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Interview mit Prof. Dr. Alexandra Borchardt"Wichtig ist, dass Journalistinnen und Journalisten auch zuhören"

12. März 2021, 10:01 Uhr

Die Journalismus-Professorin Alexandra Borchardt von der Universität der Künste Berlin wünscht sich mehr Empathie von den Medien, wenn es um berechtigte Sorgen und Ängste der Menschen geht.

Markus Hoffmann: Herzlich willkommen bei MEDIEN360G. Heute darf ich mit Frau Professor Doktor Alexandra Borchardt sprechen. Sie ist Journalistin mit über 25 Jahren Berufspraxis, aber auch Medienwissenschaftlerin, hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt im Jahr 2020: "Mehr Wahrheit wagen - warum die Demokratie einen starken Journalismus braucht". Einen wunderschönen guten Tag, Frau Professor Borchardt.

Prof. Dr. Alexandra Borchardt: Guten Tag, Herr Hoffmann.

Markus Hoffmann: Frau Professor Borchardt, können Sie vielleicht ganz kurz mal umreißen, womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschung und auch in Ihren praktischen Arbeiten?

Prof. Dr. Alexandra Borchardt: Ich habe mich mein Leben lang mit Journalismus beschäftigt und vor allen Dingen auch damit, den Journalismus immer besser zu machen. Und da bin ich drangeblieben, mittlerweile auch als Lehrende und als jemand, der Redaktionen dabei berät, wie sie das mit der digitalen Transformation gut hinbekommen und den Qualitätsjournalismus dabei ins Zentrum rücken.

Markus Hoffmann: Wir haben in den letzten zwölf Monaten für den Journalismus, wie auch für alle anderen Menschen, global gesehen, durch die Corona-Pandemie, Corona-Krise eine sehr spezielle Situation. Wie haben die Medien reagiert? Haben sie das gut gemacht, haben sie das schlecht gemacht? Sollten sie etwas ändern?

Prof. Dr. Alexandra Borchardt: Grundsätzlich haben die Medien damit erst einmal gut reagiert, worin sie sowieso schon gut sind, was auch die Forschung sagt, also über das Aktuelle informieren. Da haben sie sich natürlich draufgestürzt. Und man muss auch sagen, dass diese ganze Corona-Pandemie ein Innovationsbeschleuniger für den Journalismus gewesen ist. Nicht nur musste man plötzlich, wie Sie das hier auch machen, anfangen, von dezentralen Orten den Journalismus zu machen, auch aus dem Homeoffice. Aber es wurden auch sehr schnell innovative Formate entwickelt, innovative Datenanalysen, Visualisierungen. Die Wissenschaftsjournalisten sind zu Hochform aufgelaufen und haben plötzlich in den Redaktionen einen Platz bekommen, den sie vorher zu Unrecht, muss ich sagen, gar nicht hatten. Es wurden Podcasts entwickelt, die eine unglaubliche Loyalität bei den Nutzerinnen und Nutzern erfahren haben. Also es ist eine ganze Menge passiert. Insofern muss ich erst einmal sagen: Großes Lob für den Journalismus, der das getan hat, wozu er ja eigentlich auch ganz besonders da ist, nämlich ziemlich viel erklären. Warum? Die Journalisten mussten sich das eine oder andere selbst auch erst einmal erklären. Und da gab es auch in den Redaktionen natürlich ganz viele Diskussionen, viel mehr als bei vielen anderen Themen, und deswegen hat der Journalismus auch einen großen Sprung nach vorne gemacht.

Markus Hoffmann: In der Krise gibt es eine bestimmte Kommunikationsform, die auch in der Kommunikationswissenschaft beschrieben wird, die sogenannte Krisenkommunikation. Wenn man sich das anschaut, wie die Krisenkommunikation der Regierung war, ist das eine gute Sache gewesen? Was zeichnet das Ganze aus? Gibt es da ein Playbook, wie das aussehen sollte?

Prof. Dr. Alexandra Borchardt: Man muss sagen, im letzten Jahr sind ja alle von einer großen Ratlosigkeit betroffen worden. Ob das die Regierung war oder die Redaktionen oder eben auch viele Wissenschaftler. Journalisten haben es dann ganz gut, dann wendet man sich an einen Experten oder an eine Expertin und versucht sich erklären zu lassen: Worum geht es da eigentlich? Und dann hat man mit Erstaunen entdeckt: Die sind sich auch nicht ganz einig. Und diese Uneinigkeit, diese große Ratlosigkeit, die ist natürlich auch zu beobachten gewesen bei der Bundesregierung, bei den Landesregierungen. Und was man dann macht, wenn man einfach nicht weiter weiß, man kann einfach immer nur sehr klar kommunizieren, wo man gerade ist und ich glaube, da hätte einiges besser laufen können. So dieses wirklich transparent machen: Was wissen wir und was wissen wir noch nicht? Wo suchen wir noch? Was ist unklar? Und warum empfehlen wir diese und jene Verhaltensweise in dieser Situation der Unklarheit? Ich glaube, das hätte viel klarer noch kommuniziert werden können.

Denn am Anfang haben sich die Leute ja an alles gehalten, was da so kam, oder an ziemlich viel zumindest, wenn man sich an diesen ruhigen, letzten Frühling erinnert. Kaum Verkehrslärm, kaum Menschen unterwegs, weil alle Leute gedacht haben: "Naja, die Regierung, die wird es schon irgendwie wissen." Und es war am Anfang ja nicht so klar, was man eigentlich weiß und was man nicht weiß, und dann sind den Menschen natürlich lauter Widersprüche aufgefallen irgendwann. Und dann fangen sie natürlich auch an, Fragen zu stellen und sagen: Mhm, da haben die das gesagt, Masken sind blöd. Jetzt sollen wir doch Masken tragen. Was soll das? Worauf können wir uns denn noch verlassen? Und wenn das erst mal entsteht, dann wird es natürlich schwieriger, die Menschen zu überzeugen, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten. Man muss ja auch sagen: Niemand wusste ja so ganz genau, was das richtige Verhalten ist.

Markus Hoffmann: Ein zentraler Bestandteil von Krisenkommunikation, so habe ich mich belesen, ist die Konsistenz von Informationen beziehungsweise von Kommunikation, also, dass sich Dinge wohl nicht jeden Tag ändern. Dass man halbwegs bei dem bleibt, was man einmal beschlossen hat, damit die Menschen es nachvollziehbar glauben und sich dann auch besser an Maßnahmen halten. Das steht natürlich im krassen Gegensatz zu den Aufgaben eines Journalisten. Oder ist das kein Gegensatz?

Prof. Dr. Alexandra Borchardt: Erst einmal kann die Kommunikation nur so gut sein wie die Lage. Wenn sich die Erkenntnisse ändern, dann muss man auch die Kommunikation anpassen. Und deswegen würde ich immer dafür plädieren, wirklich sehr transparent zu machen, was ich weiß und was ich nicht weiß. Das ist auch etwas, was Journalistinnen und Journalisten tun sollten. Und die Redaktionen, die haben ja dafür Formate entwickelt, zum Beispiel bei Großlagen. Nehmen wir mal an, bei einem Flugzeugabsturz, wo die Menschen sofort wissen wollen, was ist da passiert und wer hat Schuld? Und man weiß, dass man vermutlich erst Tage später möglicherweise was rausfindet. Da haben sich solche Formate entwickelt: "Was wir wissen und was wir nicht wissen". Und das, finde ich, ist eine schöne Art, ganz transparent zu machen: Hier, liebe Leserinnen und Leser oder Hörerinnen und Hörer, bis hierhin können wir euch mitnehmen, aber da könnte sich auch noch etwas Neues ergeben. Ich finde diese Transparenz, also weg von diesem: "Wir sind allwissend." - ob das die Regierung ist, ob das Journalisten oder Redaktionen sind - weg von diesem: "Wir sind allwissend, wir sind die Experten, die alles wissen.", hin zu: "Das ist unklar, da rätseln wir noch, da basteln wir noch." Ich glaube, das ist ein ganz, ganz wichtiger Schritt. Und ich glaube, da haben sich alle miteinander weiterentwickelt im Laufe dieser Pandemie. Das ist ja auch das Interessante, das eben zum Beispiel so etwas wie der Podcast mit Christian Drosten und jetzt Sandra Ciesek - Coronavirus Update, warum der so beliebt ist auch bei jungen Leuten, weil der diese Nuancen bringt, weil die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darüber diskutieren. Was wissen sie? Was wissen sie noch nicht? Was sind jetzt die nächsten Schritte? Wie könnten sie sich das Verhalten vorstellen? Wirklich weg von diesem: "Wir wissen alles und ihr wisst nichts." hin zu: "Wir arbeiten uns jetzt mal gemeinsam da voran."

Markus Hoffmann: In den Medien, in den Talkshows gibt es die Logik des Politikjournalismus: "Wir müssen jede Meinung hören." Wurde das eventuell mit Wissenschaftsjournalismus zusammengeführt? Da kann man zwar auch eine Meinung haben, aber wenn es eine Faktengrundlage gibt, dann ist es schwer, eine Meinung zu haben, die außerhalb dieses Faktums liegt.

Prof. Dr. Alexandra Borchardt: Ja, das Primat des Politikjournalismus, das wir ja durchaus haben, das hat man da ganz deutlich gemerkt. Es ist dieser klassische: "Wer hat gewonnen, wer hat verloren?"-Journalismus. Daumen hoch, Daumen runter. Wer hat Recht, wer hat nicht Recht? Und idealerweise zettelt man noch so ein Streit an und hat noch Gegenpositionen. Da könnte man auch gute Inhaltsanalysen machen von Überschriften zum Beispiel, wo werden Konflikte herbeigeschrieben, die vielleicht gar nicht da sind? Und das ist natürlich was, was uns in so einer Lage letztlich gar nicht weiterführt. Natürlich kann man verschiedene Meinungen und Ansichten anbieten. Aber wenn man zu viel Meinung und Ansicht anbietet und zu wenig Fakten oder Erklärung von dem, was wenigstens irgendwie gesichert ist, dann fühlen sich die Menschen auch oft verwirrt oder haben das Gefühl, sie müssten sich auf eine Seite schlagen. Oder ihnen ist einfach nicht mehr klar, was sind jetzt gesicherte Fakten und was ist einfach Meinung. Ich finde, das ist auch etwas ganz Wichtiges, was der Journalismus leisten muss. Ganz klar herausstellen, das sind Fakten, das ist gesichert, zumindest nach jetzigem Stand der Erkenntnisse, und das ist Meinung. Die Talkshow ist dazu natürlich nicht das ideale Format. Da rächt sich so ein bisschen, dass (die) Talkshow eben einfach in der deutschen Medienlandschaft ein Format ist, das relativ günstig zu produzieren ist. Man braucht nur Leute mit verschiedenen Meinungen an einen Tisch zu setzen und dann unterhalten die sich und schon hat man hat die Sendung gefüllt. Das lässt die Leute oft allein. Natürlich ist eine Talkshow auch langweilig, wenn man keine kontroversen Positionen hat, da muss man wirklich weitergehen und so ein bisschen die Breite des Spektrums aufmachen. Aber wenn eben diese politische Berichterstattung, der Meinungsjournalismus dominiert, dann wissen die Menschen oft gar nicht mehr, woran sie sich jetzt eigentlich orientieren sollen.

Markus Hoffmann: In diesem Zusammenhang ist dann auch durch die Medien, zumindest kurzzeitig, der Begriff False Balancing, also eine Ungleichgewichtung in den Medien oder in der Darstellung der Corona-Krise gewandert. Können Sie vielleicht noch mal kurz zusammenfassen, was ist False Balancing? Haben wir so was tatsächlich in den Medien in Zusammenhang mit Corona gesehen und wenn ja, wie?

Prof. Dr. Alexandra Borchardt: Journalismus, besonders auch der des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verpflichtet sich auf eine gewisse Neutralität, Darstellung der Fakten und der verschiedenen Sichtweisen. Und das, nebenbei gesagt, will das Publikum auch so. Umfragen vom Reuters Institut Digital News Report im letzten Jahr belegen das. In Deutschland ist das Bedürfnis nach einer gewissen Neutralität im Journalismus sehr, sehr groß, man möchte wirklich die verschiedensten Positionen kennenlernen. False Balancing passiert dann, wenn man diejenigen, die sich besonders lautstark äußern, vielleicht auch mit besonders skurrilen Aktionen, mit Demos irgendwohin ziehen und einfach sehr deutlich machen, dass sie dagegen sind, ein unglaublich großes Gewicht gibt. Das erzeugt dann beim Publikum oft diesen Eindruck, es handelt sich hier um einen riesengroßen Teil der Bevölkerung. Oft ist das gar nicht so. Oft ist es einfach so, dass die große Mehrheit überhaupt kein Problem zum Beispiel hat, mit bestimmten Maßnahmen, sich verantwortungsvoll verhält und auch einsieht, dass hier die Verantwortung bei jedem Einzelnen liegt. Aber in diesem Bestreben, dass man anderen, auch Gegenstimmen, auch Gewicht gibt, werden dann Gegenstimmen, die vielleicht gar nicht so weit verbreitet, aber sehr lautstark sind, sehr in den Vordergrund getragen. Wenn letztlich etwas etabliert ist als Fakt und auch wirklich unumstößlich ist, bei Covid-19 zum Beispiel sterben Menschen, die Sterblichkeit ist deutlich erhöht und die Intensivstationen laufen dann und dann voll und so weiter, dann noch jemandem einzuladen, der sagt: "Wir haben überhaupt kein Problem in den Intensivstationen." Das ist dann irgendwann mal kritisch. Da abzuwägen, wo machen wir da noch weiter auf, wen laden wir da noch ein, das ist unglaublich schwer. Da gibt es kein Rezept, das in irgendeiner Redaktion hängt, wo man dann sagt: "Okay, jetzt ist der Zeitpunkt erreicht. Da laden wir da niemanden mehr ein." Letztlich muss man das abwägen im Lichte der überprüfbaren Fakten.

Markus Hoffmann: Also würden Sie sagen, dass es tatsächlich so etwas wie False Balancing in der Berichterstattung in Deutschland, im letzten halben Jahr, zum Thema Corona gab?

Prof. Dr. Alexandra Borchardt: Oh, das gibt es immer wieder, das gibt es natürlich immer wieder. Tatsächlich, als es die Demos gab, da fanden die natürlich ganz stark auch auf den Titelseiten oder in den Nachrichtensendungen statt. Wenn man dann nicht gleich einordnet, wie viele Menschen das eigentlich sind oder wie viele Menschen sich demgegenüber eigentlich - jetzt sag ich mal - anständig verhalten im Lichte dessen, was geboten ist, wenn das nicht eingeordnet wird, weil man gerne im Journalismus das Exotische darstellt, weil man gerne auf Bilder geht, auf skurrile Bilder, auf lustige Plakate und so weiter, da passiert das schon mal. Im Umkehrschluss muss man natürlich sagen, dass Debatte und Kontroversen ganz wichtig sind in der demokratischen Gesellschaft, denn da bringt man die Sache gemeinsam voran. Also zum Beispiel exemplarisch würde ich jetzt die Debatte um die Schul- und Kindergartenschließung herausgreifen. Sowohl von der Politik als auch vom Journalismus sind da wirklich verschiedenste Positionen argumentiert worden und alles Material zusammengetragen, was man hat. Da tastet man sich gemeinsam vorwärts, auch an Konflikt und Debatte. Das ist zum Beispiel eine konstruktive Art, mit abweichenden oder verschiedenen Meinungen und gegensätzlichen Standpunkten umzugehen.

Markus Hoffmann: Seit es das moderne Internet gibt, gibt es auch Menschen, die sich von der Realität komplett verabschiedet haben und auf andere Meinungen nicht mehr hören. Wie ist es von ihrer Seite einzuschätzen, dieses Phänomen, was sich da im Internet tut, im Angesicht einer Pandemie wie der Corona-Krise? Und was kann Journalismus da machen?

Prof. Dr. Alexandra Borchardt: Also der Journalismus kann auch immer nur so gut sein wie die Gesellschaft, in der er operiert. Ich würde jetzt niemals dem Journalismus Verantwortung für alles übertragen. Es gibt tatsächlich Leute, die man nicht erreicht. Es ist eine Minderheit. Die meisten Menschen sind tatsächlich doch immer wieder aufgeschlossen für Erklärungen, für Statistiken, für neue Erkenntnisse. Und da gibt es eigentlich wirklich nur eins: erklären, erklären, erklären, erklären. In einer freien Gesellschaft steht es jedem frei, (sich) in seiner Social-Media-Bubble mit Leuten zu verbünden, die auch so denken. Die Forschung zeigt, dass tatsächlich diese ganze Verbreitung von Falschinformationen ein "Heavy User"-Phänomen ist. Es gibt wenige Leute, die sehr viel davon verbreiten und deswegen hat man oft den Eindruck, es ist ein riesen Phänomen.

Aber ich sagte das ja auch schon, die meisten Menschen sind eigentlich auch ganz vernünftig. Und es gibt auch immer noch genug Menschen, die man mit Medienberichten erreicht. Wichtig ist nur, dass Journalistinnen und Journalisten den Menschen auch zuhören und sie abholen, wo sie stehen mit ihren Ängsten. Wenn solche Ängste nicht mehr stattfinden in den Medien, weil gesagt wird: "Das sind doch alles Spinner." Dann bestätigt das die Menschen oder bestärkt die Menschen, die sich so abgekoppelt haben. Das heißt nicht, dass man jeder seltsamen Theorie ein Mikrofon hinhalten muss, aber da, wovor die Menschen Angst haben, ich glaube da mal hinzugucken und das zu ergründen, das ist extrem wichtig – und nicht einfach Ängste wegzuwischen und zu sagen: "Ihr seid einfach zu blöd, um etwas zu verstehen."

Markus Hoffmann: Wenn wir noch einmal in Richtung des Meinungsspektrums schauen und das natürlich auch der Journalismus da dementsprechend divers auftreten soll, haben wir parallel im letzten halben Jahr so eine Art "föderales Hickhack" erlebt, wo dann gesagt worden ist, in dem Bundesland passiert das eine und wir halten uns aber nicht dran und wir machen es ganz anders. Wo man vielleicht auf der einen Seite sagen kann: Das ist ja schön, dass da verschiedene Sachen ausprobiert werden, wie Sachen funktionieren können, aber stellenweise wurde das so ein bisschen, glaub ich, transportiert, als ob der Virus, der hier in Sachsen-Anhalt ist, sich grundlegend von dem Virus in Baden-Württemberg unterscheidet. Wie kann Journalismus mit so etwas umgehen, wenn von den föderalen Strukturen so ein bisschen ein Informationschaos passiert?

Prof. Dr. Alexandra Borchardt: Schwierige Frage. Ich bin eigentlich ein Fan von Föderalismus, aus dem Grund, den sie nannten, Experimentierfelder zu haben, Labore zu haben und so ein bisschen mal auszuprobieren, was funktioniert, was funktioniert nicht, ist grundsätzlich gut. In dem Fall hat es diesen Nachteil, dass niemand mehr wirklich weiß, was wo gilt. Menschen beziehen ihre Informationen auch aus überregionalen Medien, die gucken die Tagesschau, die wissen nicht, welche Maske sie jetzt tragen müssen, wenn ich mit dem Zug von München nach Berlin fahre. Wo muss ich sie aufsetzen, wo muss ich sie absetzen? Oder gilt es im ICE nicht? Es gibt unglaublich viel Verwirrung, deswegen ist es schon schade, dass man sich nicht wirklich ganz klar auf ein paar Grundsätze verständigen kann. Grundsätzlich denke ich, dass Experimentieren auch gut ist und voneinander Lernen auch gut ist. Nur, wenn Politiker das nutzen, um sich über ihre Strategien zu profilieren, dann ist es natürlich überhaupt nicht zielführend. Und da muss man vielleicht auch nicht jedem immer so ganz viel Raum geben.

Markus Hoffmann: Wenn man jetzt noch mal das letzte Jahr komplett vor Augen hat: Welche Fehler haben Journalisten tatsächlich am Anfang in der Berichterstattung gemacht und haben sie etwas gelernt, haben sie etwas verbessert verglichen mit der Berichterstattung im Februar, März letzten Jahres?

Prof. Dr. Alexandra Borchardt: Ich finde, die Berichterstattung ist deutlich differenzierter geworden. Man hat sehr viel zum Beispiel auch in Datenjournalismus investiert, da die Kapazitäten ausgebaut. Es werden interessante Produkte entwickelt, eine Corona-Impf-Ampel zum Beispiel. Man ist sehr nah an den Bedürfnissen der Menschen dran. Tools, wo Restaurants und ihre Abnehmer zusammengebracht werden. Also wirklich sehr nah an den Menschen dran, aber das brauchte natürlich auch eine Weile, bis man in solche Dinge investiert hat. Also ich glaube, alle lernen gemeinsam, haben gemeinsam gelernt. Aber je länger sich das hinzieht, desto schwieriger wird es natürlich auch, wenn die Menschen keine Perspektive sehen. Das ist schwierig. Man kann eine Perspektive nur kommunizieren, wenn man sie hat. Bei schnell sich verändernden Virus-Mutanten ist das im Moment ganz schön problematisch. Insofern werden wir noch eine ganze Weile leben müssen, nicht nur mit einer Politik, die die eine oder andere Kehrtwende vornimmt, sondern auch mit einem Journalismus, der sich da durchtastet und vielleicht auch die eine oder andere Kehrtwende vornimmt. Wie gesagt, der Journalismus kann auch immer nur so gut sein wie die Gesellschaft, in der er operiert und wie die Vorlagen, die ihm gegeben werden.

Markus Hoffmann: Frau Prof. Borchardt, ich bedanke mich bei Ihnen für dieses Interview. Und im Internet sage ich unseren Zuschauern auch vielen Dank an der Stelle fürs Zuschauen, bis demnächst wieder bei MEDIEN360G.

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