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Kampf um die NarrenfreiheitWas darf Satire?

03. August 2021, 17:49 Uhr

Die Zeiten der Situationskomik und Clownereien, der Sahnekuchen-ins-Gesicht-Bananenschale-Ausrutsch-Gags und derben Tollpatsch-Nummern im Fernsehen ist vorbei. Heute will Satire bei allem Witz ernst genommen werden. Aber kennt sie auch Grenzen?

von Jenni Zylka

Kampf um die Narrenfreiheit

In der modernen Gesellschaft ist ein Großteil des öffentlichen Humors Satire. An der Definition hat sich seit Jahren kaum etwas verändert: Satire darf immer noch alles. Oder zumindest vieles. Allerdings in unterschiedlichen Abstufungen: In den USA besteht der politische Humor in einigen tagesaktuellen Talkshowformaten zwar eher im durch den Kakao ziehen (oder vornehmer: der Ridikulisierung). Faustregel: Die Witzdichte mit schlagfertigen Sprüchen oder "Onelinern" ist hoch, die Witztiefe jedoch nicht besonders. Bei einem Besuch des angehenden Präsidenten Trump 2016 in Jimmy Fallons "Late Night Show", schrumpfte eine mögliche Kritik an Trumps Positionen zu oberflächlichen Sitcom-Momenten zusammen. Fallon wuschelte Trumps Frisur durcheinander (und mokierte sich damit sanft über dessen Eitelkeit). Satirisch war das nicht, eher ein hämisches Necken. Seine Kollegen wie Jimmy Kimmel oder Stephen Colbert sind dagegen weitaus politischer und tiefgründiger – doch ihr Erfolg schwankt mit den Anlässen: Nach Trumps Abwahl brach in den USA sowohl der Konsum an Nachrichten, als auch an solchen Late Night Shows ein. Aktuell scheint sich aber eine Kehrtwende abzuzeichnen.

Böhmermanns Spottgedicht führte zur Gesetzesänderung

Satire ist auch in Deutschland oft das Mittel der Wahl, wenn es um politisch-gesellschaftliche Kommentare geht. Durch die jahrzehntelange Präsenz in den Medien (unter anderem "Satiregipfel", "Scheibenwischer", "heute-show", "Neo Royale" und "extra 3", oder "Titanic" und "Eulenspiegel" im Printbereich) bzw. als Medium gehört sie zum gesellschaftlichen Diskurs dazu. Das gilt auch für ihre vielen Wandlungen und Wiedergeburten z.B. als (Stand-Up-)Comedy.

Satire löst auch immer wieder Gegenwind aus. Einen echten Taifun bekam 2016 Jan Böhmermanns satirisches Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ab. Mit seinem Spottgedicht wolle er der Öffentlichkeit den Unterschied zwischen Satire und illegaler Schmähkritik aufzeigen, argumentierte Böhmermann damals. Im Vorfeld hatte die NDR-Sendung "extra 3" mit dem Song "Erdowie, Erdowo, Erdowan" die türkische Regierung verärgert.

Böhmermanns Gedicht führte später zu einer Gesetzesänderung: Unter Berufung auf den Paragraphen 103 des Strafgesetzbuchs (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) hatte die Türkei einen Prozess gegen den Moderator und Satiriker verlangt. Der Paragraph wurde nach langen, kontroversen Diskussionen vom Bundestag abgeschafft, Böhmermann kam mit einem Schrecken davon. Eine Satire, hatte die deutsche Staatsanwaltschaft schon vorher bereits erklärt, sei keine Beleidigung, wenn "die Überzeichnung menschlicher Schwächen" keine "ernsthafte Herabwürdigung der Person" enthalte.

"Titanic" hält Klagen-Rekord

Noch hält allerdings das Satiremagazin "Titanic" den Satire-Anklage-Rekord: Knapp 60-mal war die Zeitschrift bislang in Rechtsstreitigkeiten verwickelt, zahlreiche Ausgaben wurden verboten. Die Redaktion wurde von Apple Deutschland, der katholischen Kirche und jeder Menge Politikerinnen und Politikern und zahlreichen Prominenten verklagt. Mehrfach stand wegen hoher Forderungen oder Kosten eines Rechtsstreits die Existenz des Magazins auf dem Spiel.

Die Auffassung, dass Satire alles darf, wird vor allem im religiösen Bereich nicht uneingeschränkt geteilt. Bei einem Terroranschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo" wurden im Jahr 2015 zwölf Menschen ermordet. Jahre vorher gab es bereits Brandanschläge und Morddrohungen gegen die Print-Satirikerinnen und Satiriker – das Magazin hatte wiederholt Karikaturen, also satirische Zeichnungen, über den islamischen Propheten Mohammed gedruckt. Die beiden Täter, die sich später zur islamistischen Terrorgruppe Al-Qaida im Jemen bekannten, ermordeten am 7. Januar 2015 elf Personen in den Redaktionsräumen der Zeitung, auf der Flucht erschossen sie noch einen Polizisten. Zeitgleich tötete ein Mann, der sich mit dem Anschlag auf Charlie Hebdo solidarisch erklärte, fünf weitere Menschen.

Satire kann also tödlich enden – wenn sie Menschen trifft, für die zwischen Humor, Kritik und Religion unüberwindbare Mauern bestehen.

In Deutschland tobt der Kampf um die Narrenfreiheit

Doch auch in Deutschland ist ein zum Glück unblutiger, aber erbitterter Kampf um die "Narrenfreiheit" längst im vollen Gange. Vor allem durch die sozialen Medien wächst er mit der Vielzahl der Stimmen und Reaktionen. Hat die österreichische Kabarettistin und Satirikerin Lisa Eckhart Grenzen überschritten und antisemitisch gehandelt, weil sie in einem 2018 gesendeten Kabarettbeitrag "politische Korrektheit" in Bezug zu Fehlverhalten von auch jüdischen Männern setzte? Hört Satire in dem Augenblick auf, das "Richtige" (nämlich Kritik an einem falschen Herrschaftsverhalten) anprangern zu wollen, wenn sie genau die Klischees reproduziert, die sie eigentlich brechen sollte?

Im Zusammenhang mit einem seiner RBB-Podcasts wurde dem Satiriker Serdar Somuncu 2020 unter anderem Sexismus vorgeworfen: Somuncu hatte in einer inzwischen aus dem Internetangebot entfernten Ausgabe dieses Podcasts das Phänomen "Cancel Culture" thematisiert. Also das Boykottieren derjenigen, die angeblich rassistische oder sexistische Aussagen machen. Somuncu hatte rausgehauen, dass Menschen, die sich über so etwas aufregen, vor allem "hässliche Frauen" seien, "die keinen Sex haben". Ist das (noch?) eine satirische Äußerung? Oder schlummert darunter Misogynie? (Wer Somuncus regelmäßige RBB-Livesendung verfolgt, hört übrigens immer wieder abfällige Sprüche über Frauen, während der Moderator gleichzeitig mögliche Abwertungen von Menschen mit Migrationshintergrund sensibel thematisiert.)

Auch Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer wurde durch einen Post in den Ist-das-Satire-bzw.-Ironie-Strudel gezogen, in dem er unterzugehen droht: Palmer hatte einen Facebook-Kommentar eines klar rassistischen Users ironisch wiedergeben. Er habe ihn dadurch brechen wollen, so Palmers Begründung. Doch tatsächlich wurden so die Rassismen des Original-Posts reproduziert. Weil Palmer bereits einige Male mit ambivalenten bis klar vorurteilsbelasteten Aussagen gegenüber Nicht-Weißen aufgefallen ist, könnte dieser vielleicht ironisch gemeinte, aber eben nicht ironisch verstandene Post ihm politisch das Genick brechen: Ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn läuft.

#allesdichtmachen: diffus und unausgegoren

Eine riesige "War doch nur Satire!"-Flutwelle zog Ende April die "#allesdichtmachen"-Aktion einer Gruppe von Schauspielerinnen und Schauspielern mit sich. Sie hatten – mal mit dem Ziel, überzogene Corona-Maßnahmen zu kritisieren, mal, um eigene Ängste zu postulieren – unter diesem Hashtag Videos mit "satirischen" Kommentaren im Netz veröffentlicht. Doch so platt bis diffus die Kritik war, so durchsichtig war die Intention einiger Beteiligter, einfach nur mal wieder ein Publikum zu haben, dass die Absicht, wie sie auch immer genau lautete, ins Leere lief. Die Reaktionen waren höchst ambivalent – und die in der Krise gewachsene gesellschaftliche Spaltung wurde nochmal vergrößert. Dass sich die Macherinnen und Macher dann auch noch teilweise wunderten, missverstanden zu werden, ist Beleg für die Unausgegorenheit der ganzen Idee.

Dass es so oft Streit um Satire gibt, hat dabei schlicht auch mit deren medialer Präsenz und dem Erfolg zu tun. Es schauen heute mehr Menschen die "heute-show" als das "heute-journal". Wenn Böhmermann etwas kritisiert, wird das eher gehört und geteilt als ein Kommentar in den "Tagesthemen". Auch gesellschaftliche Debatten um sperrige Themen wie strukturellen Rassismus oder politisches Fehlverhalten finden mehr Aufmerksamkeit, wenn sie bei Carolin Kebekus (die eher "Comedy" als Satire macht) oder Böhmermann stattfinden, als wenn sie klassische Polit-Talkshows humorfrei diskutieren.

Satire muss Herrschaftshandeln kritisieren

Eines gilt es dabei festzuhalten: Satire kann eine unterhaltsame und effektive Form sein, Kritik, Haltung und Meinung zu äußern. Doch man sollte den Zusammenhang zur Narrenfreiheit und deren Entstehungssituation nicht vergessen. Die Hofnarren des Mittelalters bedienten sich dieses Privilegs, um in einer hierarchisch organisierten Ständegesellschaft zumindest hin und wieder Kritik üben zu dürfen. Damit Satire im Sinne ihrer Definition wirklich funktioniert, darf sie ausschließlich nach oben treten. Satire muss festgefahrene, ungerechte Machtverhältnisse thematisieren und sich für Menschen einsetzen, für die sich zu selten jemand einsetzt.

In der Praxis heißt das, dass sich jede Satirikerin und jeder Satiriker überlegen muss, ob er oder sie auf dem Weg dahin Missverständnisse in Kauf nehmen möchte. Und ob das Ziel, das ja eine Verbesserung der Verhältnisse sein sollte, damit schneller oder langsamer erreicht wird. Die #allesdichtmachen folgende Diskussion sorgte für, wenn man die angebliche Intention ernst nimmt, ja gerade nicht für differenziertere Aufklärung. Sie schuf keinen Konsens, sondern verbreiterte die Gräben sogar noch. Boris Palmer schadet seiner politischen Karriere, trägt aber sonst wenig zur Aufklärung im weitesten Sinne bei. Und auch Serdar Somuncu hat nicht dafür gesorgt, dass Missverhältnisse kleiner werden.

Stattdessen duften aktuell immer mehr Fälle solchen Satirestreits ungut nach Eitelkeit: Wenn das Ziel einer satirischen Aktion eher Aufmerksamkeit für den oder die Verfasserin als für Gerechtigkeit zu sein scheint, dann wird Satire missbraucht. Und das stinkt. Vielleicht wäre der längere, langweiligere, todernste Weg in solchen Fällen effektiver gewesen.

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