klingen könnte. Zwar gab es schon einige Proben, doch bisher nur mit Klavier. Wie genau die Operette "Die Straßensängerin" klingen soll, wissen weder die jungen Dirigenten noch das Orchester der Musikalischen Komödie Leipzig.

Das ist auch deswegen eine so große Schwierigkeit, weil den drei Workshop-Teilnehmern wichtig ist, als Dirigent gut vorbereitet zu sein. "Mir ist Qualität und Klarheit wichtig, das jeder weiß, was er spielen muss und sich damit auch wohlfühlt", sagt beispielsweise Artem Lonhinov. Sein Kollege David Preil ergänzt: "Meine Idealvorstellung ist, dass der Dirigent, die Dirigentin in der Probenarbeit mit welchen Mitteln auch immer, dafür sorgt, dass im Konzert oder in der Opernvorstellung jeder befreit Musik machen kann. Alle Beteiligten sollen eine gemeinsame Idee davon haben, wie diese Musik funktioniert." 

Zum Nachhören

Unterschiedliche Stile beim Dirigieren

Obwohl sie alle eine ähnliche Vorstellung haben, welche Funktion sie als Dirigenten zu erfüllen haben, unterscheiden sich die drei Teilnehmer dennoch grundlegend, beobachtet Workshop-Leiter und Dirigent Tobias Engeli. "Es gibt einen ganz ernsten Dirigierstil, wo das Orchester plötzlich ganz konzentriert spielt. Dann gibt es den eher Lächelnden, der den Fokus darauf hat, dass es weich und geschmeidig ist. Da merkt man auch sofort, dass das Orchester anders klingt. Der dritte ist so ein bisschen der Erfahrene, der weiß, wo er reingehen muss, der Ansagen machen kann."

Das sind so die Drei: der Ernste, der Heitere und der Erfahrene. Alle drei bringen tolle Impulse.

Abwechselnd treten die jungen Dirigenten ans Pult und leiten das Leipziger Operetten-Orchester an. Hin und wieder tritt Engeli zu ihnen und gibt ihnen kurze Hinweise zur Musik. Als zweites ist bei dieser Probe Artem Lonhinov an der Reihe. Er studierte zunächst in der Ukraine Geige, Komposition und Dirigieren und wechselte 2014 an die Münchner Musikhochschule. Mit dem Stock in seiner Rechten zeigt er knapp den Takt, mit seiner Linken macht er kleine, fließende Bewegungen, um dem Orchester zu zeigen, wie intensiv sie spielen sollen.  

Immer wieder gibt Tobias Engeli den Workshop-Teilnehmern wie Artem Lonhinov während der Probe kurze Hinweise. Bildrechte: MDR/Thilo Sauer

Ganz anders ist der Stil von David Preil, der das Orchester mit ausgreifenden Armbewegungen anleitet. Erst vor kurzem hat er am Theater Hof, wo er als Studienleiter angestellt ist, "Die Fledermaus" von Johann Strauss dirigiert. Simon Edelmann muss lange warten, bis er endlich vor das Ensemble treten darf. Auch er nutzt kleine Bewegungen und versucht aus den Augenwinkeln alles im Blick zu behalten.

Auf Erfahrung des Leipziger Orchesters verlassen

Dabei betont Edelmann auch, wie wichtig es vor allem bei diesem Workshop ist, mit dem Orchester zu kommunizieren: "Wir sind hier an einem Haus mit Sängerinnen und Sängern und mit Musikerinnen und Musikern, die jeden Tag Operette spielen. Von deren Erfahrung zu profitieren, dafür sind wir hier und zu merken, wie man spielt, wenn man seit 30 Jahren Operette im Blut hat." Dem stimmt auch Preil zu: "Wir schreiben mit, was uns empfohlen wird und nach der Probe überlegen wir, ob wir es wirklich so machen wollen."

Simon Edelmann studierte unter anderem in Weimar und Hamburg. Bildrechte: MDR/Thilo Sauer

Denn nicht immer lassen sich die künftigen Maestros überzeugen und haben eigene Vorstellungen. Er meint, dass man das dann in Ruhe ausdiskutieren muss. Aber er weiß auch, dass es gerade in der Operette wichtig ist, dass das Orchester die Sängerinnen und Sänger begleitet. "Das Schöne an diesem Kurs ist, dass wir natürlich in einer Position sein dürfen, auch unsere Erfahrung zu teilen oder unsere Wünsche äußern zu dürfen", gibt die Sopranistin Nora Lentner zu. "Mit den jungen Dirigenten nehmen wir uns auch das Recht zu sagen: 'Ich spüre das so. Ich würde das gerne so machen.'" 

Wiederentdeckung in Leipzig

Im Zentrum des Konzerts steht Leo Fall, der vor 150 Jahren geboren wurde. Neben einigen Orchesternummern besteht das Programm vor allem aus einer konzertanten Aufführung von "Die Straßensängerin" – ein Stück, das niemand an diesem Haus je gespielt hat und von dem es keine Aufnahmen gibt. Das bedeutet Freiheit und Herausforderung: "Es gibt kein Vorbild, da kann das Orchester einem nicht sagen: Das geht aber so."

Immer wieder unterstützen sich die jungen Dirigenten gegenseitig. Bildrechte: MDR/Thilo Sauer


Gerade für Artem Lonhinov, der sich gerne gut vorzubereiten scheint, war das eine neue Erfahrung. "Ich habe das Stück erst einmal auf dem Klavier gespielt, dann habe ich überlegt, in welche Richtung die Musik gehen sollte", erinnert sich der Musiker mit einem Lächeln. "Mit den Sängern und dem Orchester ist alles komplett anders. Beim nächsten Mal werde ich anders herangehen." Gerade darin sieht Tobias Engeli einen Erfolg: "Es ist sehr wichtig, zu spüren, wann es gut klingt"

Wichtige Erkenntnisse über die Operette 

Der erfahrene Dirigent erklärt den Workshop-Teilnehmern nicht, wie sie Proben leiten oder den Takt schlagen. Stattdessen reden sie viel über die Musik. Denn Tobias Engeli ist überzeugt, dass sie die nötige Lockerheit finden, wenn sie die Leichtigkeit der Komposition begreifen. Immer wieder spricht Tobias Engeli über Lockerheit und über Flexibilität. "Er sagt immer, dass wir das Gummiband ausreizen sollen", zitiert Simon Edelmann sofort. "Das Tempo wird während der Musik schneller und langsamer", erläutert David Preil diese Faustregel. "Davon steht oft nichts in den Noten, die Operette lebt aber davon. Wenn man genau das nicht macht, wird es plump und langweilig. Tobias Engeli ermutigt uns dazu, uns noch mehr zu trauen, auch mal so langsam zu spielen bis alles auseinanderfliegt." 

Denn auch wenn es nicht funktioniert, war der Versuch wichtig, um die Musik besser zu begreifen. Das unterstützt auch Sängerin Nora Lentner. "Die haben alle Lust und das merken wir. Jetzt geht es einfach darum, dass sie mutig sind, den Spaß daran haben und manchmal einfach die Sau rauslassen." Wie wichtig die Erfahrung ist, wissen die drei schon lange: Große Operndirigenten erwähnen immer wieder, wieviel man mit der Operette lernen kann, erklärt David Preil. "Als junger Dirigent, als junge Dirigentin an einem Opernhaus bleibt einem auch nichts anderes übrig. Das heißt: Die Operette wird uns alle weiterhin begegnen – und ich freue mich sehr darauf!" 

Weitere InformationenDer Operetten-Workshop wird im Rahmen des Stipendiaten-Programm des Deutschen Musikrats jährlich in Leipzig angeboten.

Zum Abschluss geben die drei Teilnehmer eine Konzert an der Musikalischen Komödie Leipzig.

Termine:
7. Januar, 19.30 Uhr
8. Januar, 15 Uhr

MDR KULTUR überträgt das Konzert am 7. Januar, ab 20 Uhr.

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