Porträt von Prof. Dr. Constanze Rossmann 28 min
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Interview mit Prof. Dr. Constanze Rossmann „Medien sind nun mal nicht Hofberichterstatter.“

25. Juni 2020, 17:46 Uhr

Politik und Institutionen haben ihre Krisenkommunikation stark verändert, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Constanze Rossmann. Im Interview spricht sie über Personalisierung und die kritische Berichterstattung während der Corona-Krise.

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Markus Hoffmann: Hallo, liebe Internetgemeinde, MEDIEN360G hier aus der Uni in Erfurt. Diesen Monat haben wir uns das Thema Corona und die Medien vorgenommen. Und bei mir ist Frau Prof. Constanze Rossmann. Sie ist Kommunikationswissenschaftlerin, Fachgebiet Krisenkommunikation, Gesundheitskommunikation und eine Expertin für Rezeptions- und Wirkungsforschung. Frau Prof. Rossmann, was können wir uns darunter vorstellen? Was machen Sie?

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Die Rezeption von Wirkungsforschung beschäftigt sich mit der Nutzung und Wirkung von Medien kann man jetzt erst mal ganz allgemein sagen. Und ich wende das sehr stark auf Inhalte an, die mit Gesundheit zu tun haben, eben dann auch im Krisenbereich wie wir es jetzt aktuell haben. Da geht es dann konkret um Fragen (wie): Wie stellen Medien Gesundheitsthemen dar? Wie berichten sie über die Corona-Krise? Welchen Einfluss hat das dann auf die Wahrnehmung eines solchen Themas in der Bevölkerung? Aber ich beschäftige mich auch mit Kampagnen-Forschung, also mit der Frage: Wie kann man Medien dann auch sinnvoll einsetzen, um Gesundheitsthemen der Bevölkerung näher zu bringen?

Markus Hoffmann: Erste Einschätzung von Ihnen: Die Medien, wie haben sie sich geschlagen in der Kommunikation zur Bevölkerung ob dieses Corona-Phänomens? Haben sie es bis jetzt gut hingekriegt oder eher nicht so gut?

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Das ist eine gemischte Angelegenheit. Also da kann man sicherlich auch nicht alle Medien über einen Kamm scheren. Da gibt es Medienanbieterinnen und -anbieter, die machen das besser. Welche, die machen das schlechter. Wir werden uns da auch in unserer Forschung damit noch auseinandersetzen. Wie berichten unterschiedliche Medienkanäle über die Corona-Krise? Ich gehe mal davon aus, dass man ähnliche Phänomene wiederfinden wird, die wir aus anderen Krisen schon kennen, also beispielsweise, dass Boulevardmedien stärker emotionalisieren, stärker dramatisieren im Vergleich zu Qualitätsmedien. Aber auch zum Beispiel im Vergleich zu dem, was wir an Informationen von den Behörden bekommen und das dann möglicherweise zu einer verzerrten Wahrnehmung auch des Themas führen kann.

Markus Hoffmann: Was man aber, ich glaube wohl, momentan über alle Medien gleichmäßig beobachten kann, ob es jetzt die Öffentlich-Rechtlichen sind und auch die Boulevardmedien, dass es das Zeitalter der Experten ist. Also jeder hat irgendwie seinen eigenen Experten, Virologen, der was zum Thema Corona beisteuern soll. Wie kommt dieses Phänomen zustande?

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Also zunächst einmal muss ich sagen: Es ist eine sehr positive Entwicklung, denn wir haben es beim Coronavirus mit einem Thema zu tun, das einfach neu ist. Zudem man noch nicht so viel weiß, und da brauchen wir gerade die wissenschaftlichen Expertinnen und Experten sehr dringend, die uns ja sagen, wie ist die wissenschaftliche Evidenz dazu. Was wissen wir darüber? Wie verbreitet sich das Virus? Wie können wir uns davor schützen und so weiter und so fort. Also deswegen ist es erstmal im Grunde genommen die ganz zentrale Quelle, die wir dafür brauchen, um die Informationen zu kriegen, die jetzt notwendig sind, um uns richtig zu verhalten.

Der andere Punkt ist: Natürlich schaffen Expertinnen und Experten in gewisser Weise immer auch Vertrauen. Das ist etwas, womit dann Medien natürlich auch gerne arbeiten. Und dann kommt noch ein weiterer Aspekt dazu, jetzt mehr aus der Medienlogik heraus betrachtet: Hier gibt es die Nachrichtenwert-Theorie und die Nachrichtenwert-Theorie spezifiziert bestimmte Nachrichtenfaktoren, die zum einen Selektionskriterium, aber auch Darstellungskriterium sind. Das heißt, dass Medien über solche Ereignisse und Themen eher berichten, die bestimmte Nachrichtenwerte enthalten. Solche Nachrichtenwerte sind Negativismus, Überraschung, Konflikt, aber eben auch Personalisierung und Prominenz. Und jetzt ist ein Thema, das Personalisierung hergibt, ein Thema, das dann eher selektiert wird. Und gleichzeitig wird Personalisierung aber auch gerne als Darstellungsmerkmal verwendet, weil es sich gut eignet, um Inhalte anschaulich und einfacher zu vermitteln.

Markus Hoffmann: Können wir das ein bisschen vertiefen? Warum funktioniert das beim Menschen so gut, dass er quasi einen personalisierten Inhalt besser verdauen kann, besser aufnehmen kann, als wenn irgendein Radio- oder Fernsehsprecher einfach das wiedergeben würde, was der Experte vorher gesagt hat?

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Wir kennen da auch wieder eine Theorie, die heißt Fallbeispiel-Theorie. Die vergleicht den Einfluss der sachlichen Berichterstattung anhand von Statistiken mit dem Einfluss von Einzelmeinungen. Das hat gar nicht primär gleich was mit Expertinnen und Experten zu tun, sondern generell der Darstellung von einzelnen Personen, die Inhalte wiedergeben. Und was wir da feststellen ist tatsächlich, dass, wenn Rezipientinnen und Rezipienten Nachrichten lesen, sie sich stärker beeinflussen lassen von dem, was die sogenannten Fallbeispiele, also die Einzelmeinungen sagen, als von der statistischen Fallzahl.

Das hat sicherlich zum einen damit zu tun, dass wir Menschen es in der Regel nicht so gut gewöhnt sind, mit statistischen Zahlen, neutralen Fakten umzugehen. Viele scheuen sich ja auch förmlich davor, das verstehen zu wollen, einfach aus einer Angst vor Mathematik und vor Zahlen heraus. Und wenn es dann Personen gibt, die diese Inhalte noch mal auf eine andere Art und Weise vermitteln, dann sind wir einfach besser in der Lage und sicherlich auch geneigter, dem zuzuhören und zu folgen. Das hat auch mit Narration zu tun. Also Expertinnen und Experten oder Einzelmeinungen werden in Form von Geschichten erzählt. Also da ist eine Person, die erzählt uns im Grunde genommen eine Geschichte. Das sind wir gewöhnt von ganz früh an. Auch entwicklungsgeschichtlich haben wir Menschen in Form von Geschichten miteinander kommuniziert. Und deswegen ist das was, was uns immer noch besser erreicht.

Markus Hoffmann: Bleiben wir bei den Experten: Wenn wir eine Schablone machen könnten für den Experten, der in den Medien gut funktioniert und das gut an den Mann bringen kann, welche Eigenschaften bräuchte er oder sie? Was muss er oder sie mitbringen?

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Ich würde da unterscheiden, was macht einen guten Experten, eine gute Expertin aus. Und zwar aus der Perspektive der Wissenschaft einerseits und auch aus der Perspektive der Gesundheits-und Risikokommunikation und wiederum aus der Perspektive des Journalismus andererseits.

Nehmen wir mal die Wissenschaftsperspektive. Ein guter Experte/Expertin aus wissenschaftlicher Perspektive ist einer oder eine, der/die natürlich in ihrem Fach kompetent ist. Der/Die idealerweise in dem Fach selber forscht und entsprechend fundiert die wissenschaftlichen Erkenntnisse wiedergeben kann und einfach weiß, wovon er/sie spricht. Dazu gehört aber auch, dass diese Person immer klarmacht, wie gesichert ist empirische Evidenz. Das merkt man gerade aktuell in der Corona-Krise als großes Problem, dass die Evidenzen eben häufig noch sehr unsicher sind und es ist sehr, sehr wichtig und macht auch einen guten Experten, eine gute Expertin aus, das offenzulegen.

Aus Sicht der Krisenkommunikation, also strategischen Kommunikation, ist ein guter Experte, eine gute Expertin, ein/e solche/r, dem/der man vertraut, der/die vertrauenserweckend ist. Und dann wiederum aus Sicht des Journalismus ist dann aber wichtig, die Eigenschaft mitzubringen, dass man die Inhalte so kommunizieren kann, dass sie verständlich sind, idealerweise für Laienpublikum. Das zusammenzubringen, diese Perspektiven, ist zum Teil gar nicht so einfach. Deswegen gibt es letztendlich würde ich sagen wenig Persönlichkeiten, die dafür sich so eignen, dass sie alles abdecken was sie mitbringen sollten.

Der andere Grund, warum einzelne Personen sehr, sehr häufig auftauchen, ist sicherlich aber auch in einer gewissen Medienlogik begründet. Das heißt, wenn Journalistinnen und Journalisten Expertinnen und Experten kennen, die diese Kriterien erfüllen und die gleichzeitig aber auch gewillt sind, überhaupt in den Medien aufzutreten, das wollen ja auch viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gar nicht. Dann sind die natürlich froh, wenn sie wissen, wen sie da ansprechen können. Und deswegen, glaube ich, ist es im Grunde genommen auch eine ganz praktische Frage. Also im Journalismus hat man ja oft sehr, sehr wenig Zeit, wenn es darum geht, über Themen zu berichten. Die Zeit ist knapp im Journalismus, gerade in der aktuellen Zeit, wo immer alles sehr schnell gehen muss. Und dann greift man natürlich auf die Personen zurück, bei denen man schon weiß, das ist jemand, der lässt sich auch interviewen und das ist jemand, der oder die, das auch kann.

Markus Hoffmann: Was erweckt das denn für einen Eindruck beim Rezipienten, also beim Zuschauer auf der anderen Seite, wenn man immer die gleichen Leute sieht?  Wäre Vielfalt in dem Fall besser?

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Ich glaube, dass es da sehr drauf ankommt mit wem man es zu tun hat. Also Rezipientinnen und Rezipienten sind ja nicht gleich. Es gibt solche, die sicherlich Medien und Medieninhalte eher unkritisch rezipieren, die dann möglicherweise auch eher dankbar sind, wenn sie dort Expertinnen und Experten sehen, die sie schon kennen, wodurch sich ein gewisses Vertrauen aufbaut. Und wenn man sagt ja, okay, da weiß ich schon, wer das ist und wie der spricht und dass ich den verstehen kann. Also nicht umsonst ist der Podcast mit Professor Drosten wahnsinnig erfolgreich. Das spricht ja schon dafür, dass es viele Menschen gibt, die das momentan dankbar annehmen, dass da jemand ist, der regelmäßig auftritt. Und dann gibt es auf der anderen Seite natürlich durchaus kritischere Mediennutzerinnen und Mediennutzer, denen dann auffällt, wenn das relativ einseitig wird und die andere Stimmungen und Meinungen hören wollen.

Markus Hoffmann: Wir haben einen Herrn Drosten, der in seinen Statements auch immer wieder sagt: Ich bin kein Politiker, ich kann nur eine Handlungsidee geben, ich kann einen Handlungsspielraum aufweisen, ich kann sagen, so könnte es sein. Aber ich kann keine Entscheidungen treffen. Und dann gibt es zum Beispiel jemanden wie den Herrn Kekulé, der auch in bei Anne Will oder bei anderen Talkshows, in denen er sich befindet, ganz klar sagt: So und so müssen wir jetzt handeln, sonst läuft das alles außer Rand und Band. Das sind ja wirklich zwei verschiedene Herangehensweisen? Wie sollte es da ein Experte halten? Oder ist das vollkommen egal?

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Also ich muss schon sagen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich klar sein sollten, wo ihre Expertise liegt. Und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, jetzt in dem Fall die Virologen, kennen sich eben gut mit der aktuellen Forschung aus zum Thema Coronavirus. Zumindest diejenigen, die sich mit dem Coronavirus beschäftigen. Sie können da viel drüber sagen. Aber sie sind keine Expertinnen und Experten dafür, welche Konsequenzen Entscheidungen, die auf politischer Ebene getroffen werden, zum Beispiel in wirtschaftlicher Hinsicht haben. Deswegen finde ich es schon richtig, wenn die Expertinnen und Experten, die auftreten, in ihrem Bereich bleiben und darüber aussagen machen oder zumindest deutlich machen, - wenn sie eine Meinung haben über die Frage, welche Konsequenz ihre Erkenntnisse haben, - dass das jetzt eine  Meinung ist, die sie vertreten, aber nicht auf Grundlage ihrer Forschung gemacht wird, sondern etwas ist, wo man andere Expertinnen und Experten noch einbeziehen muss, wie Wirtschaftswissenschaftler oder Kommunikationsexperten und so weiter.

Markus Hoffmann: Jetzt haben wir in der Corona-Krise eine sehr dynamische wissenschaftliche Lage. Es gibt immer wieder neue Erkenntnisse, was für Wissenschaftler verhältnismäßig normal ist. Die schwimmen ja quasi in der Ungewissheit, durch Experimente Gewissheit zu bekommen. Was passiert denn, wenn in den Medien mal so ein Experte falsch liegt?

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Das Problem, das wir hier haben, wenn man feststellt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse sich verändert haben, ist sicherlich die Frage, wie die Medien vorher schon darüber berichtet haben. Also ein guter wissenschaftlicher Experte, eine Expertin, das hatte ich schon einmal erwähnt eingangs, macht ja durchaus deutlich, wie gesichert die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind. Und das hören wir im Moment auch Tag ein Tag aus, wenn wir den Expertinnen und Experten zu hören, dass sie sehr, sehr oft sagen: Wir wissen es noch nicht genau.

Nun ist es aber etwas, was die Vermittlung der Aussage verkompliziert. Also dazu zu sagen, dass eine bestimmte wissenschaftliche Erkenntnis noch nicht gesichert ist aus dem Grunde, dass bestimmte Studien nicht die richtige Stichprobe verwendet haben oder nur für ein bestimmtes Land erst mal gelten oder was auch immer. Da gibt es immer bestimmte Gründe, warum die Evidenz noch nicht ganz gültig ist. Das ist komplex zu erklären. Und deswegen ist das etwas, was in den Medien häufig nicht wiedergegeben wird, weil die Medien ihre eigene Logik haben.

Man kann das den Medien nur begrenzt vorwerfen. Der Punkt des Zeitmangel, wenn wir an einen Fernseh-, Hörfunkbeitrag denken, da hat man ein bestimmtes Gerüst: zwei Minuten, wenn es schön ist hat man Fünf-Minuten-Beiträge im Radio. Auch in der Presseberichterstattung ist der Platz begrenzt, und man muss schlichtweg verkürzen. Es geht nicht anders. Und was man auch tun muss in der medialen Berichterstattung ist, die Dinge zu simplifizieren, damit ein Laienpublikum das auch verstehen kann.

Die Problematik, die aber passiert, ist, - wenn man über wissenschaftliche Befunde berichtet, - dass die Dinge dann häufig zu stark vereinfacht werden. Und diese zu starke Vereinfachung führt dazu, dass genau diese Aussage „die Evidenz ist noch unsicher“ wegfällt. Und deswegen kommt es im Grunde genommen vor allem aufgrund der medialen Berichterstattung zu der Problematik, -wenn sich hinterher herausstellt, dass sich doch was an den Befunden verändert hat und die Medien haben das vorher so dargestellt, als wäre es eigentlich schon klar, - dass die Bevölkerung das Gefühl hat, die da oben wissen eigentlich gar nicht, was sie sagen. Da ändern sich immer die Aussagen und die Informationen und die Regelung. Die wissen eigentlich selber nicht, was sie tun. Dafür können aber oft die Behörden oder die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nichts, sondern das liegt dann in der Medienlogik begründet.

Die Konsequenz davon ist für die Krisenkommunikation hochproblematisch, wenn sich herausstellt, dass sich Befunde stark ändern. Denn das A und O, zentrales Kriterium der Krisenkommunikation ist, dass die Botschaften konsistent sind, die vermittelt werden. Wenn sie sich ändern, führt das fast zwangsläufig dazu, dass sich die Bevölkerung natürlich fragt: Wie sehr kann ich den Informationen überhaupt vertrauen? Gerade wenn die Regelungen, die daraus resultieren, so stark in das eigene persönliche Leben eingreifen, ist es hochgradig gefährlich, auch für das Vertrauen in das Management der Krise.

Markus Hoffmann: Wir haben diese Expertenmeinungen und wir haben darüber gesprochen was passiert, wenn sie sich irren und auch die Kritik an den Medien, wie sie damit umgehen, weil es in ihrer Logik liegt. Das hat Herr Drosten auch, sag ich mal, herausgestellt. Es waren verschiedene andere Punkte, die er noch angebracht hat in seiner Medienkritik. Liegt er damit richtig?

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Ja, aus den genannten Gründen würde ich sagen, dass Prof. Drosten durchaus richtig liegt und dass die Medien doch versuchen sollten, stärker darauf zu achten, wie die Expertinnen und Experten ihre Erkenntnisse kommunizieren? Wie gesichert sind die Erkenntnisse? Das muss eigentlich in der medialen Berichterstattung mit abgebildet werden. Eben aufgrund der Gefahr, dass, wenn das nicht der Fall ist, dann die Aussagen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Behörden auch anders verstanden werden in der Bevölkerung. Außerdem verstehe ich die Kritik, die er äußert, vor dem Hintergrund, dass er sehr stark persönlich angegriffen wird und das für ihn sehr unschöne Folgen hat.

Markus Hoffmann: Sie haben kurz vorher gesagt, bevor wir den kleinen Exkurs zu Prof. Drosten gemacht haben: In der Krisenkommunikation ist eine Konsistenz der Informationen des A und O. Jetzt haben wir die Situation, wo man nicht wirklich weiß, wie man damit umgeht. Was passiert, wenn man zum Beispiel jemanden hat, der als Experte spricht und der von der Mainstream-Meinung, die bis jetzt quasi eingegangen sind, abweicht und was anderes erzählt? Wie kommt das bei den Menschen an? Ist das in dieser Krisenkommunikation nicht problematisch?

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Im Grunde genommen, glaube ich, war es am Anfang sehr, sehr hilfreich, dass die Medien einigermaßen konsistent berichtet haben und einfach das wiedergegeben haben, was man dann Tag ein Tag aus auch auf den Pressekonferenzen zu hören bekam. Ob es jetzt die Pressekonferenz des Robert Koch-Instituts war oder des Krisenstabs, Spahn oder dann Merkel später auch. Ich glaube, das war erstmal gut, um die Bevölkerung damit auch zu erreichen; einigermaßen konsistent zu erreichen.

Und dann gibt es aber im Grunde genommen eine zweite Phase, in der die Bevölkerung dann Bescheid weiß über das Thema; gut informiert ist über das Thema. Wir wissen aus unserer Studie zum Beispiel, dass die Bevölkerung sich wahnsinnig viel informiert hat. Die haben sehr, sehr viele unterschiedliche Medienkanäle genutzt, um sich über das Coronavirus zu informieren. Das ist inzwischen etwas zurückgegangen, aber da war wirklich ein großes Bedürfnis und ein großes Interesse da, sich über das Thema zu informieren.

Im Laufe der Zeit wurde dann aber doch deutlicher: Es gibt unterschiedliche Meinungen zu dem Thema. Man muss darüber diskutieren. Es wird darüber diskutiert. Es gibt unterschiedliche Positionen zwischen den Bundesländern und das müssen die Medien auch abbilden. Es ist vollkommen richtig gewesen, dass sich das in der medialen Berichterstattung abgebildet hat.

Wenn man jetzt rein daran denkt und argumentiert, was für die Krisenkommunikation gut ist, könnte man natürlich immer sagen, eine konsistente Berichterstattung wäre besser. Aber wie gesagt, da haben wir das Problem, dass es möglicherweise zu einem Vertrauensverlust führen kann. Deswegen würde ich sagen, es ist so ein Vabanquespiel zwischen beiden. Man muss da einen Mittelweg finden. Aber Medien sind nun mal in ihrer Aufgabe nicht Hofberichterstatter. Sie sind dafür da, Informationen zu vermitteln. Aber sie sind eben auch Wächter. Und deswegen müssen sie da auch ihrer Aufgabe nachkommen zu überprüfen, ob die Informationen, die sie bekommen, von der Regierung, von den Expertinnen und Experten ausreichend sind oder ob es da unterschiedliche Meinungen gibt.

Markus Hoffmann: Wir hatten am Anfang diese „Hofberichterstattung“ sage ich mal. Die Leute sind in diesen Lockdown reingegangen. Die Bevölkerung war sehr dafür. Es gab also kaum Murren oder dass Leute gesagt haben: Nein, ich halte mich nicht dran. Und jetzt werden die Regularien wieder etwas gelockert und man sieht auf einmal sogenannte Hygiene-Demos von Menschen, die gar nicht mehr daran glauben, dass es dieses Coronavirus eventuell überhaupt gibt und die abstruse Verschwörungstheorien erfinden, herbeispinnen, nachlesen im Internet. Hat das auch irgendetwas mit der Kommunikation in den Medien zu tun, dass es solche Menschen auf einmal gibt? Oder ist das ein anderes Phänomen?

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Da würde ich vor allem die sozialen Medien verantwortlich zeichnen, die ja sehr stark dazu beitragen, dass sich solche Verschwörungstheorien und auch Fake-News inzwischen deutlich leichter verbreiten können, als das früher der Fall war. Natürlich gab es Verschwörungstheorien schon immer. Aber früher hat das eher im geschlossenen Raum stattgefunden oder am Stammtisch in der Wirtschaft. Und jetzt kriegt das einen größeren Raum, kann sich leichter verbreiten. Und insofern tragen Medien möglicherweise dazu bei, aber es sind vor allem die sozialen Medien.

Markus Hoffmann: Die großen Medienhäuser versuchen ja dagegen zu arbeiten, mit Faktenfindern und noch mehr Hintergrundinformationen. Kriegt man die Leute damit eigentlich wieder eingefangen, dass man sagt: Pass auf, du liegst falsch. Ich habe hier die Fakten, die leg' ich dir auf den Tisch und deswegen liegst du falsch. Hören die einem noch zu oder sagen die: Ich bin eh in meiner eigenen Welt. Du kannst mir gar nichts mit deinen Fakten sagen, weil ich habe meine alternativen Fakten. Kann man die einfangen oder ist es nicht mehr möglich?

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Ich glaube, dass ist tatsächlich ganz, ganz schwierig die wieder einzufangen. Da sind wir in einem Bereich drin, da geht es um Debunking (Entlarven) von Mythen auch. Und das ist fast eine eigene Wissenschaft für sich, wie man das gut macht. Weil beispielsweise wäre es erstmal eine logische Konsequenz, wenn man so eine Verschwörungstheorie widerlegen möchte, dass man erst noch mal sagt, was ist die Verschwörungstheorie und dann Gegenargumente findet. Das ist schon mal ganz falsch, weil man dann die Verschwörungstheorie selbst nochmals salient macht, also die erstmal betont und dann die Gegenargumente liefert. Was bleibt hinterher hängen? Die Verschwörungstheorie. Das ist jetzt ein ganz einfaches Beispiel dafür, wie schwierig es ist in der Kommunikation, wenn man gegen solche Verschwörungstheorien und Mythen argumentieren möchte.

Ich glaube, das Wichtigste ist tatsächlich, mit diesen Personen zu sprechen. Also tatsächlich sich auszutauschen, nachzufragen, wie diese Person darauf kommt? Was sie da so denkt?  Was da dahinter steckt? Und tatsächlich zu versuchen, möglichst mit guten Argumenten dagegen anzukommen. Das ist aber sicherlich nicht so leicht, weil sich Verschwörungstheorien oder Verschwörungstheoretiker ein Riesengebäude von Argumenten aufbauen und auch selber das Gefühl haben, das basiert auch auf wissenschaftlicher Evidenz. Und das ist eine hoch diffizile Angelegenheit. Aber ja, man sollte es versuchen. Man muss unbedingt im Austausch bleiben, weil anders hat man überhaupt keine Chance dagegen anzukommen.

Markus Hoffmann: Eine letzte Frage habe ich noch. Unterscheidet sich die Art der Kommunikation zwischen Medien und Publikum die wir jetzt in der Corona-Krise haben, zu der, die wir vor Corona hatten?

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Ich kann nicht sagen und glaube auch nicht, dass die Corona-Krise selbst etwas verändert hat an der Kommunikation. Was sich aber durchaus beobachten lässt, im Zusammenhang mit der Corona-Krise, ist, dass sich die Art und Weise der Krisenkommunikation sehr stark verändert hat über die letzten zehn Jahre hinweg. Wir haben uns in einem Projekt vor zehn Jahren damals auch mit der Kommunikation im Zusammenhang mit der H1N1-Pandemie, also Schweinegrippe-Pandemie beschäftigt. Und was damals noch sehr stark auffiel und wir dann auch viel kritisiert haben, war eine sehr, sehr starke Zurückhaltung noch seitens der Behörden, soziale Kanäle, soziale Medien, überhaupt digitale Medienkanäle einzubinden in die Krisenkommunikation.

Das ist jetzt ja vollkommen verändert. Da wird ja alles herangezogen und genutzt, was die digitale Welt zu bieten hat, mit positiven und negativen Effekten. Was ich sehr positiv finde und eine tolle Möglichkeit ist, die Bevölkerung direkter zu erreichen, ist, dass zum Beispiel jetzt auch einfach Pressekonferenzen immer online gestreamt werden und deswegen jeder/jede sich das selbst angucken kann und dann ganz direkt die Informationen auch bekommt von den Behörden, von den Politikerinnen und Politikern, die man sonst häufig nur verkürzt bekommen hat. Auch der Austausch über die sozialen Medien ist zunächst mal positiv, also gerade auch die Erreichbarkeit der Bevölkerung über soziale Medien, weil man bestimmte Zielgruppen etwa jüngere Menschen zum Beispiel, sehr viel besser über soziale Medien erreicht als über die klassische Presseberichterstattung.

Gleichzeitig hat es natürlich die Kehrseite möglicher negativer Effekte, die wir gerade angesprochen haben. Also dass sich Fake-News, dass sich Verschwörungstheorien leichter verbreiten. Eine weitere Sache, und die knüpft an unser Thema am Anfang an, die mir sehr auffällt in der aktuellen Berichterstattung ist, wie wichtig die Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft geworden sind. Das hätte man sich in den letzten Jahren häufig stärker gewünscht im Kontext der Klimaberichterstattung. Da wurde immer wieder gefordert, stärker evidenzbasiert zu kommunizieren, auch in den Medien. Und da habe ich doch die Hoffnung, dass das vielleicht beibehalten wird und Expertinnen und Experten, die wir brauchen, um solche wichtigen und dringlichen Themen zu kommunizieren, auch gut an die Bevölkerung zu vermitteln.

Markus Hoffmann: Frau Prof. Rossmann, Sie haben wunderbar den Kreis geschlossen gerade. Ich bedanke mich auch bei den Zuschauern im Internet und bei Ihnen natürlich für dieses interessante Interview. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer weiteren Forschung.

Prof. Dr. Constanze Rossmann: Vielen Dank.

* Das Interview wurde am 15. Mai 2020 in Erfurt aufgezeichnet.

Zur Person Prof. Dr. Constanze Rossmann

Constanze Rossmann ist Professorin für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Soziale Kommunikation am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt. Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeit ist Gesundheitskommunikation. Im Laufe ihrer bisherigen Tätigkeit als Wissenschaftlerin hat Prof. Dr. Rossmann über 80 Aufsätze in wissenschaftlichen Fachzeitschriften und Sammelbänden sowie neun Bücher veröffentlicht.