Premiere Magdeburg: Benjamin Brittens Oper "Peter Grimes"

02. Mai 2022, 12:20 Uhr

Am Anfang steht ein Prozess, bei dem das Urteil schon festzustehen scheint: Der Fischer Peter Grimes soll Schuld am Tod seines Lehrjungen sein. Beweisen lässt sich das jedoch nicht. 1945 schrieb der englische Komponist Benjamin Britten mit "Peter Grimes" sein erstes Musiktheaterwerk. Die Oper feierte am Wochenende in Magdeburg Premiere.

Der englische Regisseur Stephen Lawless hat Benjamin Britten Mitte der 1970er Jahre noch persönlich kennengelernt. Gemeinsam mit seinem Landsmann, dem Bühnenbildner Leslie Travers, hat er "Peter Grimes" im Theater Magdeburg inszeniert.

Ein Fischerdorf klagt an

Stephen Lawless und Leslie Travers holen die Geschichte in die Gegenwart, in ein kleines englisches Fischerdorf, das sich im Grunde seit Jahren nicht groß verändert hat. Es ist ein Ort mit Bars, Cafés, Spielautomaten, Spelunken. Die Farben blinken grell und tauchen die Menschen ins immer gleiche Licht.

Hier lebt Peter Grimes, ein Fischer und Eigenbrötler, der abseits der Gemeinschaft steht. Er muss sich vor Gericht verantworten, denn er wird beschuldigt, seinen Lehrjungen ermordet zu haben. Es könnte aber auch ein Unfall gewesen sein. Zeugen gibt es nicht. Doch die Menge im Saal ist sich sicher: Peter Grimes ist schuldig.

Charaktere einer Dorfgemeinschaft

Im Dorf leben so eigentümliche wie typische Gestalten: Da ist der bigotte Pfarrer, der Frommes predigt aber selbst nicht fromm handelt. Da ist die alte Witwe Mrs. Sedley, die gern und viel tratscht, Geschichten in die Welt setzt und es versteht, die Menge damit aufzurühren. Da ist der Apotheker Ned Keene, der eben jene Witwe mit Pillen versorgt, von denen sie abhängig ist. Der Bürgermeister und Rechtsanwalt Mr. Swallow liebt die Halbwelt und lässt sich von den jungen Nichten im Wirtshaus des "Tantchens" verwöhnen.

Hinter jeder Haustür, so scheint es, verstecken sich dunkle Geheimnisse. Doch draußen auf dem Dorfplatz ruft die Menge nach Moral und Anstand. Die Anschuldigungen gegen Peter Grimes werden lauter, als schließlich ein zweiter Junge verschwindet. Missbrauchsgerüchte machen die Runde. Nur die Lehrerin Ellen Orford und der alte Kapitän Balstrode ergreifen für ihn Partei, bis auch sie an Grimes' Unschuld zu zweifeln beginnen. Die Katastrophe ist nicht aufzuhalten.

Naturgewaltige Musik

Der Komponist Benjamin Britten ist in einem kleinen ostenglischen Fischerdorf aufgewachsen und hat die Atmosphäre des Meeres tief verinnerlicht. Er kreiert einen kompletten Kosmos: Der Außenseiter Grimes steht verloren zwischen den anklagenden Rufen des Chores der Dorfgemeinschaft und dem monotonen Signal eines Nebelhorns. Der desolate Zustand der Gesellschaft ist hörbar. In sechs Orchesterzwischenspielen lotet Britten die komplette Naturgewalt aus. Man hört das Meer rauschen, den Sturm kommen, die Sonne glitzern, den Nebel aufsteigen.

Generalmusikdirektorin Anna Skryleva führt ihr Orchester gewohnt sicher durch den Premieren-Abend und durch eine komplexe, anspruchsvolle Partitur. Zuweilen jedoch klingen die Instrumente zu glatt und klar, etwa wenn sich der Schleier über dem Meer erhebt. Oder es fehlt an scharfen und harten Konturen, wenn die Menge wütend aufbraust oder das Meer an den Klippen zerschellt. Trotzdem zieht die Musik von Benjamin Britten in den Bann.

Kraftvolle Stimme

Richard Furman konnte zum wiederholten Mal als Gast in Magdeburg verpflichtet werden. In der anspruchsvollen Rolle des Peter Grimes kann er sowohl sängerisch als auch darstellerisch überzeugen. Furmans Stimme ist kraftvoll und flexibel, klingt hin und wieder in sehr exponierten Lagen aber auch scharf und eng. Am Ende bekommt er zu Recht viel Applaus, genauso wie das gesamte Ensemble. Hervorzuheben sind Noa Danon als Ellen Orford und Sangmin Lee als Kapitän Balstrode – beide mit kraftvollen Stimmen, die aber auch leise, lyrische Momente zeigen.

Was bleibt

Insgesamt ist der Abend eine große Ensembleleistung. Bei allen ist die Spielfreude zu spüren. Das Zusammenspiel zwischen den Protagonisten und dem Chor, der eine große und tragende Rolle spielt, funktioniert, überzeugt, nimmt gefangen. Am Ende blicken wir in den Spiegel menschlicher Naturgewalten und Grausamkeiten. Wir schauen fassungslos in die Menge, die mit ungeheurer Kraft Einzelne in den Abgrund zieht – und machen weiter wie bisher. Ein Musiktheaterabend, der nachwirkt.

Nächste Vorstellungen Sonntag, 08. Mai, 18:00 Uhr
Sonntag, 15. Mai, 18:00 Uhr
Samstag, 21. Mai, 19:30 Uhr
Montag, 06. Mai, 16:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 01. Mai 2022 | 08:30 Uhr

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