Der Redakteur | 09.01.2023 Warum muss ich Mehrwertsteuer auf Abwasser zahlen?
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Iris Pralow hat von ihrem Abwasserbetrieb ein Schreiben bekommen, wonach seit 1.Januar 2023 Umsatzsteuer auf Abwasser Umsatzsteuer fällig ist. Aber warum?

Hintergrund für die allgemeine Verunsicherung beim Abwasser ist eine EU-Vorgabe gegen Wettbewerbsverzerrung. Der deutsche Gesetzgeber wurde aufgefordert, tätig zu werden. Im Ergebnis zahlen nun einige Verbraucher seit 1.1.2023 Umsatzsteuer auf Abwasser, andere später und die meisten wahrscheinlich nie. Warum das?
Beispiel: Wartung einer Kleinkläranlage
Die beauftragte Wartungs-Firma musste stets 19 Prozent Umsatzsteuer draufschlagen. Wenn der Kläranlagenbesitzer aber den Abwasserverband beauftragt hat, kam er auch schon mal ohne Umsatzsteuer davon.
Mit fairem Wettbewerb hat das nichts zu tun, fand die EU. Im Ergebnis gab es das Steueränderungsgesetz von 2015 und neue Regelungen zur "Unternehmereigenschaft von juristischen Personen des Öffentlichen Rechts (jPöR)" nebst eines Optionsmodells samt Übergangsfristen.
Diese Fristen wurden immer wieder verlängert, auch wegen Corona. Der letzte Verlängerungsbeschluss ist datiert auf den 29. November 2022. Ohne diese Verlängerung wäre es nämlich schon zum 1.Januar 2023 für alle betroffenen Abwasserbetriebe verbindlich gewesen, Umsatzsteuer zu erheben, nun soll es erst am 1.1.2025 verbindlich werden.
Damit verlängerte sich auch die Zeit des derzeitigen Optionsmodells, in die Abwasserbetriebe können, aber nicht müssen. Betroffen sind nur Betriebe, die privatrechtliche Komponenten haben. Die kann es bei der Außendarstellung des Betriebes geben (GmbH oder Verband) und beim "Innenverhältnis" mit den Kunden.
Denn auch ein Verband als "juristische Person des Öffentlichen Rechts" kann die Kundenverträge privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich gestalten.
Als Kunde erkennt man das letztlich daran, ob man einen Bescheid bekommt über Gebühren oder eine Rechnung über ein Entgelt. Dass die Übergangsfrist nun kurz vor Jahresschluss 2022 erneut um zwei Jahre verlängert wurde, muss aber nicht zwingend nur ein Entgegenkommen für die Abwasserbetriebe sein, mehr Zeit für die Entscheidungsfindung zu haben. Auch die Finanzbehörden haben nun etwas Luft, sich um komplexere Fragen zu kümmern.
Es sind viele Detailfragen und verbindliche Anfragen an die Finanzämter noch nicht geklärt. Zumindest nicht abschließend.
Schriftliche Stellungnahme des Thüringer Finanzministeriums Nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG können die entgeltlichen und nachhaltigen Leistungen der juristischen Personen des öffentlichen Rechts (jPöR) aber nur noch dann von der Umsatzsteuer ausgenommen sein, wenn die jPöR die Leistungen im Rahmen der öffentlichen Gewalt, d. h., auf öffentlich-rechtlicher Grundlage und in öffentlich-rechtlicher Handlungsform (z.B. Gebührenbescheid) ausübt. Eine privatrechtliche Handlungsform hat daher zur Folge, dass die erhobenen Entsorgungsentgelte erstmals der Umsatzsteuer unterliegen werden; dies gilt nach Auffassung der Finanzverwaltung selbst dann, wenn Leistungen einem Anschluss- und Benutzungszwang unterliegen.
Warum machen es denn nicht einfach alle gleich?
Die Schwierigkeiten für die Betriebe ergeben sich aus ihren unterschiedlichen Historien. Denn am Ende muss es nicht nur rechtssicher sein, sondern auch verwaltungstechnisch umsetzbar. Verschiedene Abrechnungsvarianten für Kunde A, B oder C sind verwaltungstechnisch eher ungünstig. In diese Falle drohte zum Beispiel der Zweckverband Wasser und Abwasser Vogtland zu laufen.
Uwe Hahn, Mitarbeiter Recht, erklärte die Situation damit, dass in den vergangenen Jahren mehrere kleinere Verbände aufgenommen wurden. Die hatten natürlich ganz unterschiedliche Vertragsverhältnisse zu ihren Kunden, da spielen auch die beliebten Streitthemen wie Anschlussbeiträge oder gezahlte Baukostenzuschüsse eine Rolle.
2016 hatte man es endlich geschafft, einheitliche Abwasserentgelte für alle Kunden zu haben und es hat nun wirklich niemand ein Interesse daran, das nun wieder zu gefährden mit allen Folgen bezüglich jahrelanger Klageverfahren, weil sich jemand benachteiligt fühlt.
Da es bereits seit 1998 privatrechtliche Verträge mit den Kunden gibt, hat man sich entschieden, das auch so zu belassen und schlägt in der Folge die Umsatzsteuer oben drauf. Wobei "oben drauf" eben auch nicht stimmt, denn – Unternehmer kennen das – wer Umsatzsteuer berechnen muss, der darf auch die sogenannte Vorsteuer ziehen, das heißt, bei allem, was er einkauft, Baumaterial, Fahrzeuge, Strom, Gas usw., kann er sich die Umsatzsteuer erstatten lassen.
Das senkt natürlich auch die Kosten und damit den Nettobetrag, auf den dann die Mehrwertsteuer ja erst draufgeschlagen wird. Das klingt verlockend, muss es aber auf Dauer nicht sein. Deshalb gibt es eben die verschiedenen Modelle quer durch Deutschland, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Während Apolda also eine GmbH gegründet hat und Plauen als juristische Personen des Öffentlichen Rechts (jPöR) quasi den "Mittelweg" mit privatrechtlichen Verträgen geht, ist Arnstadt mit dem WAZV Arnstadt und Umgebung eine reine jPöR. Und alle verstehen durchaus, warum sich die Kollegen bei anderen Bedingungen anders entschieden haben.
Wenn man große Investitionen getätigt hat, also Kläranlagenbau usw., da hat es durchaus Sinn gemacht, sich privatrechtlich zu organisieren, weil man dann in den Genuss des Vorsteuerabzugs gekommen ist
Warum kann wird es trotz Erhöhung für einige sogar billiger?
Zunächst werden sich einige wundern, dass zum Beispiel 19 Prozent Mehrwertsteuer oben drauf kommen, es aber z.B. "nur" um 14 Prozent teurer wird. Das liegt daran, nicht alle Kosten einen Mehrwertsteueranteil haben.
Personalkosten zum Beispiel haben keinen. Also: 100 Euro Lohn für die Sachbearbeiterin bleiben auch nach neuem Umsatzsteuerrecht 100 Euro Kosten, die auf die Kunden umgelegt werden müssen. Ein Filtereinsatz hingegen, der ohne Vorsteuerabzugsberechtigung früher 119 Euro gekostet hat (inkl. Umsatzsteuer) kostet nach neuem Recht nur noch 100 Euro, weil 19 Euro vom Finanzamt erstattet werden.
Weil innerhalb eines Jahres aber mehr Sachbearbeiter bezahlt werden mussten als Filtereinsätze, sinkt der Gesamtnettopreis für die Abwasserkunden eben nur leicht. Und wenn auf diesen leicht gesunkenen Preis am Ende die 19 Prozent Umsatzsteuer draufgeschlagen werden, dann haben sich die Kosten unterm Strich eben nicht um 19 Prozent erhöht, sondern - wie im Musterhaushalt der Vogtländer aus Plauen – "nur" um 14 Prozent.
Angenehmer Nebeneffekt für vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmen, die statt eines Bescheids eine Abwasserentgelt-Rechnung mit ausgewiesener Mehrwertsteuer bekommen: Die Mehrwertsteuer gibt’s zurück und unterm Strich stehen sogar geringere Abwasserkosten.
Zocken uns "die" schon wieder ab?
In Thüringen sind aktuell nur wenige Abwasser-Kunden von der Mehrwertsteuer betroffen. Zum Beispiel eben die Kunden der Apoldaer Wasser GmbH. Auch diese Gesellschaft musste 2022 schauen, wie sie mit den allgemein gestiegenen Kosten umgehen soll.
Deshalb habe man mehrere Varianten verglichen, wie die Apoldaer Wasser GmbH schriftlich mitgeteilt hat. Zudem habe der Bund der Steuerzahler den "kleinen, regionalen Wasserwirtschaftsbetrieb" stets zu jeden gezählt, die relativ niedrige Wasser- und Abwasserpreise anbieten und keine üppigen Gewinne, aber auch keine Betriebsverluste haben. Außerdem sei man von den Entscheidungen bezüglich der Kosten auch persönlich betroffen.
Da alle unsere 58 Mitarbeiter auch unsere Kunden sind, ist das Bestreben nach niedrigen Wasser- und Abwasserpreisen sicher glaubhaft.
Wieviel Umsatzsteuer steckt in den Bescheiden?
Auch wenn die Umsatzsteuer in den Gebührenbescheiden nicht ausgewiesen ist, so steckt sie trotzdem drin und das schon seit vielen Jahren. Da sind wir wieder bei dem Beispiel mit dem 119-Euro-Filter.
Während die Apoldaer Wasser GmbH von diesen 119 Euro nur 100 Euro auf ihre Kunden umlegen muss, kann der Nachbar vom Abwasserzweckverband Nordkreis Weimar die Vorsteuer nicht ziehen und legt 119 Euro um.
Trotzdem ist das ein Vergleich mit Äpfeln und Birnen. Zu sehr spielen hier die örtlichen Gegebenheiten wie die geografische und geologische Lage, die Gefällesituation und die Rohrleitungslängen eine Rolle und die daraus resultierenden Investitionskosten.
Hinzu kamen die Zeitpunkte von Betriebsgründungen oder Zusammenschlüssen, die am Ende auch über Fördermöglichkeiten usw. entschieden haben und alles zusammen führte dann zu einer Entscheidung über Rechtsformen und Vertragsgestaltung. Und das ist alles andere als leicht.
Ich bin ganz ehrlich, mit 6 Mitarbeitern sitzt man dann schon alleine da und muss ein eigenes Satzungsrecht schaffen für das Entsorgungsgebiet.
Auch wenn die Zahlen zweier Betriebe also nur bedingt vergleichbar sind, so zeigt der Vergleich Apolda/Nordkreis Weimar doch, dass die Rechnung inklusive Mehrwertsteuer nicht zwingend zu höheren Kosten führen muss.
Der Abwasserzweckverband Nordkreis Weimar berechnet seinen "normalen" Haushalten 2,65 Euro pro Kubikmeter und wird das auch künftig ohne Mehrwertsteuer tun, während die Apoldaer Wasser GmbH trotz Mehrwertsteueraufschlag seit 1.1.2023 nur auf 2,20 Euro kommt.
Das relativiert auch die vermeintliche "Aufregung" bei jenen in Apolda, die spontan das Gefühl haben, mal wieder "abgezockt" zu werden. Und trotzdem ist die Geschichte rund ums Abwasser typisch deutsch: Alle Verbraucher machen das gleiche, sie betätigen den Spülknopf und fragen sich: Wie hilfreich sind für die nun folgenden mechanisch-biologischen Prozesse einer Kläranlage eigentlich die fiskalisch-bürokratischen?
MDR (dvs,nis)
Ramm am Nachmittag