Blick auf die Druckrohrleitungen des Pumpspeicherkraftwerkes Hohenwarte II an der Talsperre des Hohenwarte-Stausees bei Hohenwarte.
Das Pumpspeicherkraftwerk an der Talsperre des Hohenwarte-Stausees. Wie vie Strom erzeugt es eigentlich? Bildrechte: IMAGO/photo2000

Der Redakteur | 07.06.2023 Wasserkraft in Thüringen - Wie viel Potenzial liegt darin?

08. Juni 2023, 10:37 Uhr

Dieter Müller aus Harth-Pöllnitz im Kreis Greiz fragt sich, warum bei erneuerbaren Energien eigentlich nur von Wind und Sonne gesprochen wird. Aber was ist mit Wasserkraft in Thüringen: Haben wir nicht beste Voraussetzungen dafür?

Bei Wasserkraft in Thüringen denken viele zuerst an unsere Pumpspeicherwerke. Goldisthal im Kreis Sonneberg ist unser "Leuchtturm", aber hier wird Strom "nur" gespeichert. Diese Technologie ist erprobt und hat einige Vorteile, die unser Stromnetz schon vor dem Kollaps bewahrt hat. Große Strommengen in kurzer Zeit abzunehmen oder bereitzustellen, das kann nicht jeder innerhalb von 100 Sekunden.

Auch sind unsere Pumpspeicherwerke in der Lage, nach einem Blackout des Stromnetzes, den Anfang zu machen bei einem sogenannten "black start".

Ein Auto braucht auch Strom aus einer Batterie für den Start, anderen Kraftwerken geht es ähnlich. Pumpspeicherwerke können hingegen ohne externe Stromversorgung starten und innerhalb von Sekunden maximale Leistung liefern. Da sie aber am Ende wieder Strom brauchen, um das Wasser wieder ins Oberbecken zu pumpen und kein Perpetuum Mobile sind, "mehren" sie den Strom nicht.

Das aber können zum Beispiel Laufwasserkraftwerke, vergleichbar mit der guten alten klappernden Mühle am Bach. Heute klappert da nichts mehr und auch die Thüringer Fernwasserversorgung hat offenbar nicht laut genug "geklappert", sonst wäre die heutige Frage gar nicht erst entstanden.

Wasser des Flusses Leine läuft zur Belüftung und Aufnahme von Luftsauerstoff über Kaskaden. 10 min
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Hans-Dieter Linz ist Betriebsleiter Thüringer Fernwasserversorgung. Er erklärt, wie lange man schon Strom aus Wasserkraft nutzt.

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Wieviel Strom wird bei uns von Wasser erzeugt?

Die Thüringer Fernwasserversorgung ist stromseitig autark. Das heißt: Man produziert alles selbst, was man braucht und darüber hinaus. Im Jahre 2021 waren es 16,5 Millionen Kilowattstunden Strom, die ins Netz eingespeist wurden. Das hat für mehr als 4.000 Durchschnittseinfamilienhäuser mit jeweils vier Personen gereicht.

Wir haben Wasserkraftanlagen an Talsperren, zum Beispiel seit 1967 an der Ohra-Talsperre. Also was als Trinkwasser genutzt wird, wird oft vorher schon für die Stromerzeugung genutzt.

Hans-Dieter Linz Betriebsleiter Thüringer Fernwasserversorgung

Nun ist die Thüringer Wasserversorgung nicht der einzige Betreiber von Wasserkraftwerken in Thüringen. Laut der Potentialstudie Erneuerbare Energien für Thüringen von 2011 waren zu diesem Zeitpunkt ca. 180 Laufwasserkraftwerke mit einer Gesamtleistung von rund 32 Megawatt installiert.

Diese Anlagen speisten im Jahr 2009 ca. 95 Millionen Kilowattstunden Strom ein. Da die Anlagen der Fernwasserversorgung in diesen Zahlen enthalten sind, kamen wir damals also auf knapp 24.000 dieser typischen 4-Personen-Haushalte. Das ist jetzt nicht die ganz große Menge.

Wieviel Potential hat Thüringen bei der Wasserkraft?

Auch hier liefert die Potentialstudie Zahlen, die allerdings die Freunde der Wasserkraft nicht in Hochstimmung versetzen dürften. Unsere 95 Millionen Kilowattstunden sind umgerechnet 95 Gigawattstunden. Diese verteilen sich sehr ungleich und die Potentiale sind der Studie zufolge bildlich gesprochen nicht mehr als ein paar Eimer Wasser zusätzlich in ein bereits fast gefülltes Fass.

In Mittelthüringen sollte der Ertrag von rund 9 Gigawattstunden im Jahr 2011 auf 13 Gigawattstunden im Jahr 2050 erhöht werden. Nordthüringen bleibt stabil bei rund 2 Gigawattstunden. In Ost- und Südwestthüringen sieht es wegen der bereits vorhandenen größeren Wasserkraftanlagen besser aus. In Südwestthüringen soll es von 23 Gigawattstunden 2011 auf 28 Gigawattstunden im Jahr 2050 nach oben gehen und in Ostthüringen von 60 Gigawattstunden sogar auf 71 Gigawattstunden im Jahr 2050.

Nun waren damals die Wärmepumpen und die E-Autos vielleicht noch nicht so berücksichtigt, wie das eine Potentialstudie von heute tun würde, weshalb es unklar ist, ob der 2011 angepeilte knapp einprozentige Anteil der Wasserkraft am Endenergiebedarf Strom im Jahr 2050 überhaupt noch zu halten ist.

Wie geht es bei den Pumpspeicherwerken weiter?

Betreiber unserer Pumpspeicherwerke ist Vattenfall. Vor einigen Jahren noch gab es Diskussionen, ob diese Art, Strom zu speichern, künftig noch gebraucht werde. Mittlerweile hat sich die Lage radikal geändert: Speicherkapazitäten sind plötzlich gefragt wie nie. Auch solche, die möglicherweise in Zukunft entstehen könnten. Vattenfall hat deshalb im vergangenen Jahr die WSK Puls GmbH gekauft, ein Tochterunternehmen der STRABAG SE und verantwortlich für das Vorhaben "Wasserspeicher-Kraftwerk Leutenberg/Probstzella" in der Nähe von Saalfeld. Das Oberbecken soll bei Schweinbach entstehen, das Unterbecken bei Unterloquitz.

Ein anderes Projekt ist hingegen kein Thema: Die Talsperre Schmalwasser zu einem Pumpspeicherwerk umzubauen. Hier müsste ein Oberbecken errichtet werden, was bei den Menschen in der Region nicht sonderlich gut ankam. Eine Bürgerinitiative hatte sich gegründet und sich mit Kräften gewehrt, heute ist sie sozusagen im Stand-by, so der Vorsitzende Georg Holland-Moritz im MDR THÜRINGEN-Gespräch. Er sieht perspektivisch eher den Umbau zu einer Trinkwassertalsperre für Schmalwasser, was die Talsperre auch schon einmal war. Der Bedarf sei da, er nennt Eisenach und Mühlhausen als mögliche Abnehmer.

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Georg Holland-Moritz ist Vorsitzender der Bürgerinitiative "Kein Energiespeicher am Rennsteig e.V.". Sie wehrt sich gegen ein geplanes Pumpspeicherwerk an der Schmalwassertalsperre.

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Man kann parallel zur Trinkwassernutzung mit Laufwasserkraftwerken noch ein bisschen Energie erzeugen. 

Georg Holland-Moritz Vorsitzender Bürgerinitiative "Kein Energiespeicher am Rennsteig" e.V.

Ein Konzept, das es an der Saalekaskade übrigens auch gibt. Neben Hohenwarte II, was ein reines Pumpspeicherkraftwerk ist, gibt es ja noch Hohenwarte I und Bleiloch. Hier wird der Großteil des erzeugten Stroms ins Netz eingespeist, so Betreiber Vattenfall. An der Bleilochtalsperre wurden laut Vattenfall 2022 über 87 Prozent ins Netz eingespeist. Bleiloch und Hohenwarte I haben 2022 fast 100 Gigawattstunden (GWh) Strom geliefert, rund 10 GWh wurden dabei für das Pumpen genutzt.

Zunehmende Trockenheit und Talsperren - wie passt das zusammen?

Die Trockenheit der vergangenen Jahre hat gezeigt, das Wasser fällt nicht mehr so regelmäßig vom Himmel wie noch vor Jahren. Das sind die ersten auch bei uns spürbaren Auswirkungen des Klimawandels. Neben diesen langen Trockenphasen wird es auch immer wieder Starkregenereignisse geben, in der Summe mag es gleich bleiben, nur landet das Wasser dann (mitunter mit dem Umweg über unsere Keller) direkt in unseren Flüssen und verschwindet gen Meer, statt als sanfter Landregen im Boden zu versickern. Das Ergebnis kann man im Niedrigwasserportal des TLUBN beobachten - oder in den Wäldern.

Talsperren sind ein sehr gutes Mittel, das Wasser zurückzuhalten und als Nebeneffekt auf dem Weg ins Tal Strom zu liefern. Thüringen ist mit seinen Talsperren in einer sehr glücklichen Lage. Trotzdem sind dezentrale Rückhaltebecken ergänzend nötig, um auch jenseits von Trinkwasser zum Beispiel für die Landwirtschaft die nötigen Reserven anzulegen.

Doch die Thüringer Niedrigwasserstrategie geht noch weiter. Wir müssen unser gesamtes Gewässer- und Flächenmanagement hinterfragen. Hierzu zählen die Reaktivierung von Überflutungsflächen und Kleingewässern, die Renaturierung und das Bepflanzen von Gewässern und die Unterstützung des natürlichen Abflussverhaltens der Flüsse und Bäche. Ein verrohrter Bach ist wie ein ICE, der überall nur durchrauscht. Würde sich der Bach wieder wie ein Bummelzug durch die Landschaft schlängeln, hätten auch die etwas davon, die an der Strecke wohnen.

MDR (dvs,mw)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 07. Juni 2023 | 16:40 Uhr

5 Kommentare

martin vor 45 Wochen

@frank3: Sie haben völlig recht, dass der Rückbau vieler kleiner Rückhaltebecken völlig kontraproduktiv war / ist. Aber selbst ein kleiner Damm wird in Thüringen wie eine kleine Talsperre betrachtet. Die damit verbundenen Auflagen sind so teuer, dass die Dämme dann geschlitzt werden. Egal was das auch für das Mikroklima und das lokale Ökosystem bedeutet. Und ja, damit werden die Hochwasser noch befördert.

Allerdings verschärfen Flächenversiegelung und Rückbau kleiner Becken nur die Probleme durch die klimawandelbedingte deutliche Zunahme der Starkregenereignisse (in Anzahl und Heftigkeit) und der damit verbundenen Überschwemmungen.

Frank3 vor 45 Wochen

Komisch, bei uns in der Gegend wurden viele kleine Rückhaltebecken zurück gebaut, Erhalt laut dem Fernwasserverein zu teuer. Gleichzeitig wurden seit der Wende jede Menge Flächen durch Gewerbegebiete versiegelt und dann ist plötzlich der Klimawandel Schuld an den Überschwemmungen.

martin vor 45 Wochen

Ja, ja, die Welt verändert sich. Jetzt gibt es den Stromüberschuß am Tag und nicht in der Nacht. Also: Geschirrspüler, Waschmaschine, Trockner und die Pumpen der Pumpspeicherkraftwerke in den Mittagsstunden laufen lassen.