Ein stilisierter Mensch, der nachdenkt. Sein Gehirn wurde durch digitale Schaltungen dargestellt. Daneben: Stilisierter Donald Trump und eine Hand mit Europa-Wahlzettel.
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Big Data und Wahlkampf Welche Wahlkampf-Strategien nutzen die Parteien?

24. Mai 2019, 19:15 Uhr

Maßgeschneiderte Informationsangebote für Wähler sollen den Wahlerfolg für die Parteien sichern. Doch deutsches Datenschutzrecht lässt nicht so viel zu wie in den USA. Trotzdem investieren die Parteien in die Digitalisierung ihrer Parteiarbeit und den digitalen Wahlkampf.

Noch wenige Tage bleiben im Wahlkampf für die Europa- und Kommunalwahl in Mitteldeutschland. Die Zahl der Plakate an den Laternenmasten nimmt zu, zumindest in den größeren Städten. Ein anderer Schauplatz des Wahlkampfes ist das Internet. Der digitale und datengestützte Wahlkampf ist spätestens seit der Bundestagswahl 2017 in Deutschland angekommen. Erstmals wurden Apps für den Tür-zu-Tür-Wahlkampf genutzt. Auch das Internet als Werbeplattform wurde entdeckt. Ganz nach dem Vorbild der USA wurden erste Versuche unternommen, eine datengestützte Wähleransprache zu installieren.

Grundlage dafür sind persönliche Daten von Wählern. Den Parteien ist es gestattet, für Wahlkampfzwecke Einwohnermeldedaten (Name, Wohnort, Alter) und die Daten von privaten Anbietern (z.B. Deutsche Post Direkt GmbH) anzukaufen. Mit deren Hilfe und dem so genannten Microtargeting versuchen die Parteien, potentielle oder unentschlossene Wähler zielgerichtet anzusprechen.

In den USA ist das Microtargeting spätestens seit den Wahlkämpfen von Barack Obama Normalität. Über jeden eingetragenen amerikanischen Wähler existieren bis zu 3500 individuelle Informationen, die von den Parteien genutzt werden, um gezielte und passgenaue Botschaften zu platzieren.

Porträt Prof. Dr. Mario Voigt 5 min
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"Parteien dürfen keine kommerziellen Daten, die sie zum Beispiel über Einkaufsdaten hinterlassen, mit offiziellen Melderegisterdaten kombinieren", erklärt der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Mario Voigt.

MDR FERNSEHEN Fr 03.05.2019 08:18Uhr 05:25 min

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In Deutschland ist die Situation grundlegend anders. Hier dürfen keine personenbezogenen Meldedaten mit kommerziellen Daten, die beispielsweise beim Online-Einkauf hinterlassen werden, abgeglichen werden. Das regelt u.a. die DSGVO (Datenschutzgrundverordnung). Die für die Parteien nutzbaren Daten reduzieren sich auf die so genannte Mikrozelle, die auf Grundlage von 6,6 Haushalten berechnet wird. Dabei geben die privaten Anbieter keine personenbezogenen Daten, sondern statistische Wahrscheinlichkeitswerte weiter.

Das ist für die Parteien nur ein sehr „grobkörniger Ansatz“ so der CDU-Wahlkampfexperte Prof. Dr. Mario Voigt. Zudem ist der Erwerb von Daten aus Einwohnermeldeämtern bzw. von privaten Anbietern mit Kosten verbunden.

Smarter Wahlkampf

Schon im Bundestagswahlkampf 2017 hatten die Parteien begonnen, ihr Marketing und die Kommunikation mit den Wählern durch moderne Technik und Plattformen zu optimieren. Erstmals kam eine „Wahlkampf-App“ zum Einsatz. Sie wurde in Thüringen entwickelt. Wahlhelfer der CDU nutzten die App connect17, um die Ergebnisse der Gespräche im Tür-zu-Tür-Wahlkampf  festzuhalten. „Die Parteien planten, segmentierten, kommunizierten und experimentierten mit neuen digitalen Formaten“, resümierte der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende in Thüringen und Wahlkampfexperte Mario Voigt.  

Vier Balkendiagramme zu den Bereichen: Videoviews bei Youtube, Tweets auf Twitter, Anzahl der Fans bei Facebook sowie Likes pro Post bei Instagram.
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Auch das Kampagnenmanagement wurde verändert. „Digital und analog sind keine Silos mehr, sondern werden zusammengedacht“, so Voigt. Seine Forschungen für die Quadriga Hochschule Berlin veröffentlichte er in der „Trendstudie zum digitalen Wahlkampf 2017: SPD und AfD liegen knapp vorne“.

Digitale Verbreitungswege wie Facebook, Instagram, Twitter und Youtube ergänzen den Wahlkampf und können politische Kampagnen stärken. 2017 nutzte u.a. die AfD intensiv Facebook. In den sechs Wochen vor der Bundestagswahl hatte die Partei 376 000 Fans. Die SPD war auf Twitter am aktivsten, während die Grünen Youtube und Instagram stark nutzten.

Porträt Prof. Dr. Andrea Römmele 6 min
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"Parteien haben Möglichkeiten der Kommunikation, sich über soziale Medien an die Wähler zu wenden. Aber die Kommunikation ist nicht mehr ganz in ihrer Hand, weil Wähler selber Themen setzen können", sagt Andrea Römmele.

MDR FERNSEHEN Mo 15.04.2019 12:06Uhr 05:34 min

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Im Europawahlkampf 2019 beobachtet ein so genanntes Dashboard (Oberfläche zur Darstellung von Informationen über Server) für ein Forschungsprojekt die politische Werbung und das Microtargeting der Parteien. Hier zeichnet sich ab, dass die CDU momentan die aktivsten Werbestrategien auf Facebook hat, gefolgt von SPD und FDP. Eine aktuelle Untersuchung der Analysefirma Alto in Zusammenarbeit mit WDR und NDR kommt bei der Untersuchung von Diskussionsinhalten zu einem anderen Ergebnis. Sie sehen "kaum Akzente von CDU und SPD".

Prof. Dr. Andrea Römmele von der Hertie School of Governance Berlin forscht zur Kommunikation von Parteien. In Bezug auf die Nutzung von Sozialen Medien erkennt sie, dass die Plattformen nicht als Einbahnstraße zu sehen sind, sondern dass die Wähler zu „Produzenten und Konsumenten zugleich“ werden.

Nicht nur die Parteien platzieren Informationen, die geteilt, kommentiert und somit verbreitet werden. Die Wähler kommen in eine aktive Rolle, in dem sie eigene Themen auf die Agenda setzen. Darauf schnell zu reagieren, ist die neue Herausforderung, sieht Mario Voigt.

Welche Rolle spielen die Daten?

Der Historiker Yuval Noah Harari sagte im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung:

Die größte Gefahr, der sich die liberale Demokratie derzeit gegenüber sieht, besteht darin, dass die Revolution in der Informationstechnologie Diktaturen effizienter macht als Demokratien.

Auch andere Wissenschaftler und Experten warnen, dass der Einfluss von Big Data negativ auf Wähler wirken kann.

Martin Fuchs 6 min
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Martin Fuchs sagt: "Wenn man sich anschaut, wie groß der Online-Wahlkampf und der Einfluss dessen ist, (das) ist immer sehr schwer zu messen, dann sagt man auch, dass es noch ein sehr kleiner Teil (ist)."

MDR FERNSEHEN Do 09.05.2019 10:54Uhr 05:59 min

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Die hohen Hürden, die das deutsche bzw. europäische Recht errichtet, machen den Datenmissbrauch schwer. Aber die Potentiale „Daten zu erheben, Daten zu speichern und Daten weiter zu verarbeiten“ werden in den kommenden Wahlkämpfen verstärkt ausprobiert, so der Politik- und Strategieberater Martin Fuchs.

Die Organisation von Wahlkampfkampagnen lag schon früher in den Händen von Agenturen. Jetzt haben die sich spezialisiert und managen den digitalen Wahlkampf, indem sie zielgenau die politischen Botschaften in den verschiedenen Social-Media-Kanälen platzieren.

Was bringt das den Parteien?

Das Budget für den digitalen Wahlkampf der Parteien wächst. Es schwankt, nach einer Umfrage von MEDIEN360G, unter den mitteldeutschen Parteien, die in den Landtagen vertreten sind, und der FDP zwischen 7 Prozent und 25 Prozent des Gesamtbudgets. Politikberater Martin Fuchs verweist darauf, dass vom digitalen Wahlkampf keine Wunder erwartet werden können. Die Wahlkampfaktivitäten sechs Wochen vor der Wahl hätten nur einen marginalen Einfluss auf das Wahlergebnis. Fuchs sieht lediglich zwei bis drei Prozent am Ende in der Waagschale. Nur bei knappen Entscheidungen, „wenn es um Polarisierung“ – also Rechts gegen Links – oder „um Ja oder Nein“ – etwa pro oder kontra Energiewende – geht, könnte der digitale Wahlkampf Ergebnisse beeinflussen. Das sei aber bei Europa- und Landtagswahlen eher nicht der Fall, so Fuchs.

Dem gegenüber stehen Aktivitäten der Parteien, um mit Hilfe der sozialen Medien mehr Reichweite zu generieren. Echtzeitwahlkampf, Livestreams, Schnelligkeit bei den Reaktionen und gute Fotos sind die aktuellen Mittel der Wahl. Der Aufbau einer eigenen Community wird zur Schlüsselaufgabe.

Es gibt auch gegenläufige Tendenzen. Die AfD Thüringen, die ihren Wahlkampf bisher stark im Internet geführt hat, will nun ihre Aktivitäten auf „den Kampf um die Briefkästen“ ausweiten, also einen Schritt zurück zu konventionellen Wahlkampfmethoden gehen.