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AusstellungHochzeitsmarsch mit Rosenkrieg – Wagner und Mendelssohn in Leipzig

15. Juni 2022, 13:51 Uhr

Eine kleine Studioausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum widmet sich erstmals den Komponisten Richard Wagner und Felix Mendelssohn Bartholdy im Doppelpack und versucht herauszustellen, was die beiden verbindet. Ein neuer Ansatz? Bringt er was? MDR KLASSIK hat die Ausstellung besucht und ist diesen Fragen nachgegangen.

von Stefan Petraschewsky, MDR KLASSIK

Es lag auf der Hand – trotzdem muss man erstmal darauf kommen: Da haben wir also vorher Wagners Brautchor "Treulich geführt" aus dem "Lohengrin" auf dem Weg zum Traualtar, und hinterher Mendelssohns Hochzeitsmarsch aus dem "Sommernachtstraum", wenn die Frischvermählten die Kirche verlassen. Das sind die Evergreens hierzulande. Bei der kirchlichen Trauung oder im Standesamt, wächst zusammen, was ansonsten bis jetzt nicht zusammengehört: zwei Komponisten, fast gleich alt, beide mit Leipzig verbunden, die man musikgeschichtlich eher wie Katz und Maus verstehen will oder wie zwei Planeten in entfernten Galaxien betrachtet hat.

Gemeinsamkeiten finden

Insofern ist diese Ausstellung von Stadtmuseum, Leipzigs Musikwissenschaft und Wagner-Verband, schon etwas Ein- und Erstmaliges. Und ein Glücksfall. Offenbar trägt es Früchte, dass Studierende der Leipziger Musikwissenschaften hier als Kuratorinnen und Kuratoren tätig waren und ausgetretene Pfade verlassen haben. Eine Ihrer Ideen: ein graphologischer Vergleich der Handschriften. In Auftrag gegeben beim Schriftpsychologen Kai Nestler, der herausfindet, dass beide Komponisten einen ausgeprägten Ehrgeiz und hohen Leistungseinsatz zum Erreichen hochgesteckter Ziele entwickeln würden.

Mendelssohn gehe es dabei um die Sache selbst; er sei "der passionierte, ausdauernde Arbeiter". Bei Wagner hingegen stünden persönliche Bedeutungswünsche und materielle Bedürfnisse im Vordergrund; er sei "der ungeduldige Choleriker mit Gefühlsstärke, Aktivität und ausgeprägter Selbstdarstellung".

Ausstellung in fünf Kapiteln

Die Ausstellung ist klein, passt in einen Raum, der vielleicht zehn mal 20 Meter misst. Im Uhrzeigersinn geht es um fünf Kapitel: Auf "Persönliche Begegnungen" folgen "Gewandhaus zu Leipzig", "Mendelssohn als Maler, Wagner als Schriftsteller", "Mendelssohn und Wagner als Leipziger" und schließlich das Kapitel "Hochzeitsmarsch". Hier sind typischer Ehering, Brautschleier und Zylinder des 19. Jahrhunderts ausgestellt, was die Sache anschaulich macht; dazu dann die Partitur bzw. der Klavierauszug der jeweiligen Hochzeitsmusik.

An anderer Stelle sehen wir originale Bestuhlung aus dem alten Gewandhaus, dazu das Notenpult, von dem aus Mendelssohn und Wagner nachweislich dirigiert haben. Dazu kommen Dokumente und Bilder. Es sind immer nur ein paar Objekte zu den Kapiteln, aber: die haben es in sich, etwa mit Blick auf die Leipziger Universität. Wagner hatte sich als Student eigenhändig ins Matrikelbuch eingeschrieben, stand also ganz unten auf der akademischen Leiter, während Mendelssohns Ehrendoktorzeugnis dazu ausgestellt ist – ein fehlerbehafteter Korrekturdruck, der sich deswegen in der Universität, quasi als Altpapier, erhalten hat.

Thema sind auch die jeweiligen Wohn- beziehungsweise authentischen Orte in der Stadt. Dabei auch eine originale Bleistiftskizze Mendelssohns auf dem Totenbett – der Komponist starb schon 38-jährig in seiner Wohnung in der heutigen Goldschmidtstraße.

Neue Entdeckungen inklusive

Das erste Kapitel der Ausstellung nennt konkret vier Begegnungen. Die erste ist neu erforscht. Fußt auf einem Eintrag im Tagebuch des Wagner Freundes Theodor Apels. Bei einem Konzert "zum Besten der Armen" am 7. April 1836 soll es gewesen sein. Apel schreibt: "Beim Eintritt in das Concert kam Mendelssohn munter und heiter gesprungen; ich nutzte die Gelegenheit, ihm Wagner vorzustellen."

Das ist neu. Und erklärt nun, warum Wagner vier Tage später seine Sinfonie in C-Dur an Mendelssohn sendet. Wagner bat Mendelssohn um Durchsicht und Anregung. Kollegiale Hilfe – wohl auch der Wunsch nach Anerkennung und Aufführung im Gewandhaus nach einem ersten, kurzen, persönlichen Treffen sozusagen. Mendelssohn hatte allerdings nie geantwortet. War das schon der Beginn einer großartigen Feindschaft?

Mendelssohn als Maler, Wagner als Schriftsteller

Das Kapitel "Mendelssohn als Maler, Wagner als Schriftsteller" beinhaltet zwei Aquarelle Mendelssohns, die einen Wasserfall im Wald und eine Häuserzeile in Leipzig zeigen. Perspektive und Farbe sind schön anzusehen. Hier war also ein talentierter Zeichner unterwegs, der Pinsel und Taktstock offenkundig gleichermaßen elegant schwingen konnte.

Bei "Wagner als Schriftsteller" kommen wir dann natürlich auch auf den wunden Punkt: Wagners Aufsatz "Das Judenthum in der Musik". Der ist hier in einer Art Sonderkapitel in einer anderen Ecke ausgestellt, sozusagen ins Abseits gerückt. In diesem Aufsatz, der im September 1850 in einer Leipziger Musikzeitschrift erschien, geht Wagner Mendelssohn, der zu diesem Zeitpunkt schon tot ist, heftig an.

Wagner über Mendelssohn

Wagner spricht Mendelssohn ab "wirkliche Musik", die "zu Herz und Seele spricht", komponieren zu können. Mehr noch. Wagner polemisiert gegen den Kollegen, wenn er ihm explizit Talent und Bildung bescheinigt und von einer "tragischen Situation" spricht – frei nach dem Motto: Er hätte ja was werden können, ging aber nicht, weil er Jude war. Wagner konstruiert in seinem Aufsatz dazu noch ein Bild, das uns eine deutsche Kunst und Kultur als einen vitalen, blühenden Paradiesgarten vorstellen will. Goethe und Schiller als Blüten der Literatur; Beethoven als "vollendeten Musikmenschen".

Dann aber "bemächtigen" sich "die Juden" dieses Gartens, befallen ihn wie Würmer und zersetzen ihn – so kann man es verkürzt auf den Punkt bringen. Wagner schreibt in diesem Aufsatz auch noch, dass Leipzig eine "Judenmusikweltstadt" geworden sei, weil in der Musikhochschule "blonde Musiker" eine Seltenheit wären. Das alles ist eine Argumentation, die im Nationalsozialismus gerne aufgegriffen wurde. Das sind Denkmuster, die in Angst, Neid und mangelndem Selbstwertgefühl ein Fundament finden. Doch das alles wird hier in der Ausstellung nicht ausgeführt und ist als Kapitel zu kurz, wenn auch in aller Deutlichkeit erwähnt. Zu Kurz vor allem auch deswegen, weil es in Leipzig ein langes Nachleben hat.

Die Komponisten in Leipzig

Es gab ein Mendelssohn-Denkmal vor dem Gewandhaus in Leipzig ab 1892. Ausdruck einer großen Wertschätzung. Und heutzutage heißt die Leipziger Musikhochschule nach Felix Mendelssohn Bartholdy, weil er sie als erstes Konservatorium in deutschen Landen gegründet hatte. Andererseits wurde 1934 der Grundstein für ein Richard-Wagner-Nationaldenkmal gesetzt. Adolf Hitler kam aus Berlin um diesen Grundstein im heutigen Richard-Wagner-Hain am Elsterflutbecken zu legen:

Konzerthaus Leipzig mit Mendelsohn-Denkmal, 1911 Bildrechte: imago images/Artokoloro

1936 wurde das Mendelssohn Denkmal vor dem Gewandhaus von den Nazis abgerissen, weswegen der Leipziger Oberbürgermeister, Carl Friedrich Goerdeler, vom Amt zurücktrat. Wenn das Stauffenberg-Attentat geklappt hätte, wäre Goerdeler wohl Reichskanzler geworden.

Was zu kurz kommt

Mendelssohn und Wagner haben beide nach 1850 eine Geschichte, die in dieser Ausstellung zu kurz kommt. Zumindest die Dimension dieser Geschichte hätte man anreißen können. Jetzt endet die ganze Sache doch zu verniedlichend: Hochzeitsmarsch mit Rosenkrieg. Dennoch: In Leipzig steht ab dem 20. Juni 2022 die Aufführung sämtlicher Wagner-Opern in chronologischer Reihenfolge an. Die Oper verkauft es unter dem Label: "3 Wochen Schwelgen, 3 Wochen Unendlichkeit, 3 Wochen Rausch".

Im Vergleich zu dieser demnach geplant maßlosen, quasi rein orgiastisch-plumpen Annäherung an Wagner scheint die Herangehensweise des stadtgeschichtlichen Museums doch wieder vorbildlich. Der Wunsch nach einer weiteren Beschäftigung mit den beiden Leipziger Musikern und deren Nachwirkungen bleibt, die Ausstellung "Hochzeitsmarsch mit Rosenkrieg" eine Anregung. Ein schönes Angebot, sich mit den beiden Leipziger Musikern und damit mit der Musikstadt Leipzig zu beschäftigen.

Mehr Informationen zur AusstellungVom 15. Juni bis zum 4. September

Ort:
Im Haus Böttchergäßchen,
Böttchergäßchen 3
04109 Leipzig

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen
10 bis 18 Uhr

Eintrittspreise:
Erwachsene 5 Euro, ermäßigt 2,50 Euro
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei

Freier Eintritt an jedem 1. Mittwoch im Monat

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Dieses Thema im Programm:MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 15. Juni 2022 | 08:40 Uhr