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Interview mit Focus-KolumnistJan Fleischhauer: „Jeder, der anderer Meinung war, wurde bekämpft.“

25. Juni 2020, 14:44 Uhr

Jan Fleischhauer ist Kolumnist aus Leidenschaft. Er liebt es, die Dinge gegen den Strich zu bürsten. Mit seiner Kolumne “Der schwarze Kanal“ war Fleischhauer von 2011 bis zum Sommer 2019 im Spiegel zu lesen. Seit August 2019 schreibt er für das Magazin Focus. MDR MEDIEN360G sprach mit Jan Fleischhauer über seine Erfahrungen mit Journalismus und Medien in der Corona-Krise.

Es gibt viele Arten von Journalismus. Entsprechend unterscheiden sich auch die Arbeitsweisen der Journalistinnen und Journalisten. Für diejenigen, die Kolumnen schreiben, fängt die Arbeit zum Beispiel erst an, wenn Sie für die Reporterinnen und Reporter schon vorbei ist. Denn Kolumnen gehören wie Kommentare und Glossen zu den wertenden, kommentierenden journalistischen Formen. Anders als im Nachrichtenjournalismus, der neutral und sachlich berichten muss, ist Haltung bei Kommentaren und Kolumnen unverzichtbar. In einer Kolumne gehen die Autorinnen und Autoren anders als bei einem Kommentar oft auch etwas lockerer und humorvoller an ihre Themen heran. Eine Kolumne stellt in jedem Fall den Schreibenden und dessen Ansichten in den Mittelpunkt.

Jan Fleischhauer ist einer der bekanntesten Kolumnisten der Bundesrepublik und hat mit MDR MEDIEN360G über positive und negative Beispiele bei der Berichterstattung über die Corona-Pandemie gesprochen.

Mehr zur Person Jan Fleischhauer

Jan Fleischhauer ist Journalist, Kolumnist und Autor. Von 1989 bis 2019 war er für den Spiegel tätig, u.a. mit der Kolumne "S.P.O.N. - Der schwarze Kanal". Seit 1. August 2019 ist er Mitglied der Chefredaktion des Focus-Magazins. Er ist Autor verschiedener Bücher und moderiert zusammen mit dem Journalisten Jakob Augstein einen Podcast.

Steffen Grimberg: Herr Fleischhauer, in Ihrem Podcast, den Sie mit Jakob Augstein, dem Verleger des Freitags, zusammen machen, da haben Sie gesagt, bei der Berichterstattung über Corona sei Ihnen aufgefallen, dass es eine Teilung gegeben habe, einmal, was den Wissenschaftsjournalismus angeht und dann, was den Politikjournalismus angeht. Was haben Sie damit gemeint?

Jan Fleischhauer: Na gut, im Wissenschaftsjournalismus, war mein Eindruck, gab es schon ein starkes Bemühen - jetzt vielleicht nicht in allen Zeitungen - aber doch das, was ich jedenfalls lese, auch Stimmen zu Wort kommen zu lassen, die jetzt nicht so auf diesem Trip waren: "Es wird alles ganz furchtbar, 3,4 Prozent der Menschen werden sterben. Wir brauchen jetzt monatelang Abschließung." Auch in der Wissenschafts-Community, also bei den Virologen, gab es ja durchaus Leute, die da anderer Auffassung waren. Ich hatte das Gefühl, dass wird dann vielleicht nicht ganz vorne, aber schon im Grunde präsentiert, während der Politikjournalismus da schon einheitlicher war. Also: “Folgt der Bundeskanzlerin!“ war ja so ein bisschen der Tenor - gerade am Anfang. Und alle, die gesagt haben: “Ist das aber eigentlich angemessen mit diesen ganzen Maßnahmen? Da gehen aber auch ganz schön Grundrechte - jedenfalls zeitweise - über die Wupper“, denen wurde dann entgegengehalten, auch gerade von Kollegen: “Habt ihr die Zahlen nicht gesehen? Wollt ihr wirklich die Alten und Schwachen opfern?“

Steffen Grimberg: “Zahlen“ ist ein gutes Stichwort. Lag es vielleicht auch am Umgang mit den Zahlen, dass den Zahlen zu gläubig oder zu vehement gefolgt wurde? Dass Zahlen absolut gesetzt wurden, ohne dass man sie am Anfang einschätzen und einordnen konnte? Wir hatten ja zum Beispiel die abweichenden Zahlen vom Robert Koch-Institut hier in Deutschland, dann von der Johns Hopkins Universität in den USA, die anders zählt, die ein bisschen schneller zählt. Diese Missverhältnisse haben sich ja erst relativ spät aufgeklärt?!

Jan Fleischhauer: Ich würde zwei Phasen unterscheiden. Die erste Phase ist, das Virus kommt nach Deutschland. Die Bundesregierung erkennt, es könnten ja auch Bilder wie in Norditalien drohen. Die Allgemeinheit ist in großer Aufregung. Herr Drosten bekommt diese Rolle als Superstar der Virologie. Ich glaube, da gibt es erst mal nicht viel andere Möglichkeiten, als Leuten wie Drosten und deren Zahlen zu vertrauen. Die waren ja auch gestützt durch das, was man aus Spanien, Italien und Frankreich sah.
Und dann gibt es die zweite Phase, und da finde ich, dass es jedenfalls in einem Teil des Journalismus, meines Berufsstands, doch eine zu große Zahlengläubigkeit gab. Es gibt eben Leute wie Herrn Drosten. Aber es gibt auch andere Virologen, die ganz andere Modellrechnungen anstellen. Und vielleicht ist das ja auch nicht der alleinige Maßstab, nachdem sich Politik ausrichten sollte. Also zum Beispiel Sterbe- oder Mortalitätsraten, sondern möglicherweise gibt es ja auch noch ganz andere Parameter, an denen man sich bei solch weitreichenden politischen Entscheidungen orientieren muss.
Wie wäre es zum Beispiel mit einer Strategie, dass man, wenn am Ende nur bestimmte Bevölkerungsgruppen wirklich massiv betroffen sind - Durchschnittsalter (der Covid-19-Fälle) in Deutschland (ist) im Augenblick 81 Jahre - nicht die gesamte Bevölkerung in Quarantäne nimmt und sozusagen in solidarische Mithaftung: “Wir bleiben jetzt alle gemeinsam zu Hause, damit sich die Alten nicht schlecht fühlen“. Sondern sagt: “Wir differenzieren das.“ Kann man jedenfalls ja mal diskutieren. Und diese Art von Diskussionen sind, finde ich - so in dieser Mittelphase jedenfalls - erkennbar, zu kurz gekommen und werden jetzt nachgeholt.

Steffen Grimberg: Kann es auch etwas damit zu tun haben, dass es ja für den Journalistenstand auch etwas Außergewöhnliches ist. Normalerweise gehen wir ja raus stellvertretend für die Bevölkerung, die Öffentlichkeit und berichten über etwas, was für andere Leute relevant ist, was andere Leute betrifft, jedenfalls in den meisten Fällen. Hier, durch Corona, sind auch Journalistinnen und Journalisten selber betroffen, zumindest potenziell. Sie haben das mal “embedded“ genannt, in gewisser Art und Weise. Hat das eine besondere Rolle gespielt, dass also hier das Virus vor niemandem Halt macht und immerhin ja auch ein britischer Premierminister und ein Thronfolger betroffen waren?

Jan Fleischhauer: Das mag eine gewisse Rolle gespielt haben bei dem einen oder anderen, die Angst, das könnte mich auch selbst erwischen, klar. Aber das ist, glaube ich, nicht der Hauptgrund gewesen. Das würde ja nicht erklären, dass sich wieder zwei Lager gebildet haben, wie in der Flüchtlingskrise auch, die sich interessanterweise im Grunde entlang der alten Demarkationslinie rechts/links formiert haben. Dann würden wir davon ausgehen, dass Leute, die eher nach rechts tendieren, also konservativer sind, grundsätzlich weniger Angst empfinden als Linke. Aber das halte ich als Erklärung für nicht wirklich tauglich. Das Interessante ist ja, dass im Journalismus und in den Medien diese politische Grundverfassung und Grundierung in der Corona-Krise und der Frage "Was sind die richtigen Maßnahmen?" durchgeschlagen hat. Also in dem eher linken Milieu, in diesem Fall, (das sich) wieder Einreihen bei der Bundesregierung - “My Chancellor, right or wrong, but my Chancellor“. Und je weiter sie nach rechts gegangen sind, ins Konservative, haben die Leute eben gesagt: "Na ja, möglicherweise müssen wir auch den Tod in gewisser Weise hinnehmen." Also ein gewisser Fatalismus. Und dann gab es so Grenzgänger zwischen diesen Lagern. Mein Mitspieler beim Podcast, Jakob Augstein, ist ja so einer. Eigentlich ein klassischer Linker, der aber sehr früh auf der anderen Seite geblinkt hat. Und da ja wahnsinnig dafür vermöbelt wurde.

Steffen Grimberg: Braucht denn nach Ihrer Meinung ein Medium eine ganz klare Haltung? Dass man also meinetwegen sagt: "Sie sind jetzt beim Focus, der gilt als eher konservatives Blatt." Dem Spiegel wird immer noch nach Augstein-Senior nachgesagt: “im Zweifel links“, die taz hat eine relativ klare Position, wobei es dort in der Corona-Geschichte auch eine sehr engagierte interne Debatte gab. Braucht ein Medium eine klare Haltung, oder kann es sich auch mehrere Meinungen leisten in so einer vielleicht existenziellen Frage?

Jan Fleischhauer: Ich glaube, dass jedes Medium gut daran tut, eine gewisse Bandbreite an Meinungen zuzulassen. Sonst wird es ja auch langweilig. Das heißt aber nicht, dass ich als Leser oder Zuschauer nicht weiß, woran ich bin. Also ich glaube, dass der Spiegel oder der Focus oder die Zeit in bestimmten Fragen schon so etwas wie eine Blattlinie entwickeln sollten. Es geht nicht, dass sie auf der einen Seite, wie im Spiegel zum Beispiel, in der einen Woche im Leitartikel sagen: "Also, wir brauchen einen (noch) viel härteren Lockdown." Und eine Woche später auf dem gleichen Platz im Leitartikel die andere Kollegin kolumniert und sagt, dass man die Kitas zulässt, sei ja ein ganz großes Unglück und würde den Feminismus um Jahrzehnte zurückwerfen. Da sage ich nur: "Freunde, was wollt ihr denn nun? Es geht ja nicht beides: Lockdown für sechs Monate und gleichzeitig hat die Kita geöffnet?" Da muss man sich als Medium für etwas entscheiden und dann auch abweichende Stimmen im Blatt präsentieren. Davon habe ich ja auch immer gelebt, auch in der Zeit, als ich noch beim Spiegel war. Das erwarten, glaube ich, auch die Leser, dass es eine gewisse Bandbreite gibt, aber vielleicht ja nicht eben auf dem Leitartikelplatz. Ich glaube ein Blatt an sich tut gut daran, sich gerade in der Krise in einer so wichtigen Frage grundsätzlich zu einer Meinung durchzuringen.

Steffen Grimberg: Sie haben auch beklagt, dass Humor kaum eine Rolle spielt. Und dass der, der versucht, in der Krise das Ganze mit Humor zu nehmen, salopp gesagt, eher auf die Mütze bekommt. Ich glaube, wir alle als Privatmenschen haben die Erfahrung gemacht, dass man sich über irgendwelche sozialen Dienste lustige kleine Videoclips und alles Mögliche zuschickte, gerne auch zum Thema "verstärkter Weinkonsum in Krisenzeiten" und Ähnliches. Wie erklären Sie sich das, dass es einerseits im Privaten dann durchaus humoristisch oder comedyhaft zugehen darf, aber in den Medien dann sowas verpönt ist?

Jan Fleischhauer: Es gibt in den Medien Kollegen, die sich dann zum Hohepriester der Sache machen. Und dann schon mal den Tag damit beginnen, dass sie einem die neuesten düsteren Zahlen um die Ohren hauen und sagen: “Also alle, die glauben..." - Schweden zum Beispiel, mit dem ein bisschen liberaleren Weg - "...guckt euch die Schweden an, das wird im Fiasko landen.“ Dieses Flagellantenhafte. Wer so drauf ist, dass er immer in den Abgrund guckt, für den muss ja jeder Scherz die große Frivolität sein. Das schlägt dann eben so durch. Und wenn dann Leute wie ich kommen, die den Humor ja auch als eine gewisse Lebensbewältigungsstrategie sehen, das wird denen natürlich um die Ohren gehauen. “Was, du lachst, wenn Menschen wie Fliegen sterben?“ Mit dem Argument können Sie natürlich jeden Scherz kaputthauen. Es sterben immer irgendwo Menschen auf der Welt.

Das ist dieser ganz hohe moralische Ton, der eben je stärker die Krise ist, umso stärker durchschlägt, jedenfalls in einem Teil unseres Berufsstandes. Da glaube ich, dass gerade der Journalismus den pädagogischen Menschen besonders anzieht, ist meine Beobachtung. Früher hätte man vielleicht gesagt, (bei) Leuten, die dann auch vielleicht ins Priesterseminar abgebogen wären, ist das halt auch sehr stark ausgeprägt, der Zeigefinger.

Steffen Grimberg: Würde Michael Maier, der Herausgeber der Berliner Zeitung, dann bei Ihnen auch zu diesen Hohepriestern gehören? Sie hatten mit Herrn Augstein in dem Podcast, wo es dann ausdrücklich um die Rolle der Medien ging, gesagt - beziehungsweise es war Herr Augstein, der es gesagt hat, naja, Berlin sei in der ganzen Zeit eine liebenswerte Stadt gewesen. Auch der Senat, also die Regierung dort, habe eigentlich das Meiste richtig gemacht. Die Krise sei jetzt de facto schon vorbei. Michael Maier schrieb ungefähr eine Woche vorher: “Noch ist es ruhig auf den Straßen Berlins. Doch die Stimmung wird kippen.“ Und man konnte in diesem Kommentar, im Leitartikel in der Berliner Zeitung, auch ein bisschen die Lust am Untergang spüren…

Jan Fleischhauer: Michael Maier hat das anders gemeint. Michael Maier, glaube ich, gehörte auch zu denen, wenn ich es richtig gesehen habe, der eher der Meinung war, dass sich eine Gesellschaft wie die unsere so eine Selbstabschließung nicht auf längere Zeit leisten kann oder das nicht durchhält. Jedenfalls ist sie dann nicht mehr die demokratische Gesellschaft, die sie in den letzten 75 Jahren war. Und ich glaube, was er in seinem Kommentar ausdrücken wollte, ist, dass diese Wut, diese Verzweiflung, die natürlich dann auch bei einigen herrscht, die eben nicht im öffentlichen Dienst sind. Also wo nicht das Gehalt jeden Monat kommt, egal ob Deutschland zur Ruine wird oder nicht. Die zum Beispiel ein kleines Gewerbe haben, die davon abhängen, dass Leute ihren Laden besuchen, ihr Hotel besuchen, was auch immer, dass sich diese Wut und Verzweiflung irgendwann auch ausdrücken wird. Und das ist ja genau das, was wir dann auch in diesen Demonstrationen sehen.

Steffen Grimberg: Würden Sie denn sagen, diese Themen sind in den Medien nicht genug aufgegriffen worden? Das war ja bei der Flüchtlingskrise, die Sie schon mal als Beispiel herangezogen haben, auch ein Vorwurf, dass bestimmte Sichtweisen, bestimmte Problemlagen, die Menschen, mit einer großen Zahl von Flüchtlingen, meinetwegen in einer kleinen Gemeinde haben, dass das nicht reflektiert wurde oder zumindest nicht genügend reflektiert wurde in den Medien. Würden Sie sagen, hier ist was Ähnliches passiert, dass also diese Nöte in der Öffentlichkeit nicht genug dargestellt wurden?

Jan Fleischhauer: Die meisten Journalisten, das habe ich mir nicht ausgedacht, das ist ja durch Umfragen gedeckt, denken und neigen ja nach Rot-Grün. Und im Grünen-Milieu, würde ich sagen, kennt man den Selbständigen natürlich mehr oder weniger nur vom Lesen. Das heißt: Diese Verzweiflung im eigenen Bekannten und Freundeskreis, die drückt sich da nicht so aus. Jedenfalls nicht so massiv….

Steffen Grimberg: Aber bei freien Journalisten vielleicht schon …

Jan Fleischhauer: Da hat es ja noch nicht so richtig reingeregnet. Das kommt ja jetzt erst alles. Die wirtschaftlichen Schleifspuren werden sich ja erst zeigen. Ich glaube, wir waren in gewisser Weise auch narkotisiert durch die Stützungsmaßnahmen der Bundesregierung, wie das Kurzarbeitergeld, das zum Teil auf 100 Prozent aufgestockt wurde. Da gab es am Anfang so die Illusion, wir machen mal Corona-Ferien, bleiben mal zwei Monate zu Hause, und dann läuft die Chose schon wieder. Es gab ja auch diese Erwartung von Ökonomen, die sogenannte “V-Form“: Also es geht jetzt einmal runter, dann geht es gleich wieder hoch. Da herrscht im Augenblick eine gewisse Ernüchterung, dass das so mit dem “V“ nichts wird, dass es also eher so (abwärts) verläuft, mit allem, was daran hängt.

Es heißt dann ja immer: Folgen wir der Wissenschaft, also die Zahlen, die Zahlen. Und so Leute wie ich, die dann so mal ein bisschen herumgerechnet haben, dann wurde sofort gesagt: “Äh, du hast doch nur Literaturwissenschaft und Philosophie studiert. Wie kannst du überhaupt Experten wie Herrn Drosten und seine Zahlen anzweifeln?" Und das fand ich schon sehr merkwürdig, diese Engführung immer nur auf den Virologen, als ob das der einzige Wissenschaftler ist, der auskunftsfähig wäre in einer Krise wie der Corona-Krise. Und man die gesamten Ökonomen, die sind ja auch Wissenschaftler, ein bisschen zur Seite geschoben hat: “Na ja, das sind ja nur Ökonomen“. Oder Leute wie Armin Nassehi, ein Soziologe, immerhin Professor, mit mir gut bekannt, um nicht zu sagen befreundet, hier an der LMU, der Ludwig Maximilians Universität. Wenn Sie den fragen würden, der hat auch von Anfang an gesagt, das wird mit der Gesellschaft einiges anstellen. Der ist auch ein Wissenschaftler. Der hat jetzt seine Auftritte, aber eben versetzt.

Steffen Grimberg: Sollte das Ganze auch mit den Medien etwas anstellen, also welche Lehren sind aus den zurückliegenden zwei Monaten und der Berichterstattung in diesen zwei Monaten vielleicht zu ziehen?

Jan Fleischhauer: Mich erinnert vieles in der Corona-Krise an die Flüchtlingskrise und die Aufteilung in politische Lager. Die Allianz, gerade bei Rot-Grün, mit der Bundeskanzlerin. Eine gewisse Unduldsamkeit gegenüber abweichenden Meinungen. Und auch, wenn man jetzt auf den Journalismus guckt, diese unselige Tendenz, die Rolle zu wechseln vom Berichterstatter oder Reporter zum Aktivisten.
Das konnte man in einer Reihe von Texten, Kommentaren sehen, dass im Grunde eine Reihe von Kollegen plötzlich zu Virusbekämpfern wurden oder werden wollten. Und sozusagen mit dem Papst Christian Drosten jeden Morgen: “Weiche von mir Virus.“ und “Was wir tun müssen.“ (riefen) und Marshallpläne für Deutschland entwickelten: "Wie wir jetzt für immer dieses Virus eliminieren." Und jeder, der da anderer Meinung war oder Einwände formulierte, war dann halt Häretiker und wurde entsprechend bekämpft. Und das zeigt mir, dass wir uns wieder offenbar doch in einer hochemotionalen Zeit befinden; mit starken Friktionen, wo Leute eben mit heiligem Ernst auf alles reagieren.

Steffen Grimberg: Jan Fleischhauer, vielen Dank.

* Das Interview wurde am 20. Mai 2020 in Pullach bei München aufgezeichnet.

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