
Zwischen Rosarot und Rabenschwarz Wie das Internet unsere Meinung beeinflusst
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14. März 2019, 08:52 Uhr
Facebook, Twitter und Co. haben die Wege der politischen Meinungsbildung revolutioniert. Auch wenn Filterblasen und Algorithmen jede Menge Negativschlagzeilen machen: Eine zu pessimistische Sicht auf die Entwicklungen im Netz wird die Probleme nicht lösen.
Algorithmen, Filterblasen, Desinformation: Diese Begriffe schwirren wie Schmeißfliegen durch die Gegend, wenn es um Meinungsbildung im digitalen Zeitalter geht. Das Problem dabei ist allerdings, dass sie häufig als Buzzwords benutzt und dramatisiert werden. Die Hintergründe und Zusammenhänge werden dabei nicht immer sofort klar.
Klar ist allerdings, dass sich die Prozesse der Meinungsbildung und damit die Grundlagen demokratischer Entscheidungen von Bürger:innen durch die digitale Revolution immer mehr ins Internet verlagern. Der Anteil des Netzes unter den meinungsbildenden Medien ist laut der MedienGewichtungsStudie 2018 der Medienanstalten auf mittlerweile knapp 27 Prozent gestiegen. Unter den 14- bis 29-Jährigen liege der Wert sogar bei knapp 54 Prozent. Davor liegt bei der Gesamtbevölkerung nur noch das Fernsehen mit rund 33 Prozent. Mehr als die Hälfte der täglichen Reichweite von sozialen Medien und Suchmaschinen entfällt laut der Studie mittlerweile auf eine Nutzung, die für die Meinungsbildung eine Rolle spielt.
Im Netz löst sich die Deutungshoheit von Medienhäusern und Journalist:innen als Gatekeeper von Informationen weitgehend auf. Über soziale Netzwerke, Blogs und Foren kann inzwischen jede:r die eigene Meinung öffentlich äußern und eine Vielzahl anderer Menschen erreichen. Rund um den Arabischen Frühling 2011 wurden soziale Medien deshalb als Technologie der Selbstermächtigung, Liberalisierung und Demokratisierung gefeiert. Menschen in verschiedenen arabischen Ländern entdeckten durch die Kommunikation im Netz ihre Gemeinsamkeiten und organisierten Proteste gegen autoritäre Regimes. Damals lag das Augenmerk vor allem auf den verbindenden Eigenschaften des Internets.
Zur Person Dr. Jan-Hinrik Schmidt
Dr. Jan-Hinrik Schmidt ist seit November 2007 als wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation am Leibniz-Institut für Medienforschung / Hans-Bredow-Institut (HBI) tätig. Arbeitsschwerpunkte sind Entwicklungen des „Web 2.0“ bzw. der „sozialen Medien“. Im Mittelpunkt stehen aktuelle Veränderungen onlinebasierter Öffentlichkeiten und sozialer Netzwerke sowie deren Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
Digitale Manipulation
Mittlerweile hat sich das stark verändert. Die Rede ist immer wieder von einer Spaltung der Gesellschaft durch soziale Medien, von einer zunehmenden Radikalisierung und von einer verstärkten Polarisierung öffentlicher Debatten. In seiner Weihnachtsansprache 2018 sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zum Beispiel:
Ich habe den Eindruck, wir Deutsche sprechen immer seltener miteinander. Und noch seltener hören wir einander zu. Wo immer man hinschaut, erst recht in den Sozialen Medien: Da wird gegiftet, da ist Lärm und tägliche Empörung.
Auch die US-Wahl 2016 und das Brexit-Votum 2017 färbten die ehemals rosarote Sicht auf die digitalen Prozesse der Meinungsbildung schwarz. Die Diskussion kreiste vor allem um eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung mithilfe von US-Tech-Riesen wie Twitter und Facebook. Durch Datenmissbrauch zu Propagandazwecken und gezielte Falschinformationen seien Wähler manipuliert worden, so die Befürchtungen. Teilweise hat sich das mittlerweile bewahrheitet. Das britische Parlament zwang Facebook 2018 einige der verborgenen Anzeigen offenzulegen, die für potentielle Brexit-Befürworter geschaltet wurden.
"Sie sind gespickt mit Halbwahrheiten und glatten Lügen über die Absichten der EU und die vermeintlichen Vorteile eines Austritts. Es sind Kuriositäten darunter wie das Gerücht, die EU wolle Teekessel verbieten. Auch die Behauptung, Großbritannien könne durch den Brexit 350 Millionen Pfund pro Woche sparen, taucht in unterschiedlicher Form auf.", berichtete der Deutschlandfunk. Ein großer Teil dieser sogenannten Dark Ads, die sich nur an stark eingegrenzte Zielgruppen richten und nicht von anderen Nutzer:innen gesehen werden, sei auch rassistisch motiviert gewesen.
Nüchternere Sicht auf das Netz
Dennoch greift es zu kurz, das Internet und digitale Entwicklungen wie Algorithmen oder Bots nun als Teufelszeug zu deklarieren. Erstere sind grundsätzlich lediglich ein Hilfsmittel, um große Mengen von Daten auszuwerten und komplexe Fragestellungen zu beantworten. Auch ein Bot (Kurzform vom englischen Wort robot) ist erstmal nur ein Mittel, Informationen schnell und automatisiert zu verbreiten. Wie diese Mittel letztendlich eingesetzt werden, hängt immer auch von gesellschaftlichen Entwicklungen, Interessen der Verwender und gesetzlichen Rahmenbedingungen ab.
Digitale Technologien wirken sich also nicht nur positiv oder negativ auf unsere Meinungsbildung aus. Sie sind zunächst einmal nur neue Vehikel zur Informationsvermittlung und Vernetzung. Weder die größtenteils positive Sicht während des Arabischen Frühlings, noch die pessimistische Perspektive nach dem Brexit und der US-Wahl werden diesem Grundsatz gerecht.
Sinnvoll ist deshalb eine nüchternere Sicht auf das Netz, die einerseits aufzeigt, was bereits funktioniert, sich Probleme andererseits aber auch ehrlich eingesteht. Nur so kann ein Weg entwickelt werden, gesunde Meinungsbildungsprozesse im Netz zu etablieren und weiterzuentwickeln.
Zur Person Prof. Dr. Joachim Trebbe
Joachim Trebbe ist ein Kommunikationswissenschaftler, der sich unter anderem mit Medienanalyse beschäftigt. Er hat einen Lehrstuhl im Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Wie wirken Filterblasen?
Ein erster Schritt in diese Richtung wurde z. B. mit der Untersuchung des Phänomens der Filterblasen gemacht. Der Begriff wurde von Eli Pariser, Autor und ehemaliger Chef der Aktivisten-Plattform Moveon.org, geprägt. Er geht von der Annahme aus, dass einzelne Nutzer:innen das Internet nur noch durch von Algorithmen kreierte Filter wahrnehmen. So werde die Gefahr, in einer Blase zu leben, in der alle einer Meinung sind, immer größer. Verschiedenen Forschungsergebnissen zufolge sind solche Filterblasen bisher nicht so dramatisch ausgeprägt.
So hat z. B. das Forschungsprojekt #Datenspende ergeben, dass die Suchergebnisse der einzelnen Nutzer bei Google gar nicht so stark personalisiert sind, wie angenommen. Wissenschaftler der TU Kaiserslautern fanden dabei heraus, dass sich von etwa neun Suchergebnissen zu prominenten Politiker:innen und Parteien nur ein bis zwei voneinander unterscheiden. Bei Parteien gebe es mit drei bis vier Ergebnissen zwar mehr Abweichungen. Berücksichtige man dabei allerdings die stärkere Regionalisierung, etwa durch Webseiten einzelner Ortsverbände, blieben ebenfalls nur noch ein bis zwei Abweichungen. Bei Google News seien die die Unterschiede ähnlich gering.
Die Diskussion um Filterblasen sei „völlig entgleist“, kritisierte auch die Leiterin des Oxford Internet Institutes Helen Margetts im Interview mit dem Tagesspiegel . Denn trotz Personalisierung seien Nutzer z. B. bei Facebook mehr Menschen und Meinungen ausgesetzt, als etwa beim Lesen einer einzelnen Zeitung. Wichtig sei vor allem auch Transparenz:
Um unsere politische Welt zu verbessern, müssen wir unweigerlich damit anfangen, Forderungen gegenüber Facebook und Twitter zu stellen. Ihre Algorithmen sind geheim und formen doch, was wir sehen. Ihr Argument dagegen ist immer ihr Firmengeheimnis. Aber ihr Geschäftsmodell ist Werbung. Wie sie Werbung zeigen, müssen sie ja nicht sagen. Trotzdem können sie erklären, nach welchen Kriterien welche Nachrichten angezeigt werden.
Digitale Komfortzone auflockern
Wer trotzdem die eigene digitale Komfortzone etwas auflockern und häufiger einen Blick über deren Rand werfen möchte, kann verschiedene Dinge tun:
1. Wenig Datenspuren hinterlassen, denn so bekommen große Anbieter weniger Informationen, um Nutzer:innen genau zu kategorisieren: Es erfordert ein bisschen Zeit, aber mit diversen Privacy AddOns wie z. B. Ghostery, Click&Clean oder uBlock Origin lassen sich z. B. Tracker auf Webseiten blockieren. Lightbeam macht die Tracking-Cookies sichtbar, durch die Nutzer:innen beim Surfen verfolgt werden. So sieht man, welche Tracker von Drittanbietern die Bewegungen im Netz verfolgen und welche Informationen beispielsweise Facebook sammelt, obwohl man gerade gar nicht in dem Netzwerk surft. Keine AddOns installieren möchte, kommt auch mit etwas Kreativität weiter: regelmäßiges Löschen der Browserdaten und Surfen mit unterschiedlichen Browsern kann ebenfalls ein bisschen helfen.
2. Google-Suche vermeiden: Suchmaschinen wie Duckduckgo oder Startpage sammeln deutlich weniger Daten als Marktführer Google. Die Metasuchmaschine Unbubble geht noch darüber hinaus: hier werden die Ergebnisse anderer Suchmaschinen durchforstet, um Personalisierung und die Gewichtung interessensgeleiteter oder bezahlter Inhalte zu umgehen.
3. Andere Meinungsspektren im Blick behalten: In sozialen Netzwerken lohnt es sich, auch Menschen, Organisationen und Medien zu folgen, deren Haltung man tendenziell eher nicht teilt. Man muss nervige, ärgerliche oder auch falsche Beiträge ja nicht mit Likes belohnen. Sie ganz aus dem Feed zu verbannen würde aber eine Einschränkung des eigenen Horizonts bedeuten. Bevor die selbst zusammengestellte digitale Kuschelecke also zu flauschig wird und jegliche Irritationen verloren gehen, lieber ein paar Parteien, Politiker:innen, Netzprominenten und Wissenschaftler:innen folgen, deren Meinung man nicht unterschreiben oder die man nicht wählen würde. Auf Seiten wie Nachrichtentisch oder Newstral lässt sich zudem ein Überblick der aktuellen Schlagzeilen gewinnen – auch von Medien, die man vielleicht nicht unbedingt abonnieren würde.