Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
RadioRadioKonzerteEnsemblesEnsemblesMDR-ClaraHören & SehenMDR-MusiksommerKontakt
Siyabulela Ntlale als Vangelis, Kakhaber Shavidze als Richter. Bildrechte: Lutz Edelhoff

Oper ErfurtEleni: Oratorium einer Dorfgemeinschaft

von Bernhard Doppler, MDR KLASSIK

Stand: 06. Dezember 2022, 14:49 Uhr

Die Oper Erfurt listet in ihrer "griechischen Spielzeit" auch eine Uraufführung: Mit "Eleni" wagt sich der Komponist Nestor Taylor an seine erste Oper und großen historischen Stoff über Zerstörung, Flucht und Tod. Dabei erschreckt, wie aktuell die 1940er Jahre angesichts des Ukraine-Krieges wieder erscheinen.

In ihrer "griechischen Spielzeit", in der die Oper Erfurt ausschließlich Werke mit griechischer Thematik zeigt – von Richard Strauss' "Elektra" bis zu Jacques Offenbachs Operette "Die schöne Helena", von Gioachino Rossinis "Belagerung von Korinth" bis zu Richard Rodgers Musical "The Boys of Syracuse" – fehlt auch eine Uraufführung nicht: "Eleni"

Ein Journalist als Opernfigur

Der ersten Oper des in Australien geborenen 69-jährigen Komponisten Nestor Taylor liegt der gleichnamige autobiographische Bestseller des Journalisten Nicolas Gages zugrunde. Ein Buch über seine Mutter Eleni, eine griechischen Bäuerin, die im Dorf Lià, das an der griechisch-albanischen Grenze liegt, von kommunistischen Partisanen 1948 zum Tode verurteilt wurde. Sie hatte ihrem neunjährigen Sohn zur Flucht nach Amerika verholfen und so vor einer Deportation in die Slowakei bewahrt.  

Elsa Langer als neunjähriger Nicholas. Bildrechte: Lutz Edelhoff

Lebenserinnerungen eines Zeitgenossen als Opernstoff zu wählen, wirkt ungewöhnlich, zumal Nicolas Gages höchstpersönlich zur Uraufführung von Boston nach Erfurt kam. Gages sah sich als Opernbesucher sogar gleich zweifach als Opernfigur auf der Bühne: sowohl als junger Journalist, der in den 1960er Jahren über den Bürgerkrieg in Griechenland recherchiert, sowie als Kind, das 1948 von seiner Mutter Abschied nimmt.

Während in einer Verfilmung des Bestsellers 1985 (John Malkovic spielt dort Nicolas Gages) vor allem die Verfolgung der Kriegsverbrecher im Zentrum steht, ist es in der Oper die Erinnerung an Szenen im Dorf während des Partisanenkrieges: Gerichtstribunale, Kinderspiele, religiöse Riten.

Ein Oratorium wird zum Lyric Drama

2021 als Oratorium für die Carnegie Hall zur Zweihundertjahrfeier der griechischen Unabhängigkeit vorgesehen, dort aber wegen der Pandemie abgesagt, ist es nun für die szenische Realisation in Erfurt zum "Lyric Drama" umgearbeitet. Es gibt viele Chor- und Kinderchorszenen, aber auch abgehobene einzelne Nummern, vor allem lyrische Reflexionen des Sohnes (Brett Sprague) und dramatische Primadonna-Arien für die jugendliche Mutter Eleni (Jessica Rose Cambio).

Taylors Musiksprache liegt oft sehr nahe am Klangbild eines Giacomo Puccini. Bildrechte: Lutz Edelhoff

Taylor bezeichnet sich selbst als spätromantischen Komponisten. Seine Musiksprache wirkt oft sehr traditionalistisch, aber von impulsiver Rhythmik, vor allem in den Chorszenen, dann wieder sentimental berührend, oft sehr nahe am Klangbild eines Giacomo Puccini. Myron Michailidis, der das Werk nach Erfurt brachte, versteht es jedenfalls mit dem Orchester Erfurt ein hochdramatisches Opernerlebnis zu machen.

Gesungen wird auf Englisch, denn das Land der Hoffnung ist Amerika, ein Zukunftsversprechen das in einer eigenen Nummer besungen wird, während im Hintergrund die Freiheitsstatue projiziert wird. Man denkt an Leonard Bernsteins Musical "West Side Story": "I love to be in America".

Heimat der Auswanderer

Auch Eleni ist in ihrem Dorf, weil ihr Mann zuvor schon nach Amerika auswanderte, die "Amerikanerin" genannt worden. Insofern ist dies eine Oper von Auswanderern, die zwar intensiv ihre Heimat, ihre Mutter suchen, doch sich gleichzeitig davon verabschiedet haben.  

Jessica Rose Cambio als Eleni. Bildrechte: Lutz Edelhoff

Von der realistischen Darstellung des Geschehens im Film ist die Inszenierung von Guy Montavon nicht weit entfernt. In schnellen Schnitten folgen die einzelnen Szenen: abwechslungsreich choreographierte Volksszenen bei Begräbnisritualen, Volkstribunalen, Kinderszenen, militärischen Aufmärschen.

Vor eine Gebirgswand aus Steinquadern schiebt sich bisweilen eine griechisch-orthodoxe Dorfkirche (Bühne Eric Chevalier). Das, was in Nicolas Gages Bestseller auch angedeutet ist, der Bezug auf archetypische Muster der Antike wie Klytämnestra und Iphigenie, kommt dabei jedoch nicht zum Tragen. Es bleibt bei der Bebilderung historischer Vorfälle.

Wiederkehr der Geschichte

Dabei berührt und erschreckt, wie aktuell nun die Kriegszustände und die Kriegsgerichtsbarkeit der 1940er Jahre plötzlich angesichts des Ukraine-Krieges wieder erscheinen: Die brutale Zerstörung von Heimat, die Zwangsumsiedelung von Kindern, die Drangsalierungen der Frauen. 

Erhöhung der Mutter

Angeblich zu ihrem eigenen Schutz wurden damals griechische Kinder von kommunistischen Partisanen zu "Bruderländern" nach Bulgarien, in die Slowakei und in die DDR gebracht. Aber nicht der Krieg, sondern die Rolle einer sehr jungen, selbstbewussten Mutter, die sich voller Leidenschaft für ihre Kinder opfert, ist das Zentrum dieser Oper. Ihre letzten Worte bevor sie erschossen wird:  παιδιά μου (Pedhià mou) – "Meine Kinder".

Weitere Aufführungen 10.12., 16.12., 8.1., 15.1 und 10.2.23

Besetzung

Eleni: Jessica Rose Cambio
Nicholas Gages, ihr Sohn, 24 Jahre alt: Brett Sprague
Nicolas Gages, 9 Jahre alt: Ineke Albus (Elsa Langer)

Regie: Guy Montavon
Dirigent: Myron Michailidis
Chorleitung: Markus Baisch
Ausstattung: Eric Chevalier
Philharmonisches Orchester Erfurt, Chor, Kinderchor und Jugendchor des Theaters Erfurt

Dieses Thema im Programm:MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 05. Dezember 2022 | 08:40 Uhr