Teil 4: Sommerserie Instrumentenbau Am Ursprung des Elektrosounds
Hauptinhalt
Von den Schwierigkeiten, ein Trautonium spielbar zu machen
30. August 2023, 15:44 Uhr
Vor 90 Jahren kam eines der ersten elektronischen Musikinstrumente auf den Markt – das Trautonium. Nur etwa ein Dutzend Exemplare sollen erhalten sein – eines davon steht im Händel-Haus in Halle. Und dank geschickter Hände ist es nun auch wieder spielbar.
Der braune Kasten auf der Werkbank im Elektrokeller der Humboldt-Universität verrät schon äußerlich etwas über seine Entstehungszeit. Wollte man seine Formensprache definieren, müsste man wohl von Neuer Sachlichkeit sprechen, so schlicht, geradlinig und funktionsbetont kommt das Ding daher.
Dazu die schwarz glänzenden Drehknöpfe und Kippschalter aus Bakelit – ein früher Kunststoff, typisch für die 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Für den Blick ins Innere des sogenannten "Volkstrautoniums" der Firma Telefunken aber muss der Fachmann ran – in diesem Fall die Fachfrau. Christina Dörfling hat den Apparat nicht nur aufgeschraubt und mit an der Reparatur gearbeitet, sie kennt auch seine geschichtlichen Hintergründe:
Der Staat und die Industrie als Förderer der Elektromusik
"1928 wurde an der Hochschule für Musik in Berlin die Rundfunkversuchsstelle gegründet", erzählt die Musik- und Medienwissenschaftlerin. "Es gab das neue Medium Rundfunk, das die Musiker*innen und Komponisten gar nicht gewöhnt waren. Sie wussten nicht, wie spreche ich vor einem Mikrofon oder wie nehme ich eine Orchesteraufführung auf. Deswegen haben die Rundfunkgesellschaften und das Kultusministerium von Preußen gesagt, wir wollen, dass Künstler*innen und Ingenieure sich damit auseinandersetzen."
Der Komponist Paul Hindemith gehörte dazu, ebenso Friedrich Trautwein, der wenige Jahre zuvor als Rundfunkingenieur beim Aufbau des ersten Deutschen Senders in Berlin beteiligt gewesen war und der bereits ein Patent für ein elektronisches Instrument angemeldet hatte. Die staatlich geförderte Rundfunkversuchsstelle sowie eine Kooperation mit Telefunken gaben ihm endlich die Mittel an die Hand, um seine Idee Wirklichkeit werden zu lassen – das Trautonium.
Als Expertin für Elektroakustik weiß Christina Dörfling, dass dieser ab 1933 in wenigen hundert Exemplaren gefertigte Apparat nicht das erste elektronische Musikinstrument ist. Bereits ein Jahrzehnt vorher war der Russe Lew Termen mit dem Theremin berühmt geworden – Trautwein aber setzte auf andere Prinzipien der Tonerzeugung:
Das Besondere am Trautonium ist, dass es das erste Instrument war, das in der Lage war, ganze Klänge zu erzeugen, indem es nicht nur einzelne Sinustöne generiert, sondern eine sogenannte Kipp-Schwingung nutzt.
"Das ist eine Schwingung, die ganz viele Frequenzen auf einem Punkt hat, die man dann herausfiltern kann. Damit kann ich ganze Klänge produzieren – und nicht nur einzelne langweilige Sinustöne, die ich dann zusammensetzen muss. Wir haben also keine additive Klangerzeugung sondern eine subtraktive", sagt Christina Dörfling.
Soweit die etwas abstrakte Theorie – elektrisierend wird es, wenn man Christina Dörfling über die Reparatur des Trautoniums sprechen hört. Denn der musikgeschichtlich so wertvolle Kasten steht auf der Werkbank im Elektrokeller der Medienwissenschaft an der Humboldt-Uni in Berlin, weil er zeitweise nicht mehr spielbar war. Christina Dörfling und ihr Kollege Ingolf Haedicke sollten im Auftrag des Händel-Hauses prüfen, ob er wieder spielbar zu machen wäre.
Wertvolles Erfahrungswissen
Ingolf Haedicke hat sich Zeit seines Lebens ganz praktisch mit Elektroakustik beschäftigt. Er kennt sich aus mit Schaltplänen und Röhren, mit Kondensatoren, Transistoren und Schwingkreisen. Bis zu seinem Renteneintritt vor etwa 15 Jahren lehrte er Akustik an der Musikwissenschaft der Humboldt-Uni, heute gibt der 80-Jährige Grundlagenkurse in Elektronik für Medienwissenschaftler.
In seiner Werkstatt in einem Berliner Hinterhofkeller riecht es nach Lötfett und Kolofonium, für den Kenner ist es eine Freude und Ehre, eines der wenigen erhaltenen Trautonium-Instrumente untersuchen und reparieren zu können:
Wir sind mit Schaltplan durchgegangen, haben Widerstände abgelötet, haben gemessen - die Hauptschwierigkeit war, eine Dussligkeit eines Vorgängers zu finden, der aus unerfindlichen Gründen zwei Drähte falsch herum angelötet hatte – obwohl es keinen Grund dafür gibt.
Was Ingolf Haedicke hier so lapidar beschreibt, hat ihn viele Stunden und wohl auch viele Nerven gekostet. Und über den konkreten Fall hinaus erzählt es von einer generellen Schwierigkeit, die Musikinstrumentenmuseen wie das Händel-Haus in Halle haben: Solche Apparate spielbar zu halten sei ein großes Problem, sagt auf Anfrage der Kurator der Stiftung Händel-Haus Halle Karl Altenburg, und zwar, weil sich viele Restauratoren gut auskennen würden mit den 300 Jahre alten Instrumenten, aber nur wenige mit den 100 Jahre jungen aus der Frühzeit der Musikelektronik.
Ein Meilenstein der Musikentwicklung
Im Falle des Trautoniums aus Halle konnte also die Reparatur gelingen und es fügt sich nun wieder ein in die Ausstellung wertvoller Musikinstrumente. Es steht als Dauerleihgabe der Hochschule für Evangelische Kirchenmusik in Halle wieder an seinem Platz im Händel-Haus neben einem Neo-Bechstein-Flügel und einer Hammond-Orgel und gelegentlich wird es im Rahmen der sonntäglichen Konzertreihe "Authentischer Klang" auch angespielt werden.
Besucherinnen und Besucher können dann mehr erfahren über die Bedeutung dieses Instrumentes für die Elektromusik. Neben Hindemith haben Paul Dessau und Hanns Eisler für das Trautonium komponiert, so richtig berühmt wurde es (in seiner ausgefeilten Version als "Mixtur-Trautonium" durch die Musik für den Hitchcock-Film "Die Vögel".
Angefangen aber hat alles mit dem sogenannten "Volkstrautonium" der Firma Telefunken. In der Musikgeschichte gilt es als einer der wichtigsten Vorläufer des Synthesizers, ganze Musikstile sind ohne diesen Meilenstein der Technik undenkbar.
Nur etwa ein Dutzend Original-Instrumente sollen erhalten sein: Was für ein Glück, dass der originale Klang jetzt wieder ab und an hörbar ist im Händel-Haus in Halle.
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 30. August 2023 | 08:40 Uhr