Mann steht im Heizungskeller und nimmt Einstellungen an Umwälzpumpen vor.
Wer eine Wärmepumpe im Haus hat, braucht nicht zwingend eine Fußbodenheizung. Bildrechte: IMAGO / Sven Simon

Der Redakteur | 09.05.2023 Unsicherheit in Sachen Heizwende: Ab wann sind Wärmepumpen sinnvoll?

09. Mai 2023, 18:56 Uhr

Wie es nicht geht, das haben wir in den vergangenen Wochen gehört. Die Heizwende kommt mit zu vielen Verboten, Regeln und Ausnahmen. Anreize hätten es vielleicht auch getan, wie verlässliche Investitionszuschläge und dazu Wärmepumpentarife, die den Betrieb unschlagbar günstig machen. Doch wenn wir die Bürokratie einmal kurz vergessen: Was geht denn eigentlich für mich?

Unsere Gesprächspartner kommen aus Forschung und Praxis: ein Energieberater der Verbraucherzentrale, ein Gebäudetechnikforscher vom Fraunhoferinstitut, der Thüringer Fachverband Sanitär, ein Wärmepumpen-Fachbetrieb und ein Energienetz-Experte. Wichtigster erster Lehrsatz: Es gibt keine allgemeingültige Lösung. Jedes Haus ist individuell und es sollte auch immer das ganze Haus gedacht werden und nicht nur die Heizung für sich. Zweiter Lehrsatz: Keine Panik, man muss nicht überstürzt tätig werden. Lehrsatz Nr. 3: Die Wärmepumpe braucht keine Fußbodenheizung mehr.

Angesichts der Vielzahl von Unbekannten in der Gesamtrechnung sollte ein Energieberater die erste Anlaufstelle sein. Die Verbraucherzentrale hat solche Berater unter Vertrag, die sind zwar derzeit gut ausgelastet, aber es lohnt sich und kostet nichts, weil der Freistaat Thüringen den Eigenanteil für die Beratung übernimmt. Der Energieberater schaut sich Mauerwerk, Fenster, Dämmung, Dach, Gebäudetechnik und Heizung an und wird am Ende sehr konkret.

Ich komme gerade von einer Ratsuchenden, wir sind an der Grenze bei der Gebäudetechnik, es gibt einige alte Heizkörper, wir haben noch nicht die optimalen Systemtemperaturen für eine Wärmepumpe, aber ein ungenutztes Süddach.

Frank Weber, Schornsteinfeger und Energieberater der Verbraucherzentrale

Hier wären wir bei Lehrsatz Nr. 4: Die Sonne mitdenken.

Unbedingt die Sonne anzapfen

Die Entwicklung auf unseren Dächern liefert das nächste Argument, nichts zu überstürzen. Sogenannte PVT-Systeme, also Kombinationen aus Photovoltaik und Solarthermie, gibt es bereits und die nächste Generation unter Einbeziehung der Wärmepumpentechnologie befindet sich gerade im Zwischenraum Messe/Praxis. Die Idee ist für Forscher wie Sebastian Herkel vom Fraunhoferinstitut keine Überraschung und liegt eigentlich auf der Hand. Die nicht gerade formschönen Außeneinheiten der Wärmepumpen einfach gemeinsam mit Fotovoltaik und Solarthermie aufs Dach zu packen, ist ein Ansatz, der künftig viele Probleme lösen kann.

Ich kann den Wärmetauscher gut verstecken und von der Sonne, die auf die Photovoltaik scheint, auch noch die thermischen Anteile nutzen.

Sebastian Herkel Fraunhofer ISE Geschäftsbereich Energieeffiziente Gebäude

Das heißt: Es gibt dann übers Jahr und über die Tage ganz unterschiedliche Situationen, wo eben die benötigte Wärme mit mehr oder weniger Einsatz der Wärmepumpe erzeugt wird und der benötigte Strom kommt eben dann vom eigenen Dach oder aus dem Speicher oder aus dem Netz. Hier sei noch einmal erwähnt, wie wichtig ein verlässlicher Wärmepumpen-Stromtarif wäre, der – so die Kritik der Verbraucherzentralen – aktuell vielen Verbrauchern gekündigt wird. Das ist ein völlig falsches Signal. Würde hier z. B. die Förderung ansetzen, wäre das Wärmepumpen-Gegenargument "teure Strompreise" komplett erschlagen.

Ein Mitarbeiter des Herstellers von Infrarotheizungen Vitramo befestigt in der Produktion des Unternehmens die Heizmatte in einer Infrarotheizung für die Wandmontage. 20 min
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20 min

Sebastian Herkel vom Fraunhofer Institut erforscht, wie sich der Strom- und Gaspreis verändern wird und welche Heizungen wir in Zukunft verbauen werden.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Di 09.05.2023 16:40Uhr 20:10 min

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Wann gehe ich das Großprojekt an?

Wir erinnern uns an die Wendezeit. Damals konnte es uns nicht schnell genug gehen. Das Kohleschleppen war schon immer eine Qual, die neuen Gas- oder Ölheizungen boten einen Komfortgewinn, der unschlagbar war. Dazu gab es Fenster, die dicht waren, aber leider zum Teil sehr hässliche Vorhangfassaden. Heute ist der Komfortsprung nicht so groß, entsprechend sinkt die Begeisterung, sich die Handwerker ins Haus zu holen.

Neben einer nicht jedem gegebenen Bereitschaft, bei der Klimarettung mitzuwirken, könnten noch Preis und Unabhängigkeit Argumente sein. Preislich sind wir im Moment jenseits von Gut und Böse. Aufgrund dieser Ankündigung ist der Markt leergefegt und so funktioniert eben Marktwirtschaft: Wenn der Markt leergefegt ist, gehen die Preise hoch.

Deshalb sollten sich alle zuerst die Frage stellen, wie alt ist meine Heizung, wird es dafür noch Ersatzteile geben und wann muss die Heizung wirklich ausgetauscht werden. Wer mit einer bis zu 20 Jahre alten funktionierenden Heizung zu dem Schluss kommt, noch einige Jahre Zeit zu haben, der sollte sich diese auch nehmen und die Gasheizung nicht vorschnell gegen eine (momentan sehr teure) Gasheizung auszutauschen, um ja nicht eine (momentan auch sehr teure) Wärmepumpe einbauen zu müssen. Nach einem Termin mit einem Energieberater werden Sie wissen, ob die Wärmepumpe für Sie überhaupt in Frage kommt.

Neu-Errichtete Holzpellet-Heizung im Keller eines Wohnhauses. Holzpellets in der Hand der Hausbesitzerin. Dahinter das Display der Heizung mit dem Touchscreen-Bildschirm zur Bedienung der Anlage. 16 min
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Frank Weber ist Energieberater der Verbraucherzentrale

MDR THÜRINGEN - Das Radio Di 09.05.2023 16:40Uhr 16:08 min

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Ist die Wärmepumpe wirklich für viele die erste Wahl?

Die Wärmepumpe ist besser als ihr Ruf. Vorurteile wie die angeblich nötige Fußbodenheizung und die kalte Wohnung bei tiefen Temperaturen kursieren zwar überall, sind aber schon lange nicht mehr haltbar. Interessanterweise sind Wärmepumpen in den kältesten Teilen Europas am weitesten verbreitet, bilanziert der europäische Wärmepumpenverband.

Derzeit decken Wärmepumpen in Norwegen 60 % des gesamten Heizbedarfs von Gebäuden. In Finnland und Schweden sind es mehr als 40 %. Die drei skandinavischen Länder haben auch die weltweit höchste Anzahl an Wärmepumpen pro Kopf.

Einer, der in Thüringen schon lange an die Technologie glaubt, ist Jens Dietrich, Geschäftsführer der ROHN & Co GmbH in Paitzdorf im Landkreis Greiz. Das Familienunternehmen baut seit fast 25 Jahren die hochwertigen Wärmepumpen eines österreichischen Familienunternehmens ein. Dass das in Zeiten von billigem Gas und Öl nicht günstig war, das ist klar. Nun werden die Karten neu gemischt.

Wir verbauen im Premiumsegment, das man auch im Altbau einsetzen kann, das hat schon einen höheren Einstiegspreis. Das war das Doppelte und Dreifache, was eine Gasheizung gekostet hat.

Jens Dietrich, Geschäftsführer der ROHN & Co GmbH Paitzdorf

Mittlerweile lohnt es sich, Anschaffungspreise und Energiepreise noch einmal sauber durchzurechnen.

Eine Luft Wärmepumpe vor einem Mehrfamilienhaus. 16 min
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Die Firma ROHN in Paitzdorf baut seit fast 25 Jahren Wärmepumpen ein. Geschäftsführer Jens Dietrich wurde früher als Exot belächelt - jetzt wollen alle eine Wärmepumpe.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Di 09.05.2023 16:40Uhr 15:49 min

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Wie dimensioniere ich die Wärmepumpenheizung richtig?

Sebastian Bähring, Technischer Referent beim Fachverband Sanitär Heizung Klima, unterstreicht, dass bei der Dimensionierung der Anlage Vorlauftemperaturen und Heizkörperflächen korrespondieren müssen. Je kleiner, desto heißer. Und ggf. gehören eben neue Heizkörper auch dazu, um nicht am Ende mit zu viel Strom zuheizen zu müssen. Heute gibt es auch Wandheizungen und Deckenheizungen, die nachträglich installiert werden können. Es muss nicht zwingend der Fußboden sein. Aber die Planung muss passen, damit die Rechnung am Ende auch aufgeht.

Faustregel: Eine Kilowattstunde Strom erzeugt ungefähr vier Kilowattstunden Wärme.

Sebastian Bähring, Technischer Referent Fachverband SHK Thüringen

Daraus folgt, je weiter die Preise von Strom und Gas/Öl auseinandergehen, umso schneller rentiert sich die Wärmepumpe. Für einen ersten Eignungstest bezogen auf ihr Gebäude können Sie dieses Tool nutzen.

Hier werden Fragen zu Außenhülle, Zustand und bestehender Heizung gestellt, am Ende bekommen Sie erste Hinweise, wo die Schwachstellen liegen. Übrigens: Viele scheitern an der Frage "Einkreis- oder Zweikreisheizung". Diese lässt sich am besten so beantworten: Sind Ihre Heizkörper quasi in Reihe geschaltet (das schon abgekühlte Wasser geht direkt in den nächsten Heizkörper), dann haben Sie ein Einkreissystem. Wenn quasi alle Heizkörper das heiße Wasser direkt von der Heizung beziehen und einen gemeinsamen Rücklauf nutzen, haben Sie ein Zweikreissystem. Letzteres wäre eine wichtige Voraussetzung für die Installation einer Wärmepumpe.

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Sebastian Bähring vom Fachverband "Sanitär Heizung Klima" rät dazu, jeden Gebäude individuell zu betrachten, um die optimale Heizung zu finden.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Di 09.05.2023 16:40Uhr 18:07 min

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Halten das unsere Stromnetze überhaupt aus?

Die Heutigen nicht, das ist klar, aber das ist ja auch nicht der Plan. Dass es bei mangelndem Netzausbau in Spitzenlastzeiten zu Regeleingriffen seitens der Netzbetreiber kommen kann, das ist aber nicht ausgeschlossen.

Hier ist Süddeutschland mit Bayern und Baden-Württemberg besonders gefährdet, weil der Ausbau nicht wirklich vorankommt. Wichtig ist: Variable Stromtarife werden ein wichtiges Element der Energiewende sein. Allerdings pochen Verbraucherschützer darauf, dass dies auf freiwilliger Basis passieren muss. Wer sich auf variable Tarife einlässt, der heizt oder tankt dann eben in Überschusszeiten für wenige Cent. Früher hieß das mal Nachspeichertarife, heute sind es "intelligente Messsysteme". Alles nicht so neu, wenn auch moderner.

Die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz für den Ausbau der Netze ist für Fabian Huneke vom Energiesystem-Analysten Energy Brainpool das eigentliche Problem. Weder die Versorgungssicherheit sieht er kritisch noch die technischen und ökonomischen Fragen.

Stundenscharfe Analysen würden zeigen, dass es funktionieren wird, wenn wir endlich das nötige Tempo aufnehmen. Er ist auch überzeugt von dem Zukunfts-Konzept der Versorgung Deutschlands mit ausschließlich erneuerbaren Energien, unter Einbeziehung von Grünem Wasserstoff, Batterien usw. Auch wenn man die Kosten durch den Verbrauch teilt, käme man nicht auf sonderlich hohe Strompreise.

Stundenscharfe Analysen zeigen: Es funktioniert, Deutschland mit ausschließlich erneuerbaren Energien zu versorgen.

Fabian Huneke, Energie-Experte Energy Brainpool

Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist auch für Sebastian Bähring ein großes Thema. Er ist Technischer Referent beim Fachverband Sanitär Heizung Klima in Thüringen und freut sich aktuell über die zunehmende Zahl von Lehrlingen in der Branche. Weitere werden trotzdem gern genommen.

Die Arbeit wird in den kommenden Jahrzehnten nicht ausgehen. Man könnte es auch Goldgräberstimmung nennen. Es ist ein Umbauvolumen, mindestens vergleichbar mit der Zeit nach der Wende in Ostdeutschland. Verärgert ist er über die Art und Weise, wie die Energiewende oftmals medial begleitet wird. Auch die Kommunikation des Gebäudeenergiegesetzes hat bei allen erwähnten Schwächen des Gesetzentwurfs viel zu Verunsicherung beigetragen, sagt er. Zum Beispiel die Schlagzeilen, ab 2024 seien Gasheizungen verboten.

Da standen die Schlagzeilen mehr im Vordergrund als das, was wirklich im Gesetz steht.

Sebastian Bähring, Technischer Referent Fachverband SHK Thüringen

Trotzdem fordert er Nachbesserungen, zum Beispiel was die Fristen angeht und dass eine grundlegende Sanierung eben erst dann angegangen werden muss, wenn ein Eigentümerwechsel zur nächsten Generation ansteht. Mit den Fristverlängerungen wäre auch der Druck etwas aus dem Kessel, gerade in Ostdeutschland, wo die Nachwendeeinbauten quasi im Gleichschritt ihre Laufzeitgrenze erreichen.

Welche Lösungen gibt es jenseits der Wärmepumpe?

Die Diskussion über die Einbeziehung von Pelletheizungen wird aktuell noch geführt. Auch hier sind Hybridlösungen mit Solarthermie sinnvoll. Direktheizungen wie Infrarotheizungen mit Strom können alleine oder ergänzend interessant werden, z. B. wenn das Gebäude sehr gut gedämmt ist und/oder durch die Lage als Reihenmittelhaus.

Hier sind vielleicht die Verbrauchskosten etwas höher, aber der Installationsaufwand ist geringer. Und auch hier steht die Frage: Wo kommt der Strom her, welchen Beitrag kann die Sonne liefern, wie groß muss ein Speicher sein? Gerade im Altbestand können Kombinationslösungen sinnvoll sein, sogenannte Hybridheizungen. Solarthermie und/oder Fotovoltaik vom Dach in Verbindung mit Pelletheizungen.

Am Ende muss die Rechnung lauten: Installationskosten plus Verbrauchskosten plus Wartungskosten geteilt durch die Laufzeit des Gesamtsystems. Der schlichte Vergleich Gasheizung = 10.000 Euro und Wärmepumpe = 30.000 Euro ist zu kurz gedacht. Und da ist die Förderung noch gar nicht eingerechnet, die aktuell noch ausgearbeitet wird.

Unabhängigkeit wäre natürlich die Premium-Lösung

Wenn die geplanten Förderprogramme greifen, dann werden plötzlich noch ganz andere Systeme interessant, wie das Picea-System, das zwar mit einem Anschaffungspreis jenseits von 60.000 Euro daherkommt, aber Autarkie verspricht und auch skalierbar ist.

Das heißt: Auch für Mehrfamilienhäuser und Gewerbe eine Lösung sein kann. Keine Stromkosten und keine Heizkosten mehr? Da kann man doch glatt mal den Taschenrechner zückenNicht verbrauchter Strom der PV-Anlage wird übrigens in Wasserstoff umgewandelt, in Gasflaschen, "abgelegt" und bei Bedarf geht es wieder zurück. Das MHD der Energie ist hier jenseits des Winters.

Die technisch entstehenden "Wärmeverluste" werden genutzt für warmes Wasser und die Heizung. Noch ist das System ein Nischenprodukt, aber wir müssen ja nichts überstürzen. Und wenn die Bebauung dichter ist oder 10 Etagenheizungen im Takt arbeiten, sind noch ganz andere Lösungen denkbar, zentrale Heizanlagen bis zu Fernwärme. Auch hier beginnt die Zukunft quasi schon morgen.

Laut Plan ganz präzise im Jahr 2025. Dann soll ein großer Teil Erfurts mit Grünem Wasserstoff beheizt werden. Fernwärme aus Windkraft. Möglich machen es eine alte Gasleitung, ein alter Gasspeicher und neue Windräder, die Energiewende schreibt schon erstaunliche Geschichten.

MDR (jn/dvs)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 09. Mai 2023 | 16:40 Uhr

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