Studie über Wirtschaftlichkeit der Zeitung Wenn sich das Abo nicht mehr rechnet

01. September 2020, 10:56 Uhr

Deutschland ist ein Zeitungsland. Hier erscheinen täglich rund 350 Tageszeitungen, die Gesamtauflage lag Ende 2019 bei immer noch stattlichen 13,5 Millionen gedruckten Exemplaren - jeden (Werk-)Tag. Damit ist Deutschland der größte Zeitungsmarkt in Europa und liegt auch im Weltvergleich weit vorn.

Studie über Wirtschaftlichkeit der Zeitung Zustellung der Tageszeitungen 2020 | 2025

Deutschlandkarte mit wenigen farbigen Punkten.
Bildrechte: MDR MEDIEN360G / Schickler 2020 - Standortanalyse der Zustellung für Tageszeitungen in Deutschland
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Bildrechte: MDR MEDIEN360G / Schickler 2020 - Standortanalyse der Zustellung für Tageszeitungen in Deutschland
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Doch ob das auch so bleibt, ist fraglich. Eine aktuelle Studie der Beratungsfirma Schickler, die seit Jahren viele Zeitungsverlage berät, zeichnet ein düsteres Bild. Sie warnt davor, dass das Geschäft mit der gedruckten Zeitung mehr und mehr unwirtschaftlich zu werden droht. Das hat schon in den vergangenen Jahren zu Spar- und Umbaumaßnahmen bei vielen Zeitungen geführt. Als letzte Konsequenz droht dann die Schließung vieler Titel - vor allem bei den Regional- und Lokalzeitungen. 

Regional- und Lokalzeitungen sind das Rückgrat der Presse

Dabei sind sie für Deutschland ganz besonders wichtig. Auch wenn überregionale Blätter wie die Frankfurter Allgemeine (FAZ), die Welt oder die Boulevardzeitung Bild vielleicht bekannter sind: Die Regional- und Lokalzeitungen sind das Rückgrat der vielfältigen deutschen Presselandschaft. Von den 13,5 Millionen täglichen Zeitungsexemplaren insgesamt entfallen nämlich 10,7 Millionen - also rund 80 Prozent - auf regionale und lokale Titel. Zum Vergleich: Alle Überregionalen kommen zusammen auf gerade einmal 900.000 Exemplare täglich (6,7 Prozent); alle Boulevardblätter zusammen gehen noch knapp zwei Millionen (14 Prozent) mal am Tag über die Theke des Zeitungskiosks.

Doch die Auflage fast aller Blätter geht seit Jahren zurück. Vor 30 Jahren war die Gesamtauflage der deutschen Zeitungen doppelt so hoch wie heute, noch 2010 verkauften sie jeden Tag rund sieben Millionen Exemplare mehr als Ende 2019. Das hat massive Folgen für die Wirtschaftlichkeit der Zeitungsverlage. Sie haben zwar in den vergangenen Jahren massiv in papierlose, digitale Angebote wie E-Paper investiert. Auch die sogenannte Gratiskultur im Netz ist zunehmend auf dem Rückzug. Fast alle Regional- und Lokalzeitungen stellen ihre Inhalte online nicht mehr komplett kostenfrei zur Verfügung, sondern arbeiten mit den verschiedensten Bezahlmodellen und Paywalls.

Digitalgeschäft kann Print-Verluste frühestens 2025 ausgleichen

Eine Gruppe sitzt, die Zeitung lesend. Darüber eine Hand mit einem Geldstück. Darunter der Schriftzug: Wie sich Lokaljournalismus finanziert. 1 min
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Früher waren Werbeeinnahmen die Haupteinnahmequelle der Zeitungen und viel wichtiger als der Verkauf an Leserinnen und Leser. Heute hat sich das radikal verändert. Und online wird längst noch nicht genug verdient.

Mo 24.08.2020 12:47Uhr 01:21 min

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„Zwar wird die gedruckte Tageszeitung langfristig von der digitalen Tageszeitung substituiert werden. Doch die Tageszeitungen in Deutschland benötigen noch Zeit, bis sie die Verluste aus dem Printgeschäft mit dem Digitalgeschäft kompensieren können. Diese Entwicklung benötigt in Deutschland noch mindestens fünf Jahre“, schreiben die Berater von Schickler in ihrer im Auftrag des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger e.V. (BDZV) verfassten Untersuchung. „Bis dahin geraten Verlage zunehmend unter Druck, angesichts steigender Kosten und sinkender Erlöse weiter in der Fläche präsent sein zu können.“

Regional- und Lokalzeitungen werden klassischerweise im Abonnement bezogen. Das heißt, die Leserinnen und Leser schließen einen Vertrag mit dem Zeitungsverlag und bekommen über einen längeren Zeitraum das Blatt ihrer Wahl frühmorgens nach Hause geliefert. Dafür erhalten sie einen deutlichen Preisnachlass: Würden sie die Zeitung jeden Tag einzeln am Kiosk kaufen, wäre das je nach Region zum Teil doppelt so teuer.

Rund 100.000 Zustellende sichern das deutsche Abo-System

Doch diese morgendliche Zustellung ist laut Studie die Achillesferse im System: An jedem Werktag werden rund 10 Millionen Tageszeitungen durch 100.000 Zusteller und Zustellerinnen der Verlage zum Wohnhaus der Leser zugeliefert. In Deutschland wird die Zeitung traditionell zum Frühstück oder zumindest frühmorgens gelesen. Daher ist die Post keine Alternative, denn sie kommt im Allgemeinen deutlich später.

Weil die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten schrumpft, wird dieser Service der Verlage gemessen am einzelnen Zeitungsexemplar bzw. Abo immer teurer. Laut Studie haben in den letzten fünf Jahren sinkende Abo-Auflagen und steigende Löhne der Zustellerinnen und Zusteller die Kosten für die Zustellung um 70 Prozent ansteigen lassen. Aktuell machen die Zustellkosten knapp 20 Prozent des Gesamtumsatzes der gesamten Zeitungsbranche aus, der 2019 bei rund 7 Milliarden Euro lag. Bis 2025 prognostiziert Schickler einen weiteren Anstieg der Zustellkosten um noch einmal eine halbe Milliarde Euro.

Zeitungszustellung bereits heute oft nicht mehr wirtschaftlich

Die so genannte Frühzustellung der Tageszeitungen sei in vielen Regionen in Deutschland bereits heute nicht mehr wirtschaftlich, so die Studie. In fünf Jahren könnten „40 Prozent der deutschen Gemeinden nicht mehr zu betriebswirtschaftlich vertretbaren Konditionen mit einer gedruckten Tageszeitung beliefert werden“. Daher drohten „in Deutschland Landstriche zu entstehen, in denen eine mediale Versorgung infrastrukturell nicht mehr gegeben ist“.

Einen erster Vorgeschmack dieser Entwicklung hatte schon 2019 in Thüringen für erhitzte Debatten gesorgt. Hier hatte die Zeitungsgruppe Thüringen, die die Thüringer Allgemeine, die Thüringische Landeszeitung und die Ostthüringer Zeitung herausgibt, entsprechende Planspiele angestellt. So wurde überlegt, die Zustellung der gedruckten Zeitung in Gebieten, in denen sie sich nicht mehr rechnet, einzustellen. Die Leserinnen und Leser sollten stattdessen auf digitale Kanäle ausweichen. Dazu ist aber eine gute Internet-Versorgung nötig, die in Deutschland vor allem in ländlichen Regionen oft zu wünschen übrig lässt.

In „Nachrichtenwüsten“ sinkt die Wahlbeteiligung

In den USA gibt es schon heute so genannte „News Deserts“, also Gebiete, in denen es gar keine lokale Zeitung mehr gibt. Die Journalistik-Professorin Wiebke Möhring von der Technischen Universität Dortmund, die sich seit Jahren mit der Bedeutung von Lokalzeitungen und Lokaljournalismus beschäftigt, warnt vor dieser Entwicklung. „Wir sehen, dass in solchen Regionen zum Beispiel die Beteiligung an Wahlen und an politischen Prozessen nachlässt, weil es keine Lokalberichterstattung mehr gibt“, sagt Möhring im Gespräch mit MDR MEDIEN360G. „Eine lebendige Stadt und damit auch eine lebendige Demokratie braucht aber Informationen. Wenn ich diese Informationen nicht habe, wird mir die Möglichkeit entzogen, mich aktiv ins politische und auch in das gesamte soziale Geschehen einzubringen. Schlicht gesagt: Wenn ich nicht weiß, was passiert, kann ich mich nicht einbringen.

Sollten die Prognosen von Schickler eintreten, würden auch in Deutschland solche lokalen Nachrichtenwüsten drohen. Für ein demokratisches Gemeinwesen, das wie die Bundesrepublik „von unten“ föderal aufgebaut ist, wäre das fatal.