Collage des Panels "Breaking News: Medien in Krisenzeiten" auf den Medientagen Mitteldeutschland 2022.
Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Viktoria Conzelmann

Medientage Mitteldeutschland 2022 Berichterstattung über Krisen: Lösungen statt Alarmmodus

01. Juni 2022, 17:03 Uhr

Die globalen Krisen unserer Zeit überlagern und verstärken sich gegenseitig. Viele Menschen leiden unter dem Dauerfeuer negativer Nachrichten, andere schotten sich bereits ab. Nach Ansicht von Medienfachleuten braucht es mehr Konzentration auf Lösungen statt Probleme. Branchenvertreter sprechen sich bei den Medientagen Mitteldeutschland (MTM) für mehr Service- und Hintergrundberichterstattung aus.

Über zwei Jahre Pandemie in den Knochen, den Ukraine-Krieg vor Augen und die Klimakrise im Unterbewusstsein – globale Krisen haben die (Medien-)Wirklichkeit in den vergangenen Jahren dominiert. "Die Leute können zum Teil nicht mehr", sagt die Medienexpertin Ellen Heinrichs bei den MTM in Leipzig. Die Geschäftsführerin des Bonn Institute, das sich für Veränderungen im Journalismus einsetzt, stellt gerade bei jüngeren Menschen eine negative Weltsicht fest: "Nach einer aktuellen Befragung geht die Hälfte der jüngeren Menschen davon aus, dass die Welt unrettbar verloren ist".

Doomscrolling und News Avoiding

Viele Menschen verändern wegen der permanenten Krisenberichterstattung ihren Medienkonsum, berichtet Meinolf Ellers, Medienmanager bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Ein Teil des Publikums betreibe sogenanntes Doomscrolling. "Einige Mediennutzer lesen bis tief in die Nacht die Ticker und Liveblogs zum Krieg oder Corona und können einfach nicht damit aufhören", beschreibt er. Andere Menschen vermieden hingegen, Nachrichten überhaupt noch zu verfolgen. Ellers spricht von News Avoiding. "Das sind keine exotischen Dinge, das sehen wir in großer Zahl."

Um mit den veränderten Bedürfnissen des Publikums umzugehen, sehen die Fachleute vor allem drei Ansatzpunkte: Mehr Beteiligung der Mediennutzenden, mehr Transparenz im Umgang mit journalistischer Arbeit und insbesondere mehr Orientierung an Lösungen, Stichwort Lösungsorientierter Journalismus. Ellen Heinrichs rät der Branche: "Journalistinnen und Journalisten sollten nicht all ihre Zeit darauf verwenden, das Problem zu beleuchten. Sie sollten auch schauen, wer arbeitet bereits an einer Lösung oder wo auf der Welt wurde schon eine Lösung gefunden". Es gehe darum, den "Zustand der Handlungsunfähigkeit" zu überwinden. Das sei auch bei Themen wie dem Ukraine-Krieg möglich, etwa indem man über den geplanten Wiederaufbau berichte oder darüber, wie frühere Kriege beendet wurden.

Dienstleister sein und dranbleiben

WDR-Intendant Tom Buhrow wollte in der Diskussion statt von Konstruktivem oder Lösungsorientiertem Journalismus lieber von einer "Dienstleistungsmentalität" sprechen. "Wir sind in der Pflicht, nicht nur Aktualität abzubilden", sagte er. Die diversen Fachredaktionen und -Sendungen in der ARD könnten die Krisen etwa auch aus Sicht der Wissenschaft oder der Wirtschaft betrachten. Auch Ratgeber seien wichtig. Als Beispiel nannte er die Frage, wie Eltern ihren Kindern den Krieg erklären können. "Wir müssen den Menschen bei dem helfen, was ihnen wichtig ist. Dafür brauchen sie nicht unbedingt so etwas wie Konstruktiven Journalismus. Es darf nicht in einen aktivistischen Journalismus abdriften", sagte der ehemalige Tagesthemen-Moderator.

Demgegenüber befürwortete Natalie Müller-Elmau, Leiterin der Programmkoordination bei 3sat, eine stärkere Lösungsorientierung. Durch seine besondere Ausrichtung auf Wissenschaft und Kultur sowie als Drei-Länder-Sender könne 3sat Hintergründe gut multidimensional beleuchten. "Was wir außerdem meiner Meinung nach brauchen, ist eine Nachhaltigkeit in der Informationsweitergabe", sagte Müller-Elmau. Es gehe darum, regelmäßig auf die Themen zu gucken. Als Beispiel nannte sie die gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie.

Mehr Partizipation und Transparenz

Meinolf Ellers von der dpa unterstrich, dass es bei den öffentlich-rechtlichen Sendern und den Zeitungsverlagen größere Veränderungen brauche, um insbesondere die jüngeren Zielgruppen zu erreichen: "Alle denken nach wie vor zu sehr im alten Sender-Empfänger-Schema. Das funktioniert nicht mehr." Es brauche mehr Partizipation und Transparenz. "Ein Teil der Jüngeren weiß überhaupt nicht mehr, was die Nachrichten überhaupt mit ihrem Leben zu tun haben."

Ellers berichtete vom Projekt "Use the News", bei dem sich mehrere große Medienmarken und andere Akteure zusammengeschlossen haben, um die Zukunft von Nachrichtennutzung und Medienkompetenz im digitalen Zeitalter zu erforschen. Im Rahmen des Projekts würden etwa Schulklassen mit Lokalredaktionen zusammengebracht. "Die Schülerinnen und Schüler erstellen die Inhalte selbst, die Journalistinnen und Journalisten unterstützen. So entstehen Inhalte aus der Zielgruppe für die Zielgruppe," erläuterte Ellers. Mit Blick auf die Krisen der Welt sei es aber eine schwierige Gratwanderung: "Wir müssen in die Herzen und Köpfe kommen, ohne im permanenten Alarmmodus zu sein."

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