Uraufführung Das Leben der Glikl von Hameln als Oratorium in Weimar

30. März 2022, 15:00 Uhr

An der Schwelle zum 18. Jahrhundert lebte in Hamburg Glikl von Hameln – eine jüdische Kauffrau, die der Welt eine der ersten weiblichen Autobiografien hinterließ. In sieben Büchlein beschrieb sie ihr Leben als einen modern anmutenden Spagat zwischen familiären und geschäftlichen Verpflichtungen, eine Geschichte der Hoffnungen und Rückschläge aber auch die eines großen Lebensmutes. Die Musikhochschule in Weimar bringt nun ein Oratorium auf die Bühne, das dieses faszinierende Leben nacherzählt.

Glikl stammt aus dem Jiddischen und bedeutet: Glück. Ein verheißungsvoller Name für ein Mädchen, das 1647 in Hamburg in eine jüdische Familie hineingeboren wird. Sie selbst wird vierzehn Kinder zur Welt bringen und zugleich ein florierendes Geschäft betreiben – unabhängig, aus eigener Kraft. Glikl von Hameln handelte in Amsterdam, Paris, Wien und Leipzig, durchmaß Höhen und Tiefen und beschrieb ihr Leben in sieben kleinen Büchlein. "Diese Autobiografie ist ein sehr privater Blick auf jüdische Geschichte und dabei eines der frühesten Zeugnisse für nichtadeliges, bürgerliches, weibliches Schreiben", sagt Diana Matut, Judaistin und Expertin für jiddische Sprache.

Glikl war eine der großen Vorreiterinnen ihrer Zeit.

Diana Matut, Judaistin

Diana Matut hat sich eingehend mit Glikls Leben beschäftigt, die Büchlein übersetzt und ein Libretto für ein Oratorium verfasst. Grundsätzlich, sagte sie, folge das Werk stringent den sieben "Bichleyn". Thematisch habe sie nichts geändert. Nur den Blick wollte sie schärfen für jene Themen, die uns heute noch beschäftigen. Und das ist ihr gelungen, etwa indem sie noch weitere Frauen auftreten lässt – solche, die einen besonderen Bezug zu Glikl von Hameln hatten oder noch immer haben.

Die Schauspielerin Ida Kamińska zum Beispiel, die sich zeitlebens dem Werk der Glikl von Hameln widmete. Oder Bertha von Pappenheim, eine Vertreterin der Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts. Sie übersetze Glikls Büchlein erstmals aus dem Westjiddischen ins Deutsche, und sie gehört zu ihren unmittelbaren Nachkommen – wie vor ihr übrigens auch Heinrich Heine. 

Deutsch-jüdische Kulturgeschichte par exellence

Ein Stoff also, der Menschen durch die Zeiten inspirierte und bis heute berührt. Auch Alan Bern – Komponist und Musikwissenschaftler. Vor Jahren gründete er den "Yiddish Summer Weimar" und ermutigte immer wieder befreundete Musikerinnen und Musiker nach Geschichten wie diesen zu suchen und jiddische Sprache und Musik neu zu entdecken. Er erzählt:

"Meine Absicht war nicht, eine historisch getreue Musik zu schreiben. Ich wollte mir die Freiheit nehmen, aus einer bestimmten Stilrichtung heraus zu komponieren. Das ist ein wichtiger Vorgang auch in der jüdischen Musik. Man kann das sogar ableiten aus der Deutung der Tora, des Talmud, nach dem Motto: Wir werfen nicht alles weg, was bisher war, sondern wir behalten, was gewesen ist, und entdecken darin neue Ebenen."

Internationales Oratorium

Und so verbindet er mit Hilfe vier verschiedener Ensembles die Musik des Barock, des Klezmer und der Spätromantik mit Jazz und sogar Pop. Dabei wirken bei diesem Oratorium 35 Studentinnen und Studenten verschiedener Nationalitäten mit. Glikl von Hameln ist Teil der jüdischen Kulturgeschichte in Deutschland. Ihr Leben zu betrachten, heißt auch, uns selbst zu erfahren. Das Oratorium wird zusätzlich im Rahmen der Jüdisch-Israelischen Kulturtage in Erfurt und in Halle zu erleben sein.

Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar
Uraufführung: „Glikl-Oratorye. A Musical Herstory“
Mittwoch, 30. März 2022, Festsaal Fürstenhaus, 20.00 Uhr
Achtung: Die Veranstaltung ist ausverkauft.
Es ist ein Live-Stream ist verfügbar unter: https://www.hfm-weimar.de

Tickets sind noch erhältlich für die Aufführungen am:
Donnerstag, 31. März 2022, Kaisersaal Erfurt, 19.30 Uhr
Samstag, 2. April 2022, Auditorium der Universität Halle, 21.00 Uhr

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | 30. März 2022 | 13:09 Uhr

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