Porträtfoto des ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke
Der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke spricht über die Aufgabe der Kompetenzzentren, ein zukünftiges Mantelprogramm und digitale Transformation. Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Interview mit ARD-Vorsitzendem Kai Gniffke "Ich möchte, dass wir das erfolgreichste Streaming-Angebot in Deutschland werden."

26. Mai 2023, 13:15 Uhr

Im Interview mit MEDIEN360G spricht der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke über anstehende Veränderungen sowie nächste Schritte für eine erfolgreiche Reformgestaltung der Öffentlich-Rechtlichen. Seine Vision: Ein digitales Medienhaus, das alle versorgt. Weitere Überlegungen trifft er unter anderem zu einem gemeinsamen Mantelprogramm. Seine Ziele sind etwa: Weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben sowie Exzellenz und Effizienz zusammenzubringen.

MEDIEN360G: Herr Gniffke, vielleicht zunächst einmal die Frage: Wie oft haben Sie denn in den vergangenen Wochen eigentlich verflucht, dass Sie ausgerechnet jetzt den ARD-Vorsitz inne haben, in der vielleicht größten Krise und dem größten Reformbedarf der ARD?

Kai Gniffke: Nicht ein einziges Mal, weil ich wusste ja, was auf mich zukommt. In dem Moment, als wir uns bereit erklärt haben, ein Jahr früher als geplant den Vorsitz zu übernehmen, war mir klar: Es gibt leichtere Situationen. Aber es ist auch eine Herausforderung, die man annimmt. Und so bin ich auch gestrickt, dass ich sage: Mensch, da ist eine Herausforderung. Jetzt wollen wir mal gucken, dass du das einigermaßen hinkriegst.

MEDIEN360G: Um vielleicht in der Fußball-Rhetorik zu bleiben: Sie wollen die ARD vor dem Abstieg bewahren oder in den europäischen Wettbewerb zurückführen. Gibt es also auch Mentalitätsfragen, die Sie da umtreiben, dass Sie es einfach auch wollen, weil Sie wissen, dass Sie diesem Haus auch viel zu verdanken haben?

Kai Gniffke: Die ARD spielt Champions League. Sie spielt in Europa Champions League, da, wo auch die BBC spielt. Und jetzt müssen wir nicht ausmachen, wer dann der Beste ist. Das Entscheidende ist, dass wir für unser Publikum da sind, dass wir Qualitätsjournalismus tatsächlich auch bieten. Da gilt es, die Mannschaft weiterzuentwickeln, dass wir die Mentalität an den Tag legen, die eine Mannschaft braucht, und dass wir auch die Kompetenzen zusätzlich aufbauen, die in den nächsten Jahren in unserer Sportart gefragt sind.

MEDIEN360G: Den Rahmen haben wir ja alle mal niedergeschrieben bekommen. Die Rundfunkkommission der Länder hat drei große Themenfelder definiert: Digitale Transformation und Qualität stärken ist das Erste. Zweitens soll es mehr Zusammenarbeit zwischen den Anstalten geben. Punkt drei: Die Unternehmensführung soll verbessert werden. Das sind, einzeln betrachtet, drei Megaprojekte. Welches wollen Sie denn als Erstes angehen, wo Sie auch sagen, da sehen Sie in Ihrer Zeit eine Chance auf Realisierung?

Kai Gniffke: Alles auf einmal. Anders geht es nicht. Wir brauchen zunächst mal Good Governance [Anm. der Redaktion: "Gute Führung"]. Das ist die Konsequenz aus dem letzten Jahr. Das, was die Menschen von uns erwarten und selbstverständlich voraussetzen dürfen: Dass wir uns an bestimmte Verhaltensregeln halten, dass wir wirtschaftlich mit dem uns anvertrauten Geld umgehen, dass wir transparent sind, und dass unsere Aufsicht auch genau ein Auge darauf hat, was wir tun. Das ist das Eine. Das ist eine Voraussetzung. Gleichzeitig müssen wir natürlich auch uns verändern. Aber dafür muss man wissen, wo wir eigentlich hin wollen. Also die Zielbeschreibung: Wo wollen wir hin? Das hat sehr viel mit Digitalisierung zu tun. Das hat sehr viel damit zu tun, wie Menschen in den nächsten Jahren Medien nutzen. Da ist es vollkommen klar: Wir müssen ein digitales Medienhaus werden, um alle zu versorgen. Sowohl die, die lineare Programme mögen, als auch die, die nichtlineare Angebote nutzen. Um das umzusetzen, brauchen wir Kraft. Dann kommt die dritte Säule, nämlich die Reform-Agenda. Da müssen wir gucken, wie gewinnen wir die Kraft, die wir brauchen, um diese Ziele zu erreichen?

MEDIEN360G: Je nach Lesart gibt es derzeit 21 öffentlich-rechtliche Fernsehsender. Da kann man sicherlich darüber reden, ob das noch zeitgemäß ist. Soll das so bleiben oder kann da was weg?

Kai Gniffke: Man muss es sich immer genau angucken. Man muss sich, glaube ich, alle Hörfunkwellen angucken und sagen: Was will das Publikum? Wir wollen natürlich regionale Versorgung. Wir wollen unsere regionalen Sender, die auch ein Stück Heimat durchs Radio vermitteln. Wir wollen die Informationsangebote im Audiobereich. Wir wollen natürlich die Kulturangebote im Audiobereich. Wir wollen auch die Wellen, die insbesondere jüngeres Publikum ansprechen erhalten. Da sage ich immer: Genau hingucken, was wir brauchen. Das gilt auch für die Videoangebote, also unsere Fernsehkanäle. Ich glaube nicht, dass irgendjemand die Dritten Programme in Frage stellen will, weil das ist das Abbild der Region. Das ist der Kern der ARD. Darauf, glaube ich, will niemand verzichten. Aber die Frage: Wie stellen wir dieses Programm her und wie gewinnen wir Kraft? Wie können wir Synergien nutzen? Also wie können wir mehr zusammenarbeiten, kooperieren und uns auch Aufgaben teilen? Das ist die Frage, die uns jetzt bevorsteht.

MEDIEN360G: Das sind ja die zwei Sachen, die Sie mit Blick auf die TV-Landschaft schon ins Spiel gebracht haben. Zum einen also diese Fusion oder auch Bündelung von Kompetenzen im Magazinbereich und zweitens das Mantelprogramm der Dritten. Was kann denn aus Ihrer Sicht da als Erstes passieren? Einerseits diese Kompetenzzentren, andererseits ein möglicherweise zusammengelegtes Mantelprogramm.

Kai Gniffke: Auch da ist es kein einerseits, andererseits oder kein entweder, oder, sondern ein sowohl als auch. Deshalb haben wir das jetzt in die Hände von den Menschen gelegt, die am meisten davon verstehen. Das ist die Koordinierungsgruppe für die Dritten Programme. Und das ist die Videoprogrammkonferenz, die sich vorgenommen hat: Wie können wir zu solchen Kompetenzcentern kommen und auch die Frage klären, wieviel gleichartige Angebote braucht es, die möglicherweise keinen besonderen regionalen Bezug haben? Das haben wir in die dazu zuständigen Fachgruppen gegeben. Wir haben ihnen ein sehr, sehr ehrgeiziges Zeitziel gesetzt. Wir haben gesagt: Im Juni möchten wir von euch wissen, was schlagt ihr uns vor? Dann wird die Runde der Intendantinnen und Intendanten beschließen: Das machen wir, das setzen wir um. Und möglicherweise sagen: Jetzt erweitern wir den Auftrag auf noch weitere Felder.

MEDIEN360G: Wenn ich jetzt als Nutzer öffentlich-rechtlicher Fernsehangebote auf der Straße auf Sie zukomme und sage: Herr Gniffke, ich habe das alles wahrgenommen, was Sie da vorschlagen oder was Sie auch präsentiert haben. Ich würde jetzt gerne von Ihnen wissen wollen: Worum geht es da eigentlich? Geht es da ums Geldsparen? Geht es darum, Strukturen zu straffen? Was steht bei diesen Kompetenzzentren und auch vielleicht bei zukünftig nur noch einem Mantelprogramm im Mittelpunkt? Ist es das Ökonomische oder das Strukturelle?

Kai Gniffke: Ich würde sagen, es ist der Versuch, Exzellenz und Effizienz zusammenzubringen. Wir wollen Exzellenz gewinnen, indem wir noch besser werden. Journalistisch noch besser werden. Nämlich wenn nicht mehr jeder alles macht, sondern jeder nur noch das macht, was er am besten kann, was er am besten für die Gemeinschaft zur Verfügung stellen kann. Wenn wir Kräfte bündeln, dann kriegen wir auf den einzelnen Themenfeldern, glaube ich, wirklich eine Power auf die Straße, die für den Menschen ein exzellentes, hervorragendes journalistisches Angebot macht. Gleichzeitig, wenn wir eben uns Arbeit teilen, wenn wir Kräfte bündeln, gewinnen wir natürlich auch Kraft, die wir brauchen, um zu investieren in zusätzliche Inhalte, in Technologie oder eben auch in das, was wir im Moment erleben. Nämlich in das Schließen der Lücke, die durch die Inflation entsteht, durch steigende Gehälter, aber auch durch rückläufige Werbeerlöse. Also Exzellenz und Effizienz in Einklang bringen.

MEDIEN360G: Da schwingt schon so ein bisschen mit, dass es darum geht, Gelder an einer Stelle einzusparen, um sie an einer anderen Stelle einsetzen zu können. Das ist grundsätzlich das Ziel von Investitionen: Gelder freizusetzen. An welcher Stelle zahlt sich denn so ein Ansatz aus? Wo lässt sich da möglicherweise Geld freisetzen, um es anderswo zu investieren?

Kai Gniffke: Ich muss der Offenheit halber und der Fairness halber gegenüber unserem Publikum, aber auch gegenüber den Mitarbeitenden, sagen: Wir kommen aus einer Phase des Umschichtens, des Umverteilens. Aber wir gehen in eine Phase, in der es wahrscheinlich auch ums Reduzieren geht. Unsere Ressourcen werden schmaler in dem gleichen Maße wie Inflation sich nicht an die uns einmal vorgegebenen Steigerungsraten hält. Also insofern, es geht nicht nur ums Umschichten, sondern es geht einfach auch um die Frage: Wieviel gibt das Budget überhaupt her? Was können wir an Programm für die Menschen bringen? Aber um es jetzt mal konkret zu machen an einem Beispiel: Wir haben in der ARD mehrere Gesundheitssendungen, und die beschäftigen sich oftmals mit den gleichen Krankheiten. Und da muss man einfach mal fragen: Ist es regional so unterschiedlich? Oder sind Kniebeschwerden in Kiel genauso unangenehm wie in Konstanz? Und da sehen wir die Chance, wenn wir uns da die Arbeit teilen, wenn wir da Kräfte bündeln, dann können wir hervorragende Gesundheitssendungen machen und gleichzeitig auch Kraft gewinnen. Und entweder wir schichten das dann um und setzen die Kraft woanders ein oder wir müssen einfach sagen: Das ist der Teil an Ressource, der gerade aufgefressen wird durch die Entwicklung, die ich gerade skizziert habe.

MEDIEN360G: Stichwort: Standorte von Gemeinschaftsredaktionen. Das sind ja alles, ich sage mal so, auch kleine Elfenbeintürme. Die werden wahrscheinlich verteidigt werden wollen und müssen. Haben Sie da schon eine Idee, wie Sie das möglicherweise strukturell aufstellen wollen? Ich sage mal so: Es könnte ja auch eine SWR-Redaktion erwischen. Und ich habe mal nachgeschaut, es gibt ja zum Beispiel "Doc Fischer" und "Marktcheck", "Gartengeschichten" und so weiter. Es gibt den "MDR Garten", es gibt "Visite". Kurzum, es könnte ja auch jemand sagen: Wir müssen beim SWR was wegnehmen.

Kai Gniffke: Ja, das wird so sein. Und dann müssen wir sagen: Ja, wir sind bereit, auch Dinge in die Hände anderer Häuser zu geben, weil die werden es genauso gut machen wie wir. Vielleicht werden sie es sogar besser machen. Vielleicht können wir sie ein Stück weit dabei unterstützen, quasi im Sinne einer Juniorpartnerschaft, das kann genauso sein. Aber das ist natürlich auch etwas, was wir nicht gewohnt sind: abzugeben. Wir haben bislang immer den Anspruch gehabt: Jeder macht alles. Das werden wir aber nicht durchhalten. Und das ist genau der Mechanismus, auf den ich setze. Wir werden einfach dadurch, dass die Leute bei uns erschöpft sind, dass sie uns jeden Tag sagen: Ey Freunde, wir sind jetzt am Poller, weiter schaffen wir nicht mehr. Allein schon dadurch werden wir gezwungen sein, zu sagen: Wir geben auch mal Aufgaben in andere Hände. Und auch die Ressourcensituation wird uns dazu zwingen. Und insofern setze ich einmal auf diesen Effekt. Ich setze aber auch darauf, dass es uns gelingt, genau hinzugucken. Wer hat denn wo eine besondere Kompetenz? Wo bietet sich was an? Und dann werden sich solche Kompetenzcenter bilden. Das muss nicht immer ein Haus sein für ein Thema. Das können auch zwei oder drei sein. Und am Ende ist der Standort dann auch nicht mehr so wichtig. Das haben wir ja in der Pandemie gelernt, dass man auch an einem Standort arbeiten kann, der nicht mit dem tatsächlichen Wohnsitz übereinstimmt. Da muss niemand umziehen, um an einem Kompetenzcenter partizipieren zu können. Deshalb setze ich darauf, dass uns das gelingt. Aber noch mal: Es ist eine knifflige Aufgabe, und es ist etwas, wofür wir keine Blaupause haben.

MEDIEN360G: Ich beneide Sie da nicht in dieser Rolle, weil am Ende wird irgendjemand die unangenehme Wahrheit aussprechen müssen und sagen müssen: Die Redaktion XY gibt es nicht mehr, weil das jetzt die andere macht.

Kai Gniffke: Ja, absolut. Und das werden intensive Diskussionen werden, auch bei uns im Haus, wenn wir bei einem Themenfeld sagen: Da brauchen wir jetzt kein eigenes Redaktionsteam mehr, weil die Menschen, die das bisher gemacht haben, die haben das mit Herzblut gemacht und die haben es exzellent gemacht. Aber noch einmal: Auch im eigenen Haus muss man sagen: Wir schaffen es nicht mehr alles. Ihr schafft es doch nicht mehr. Wir sind alle richtig ausgelastet, mehr als ausgelastet. Und da kann ich nicht sagen: Jetzt machen wir das, was wir uns noch zusätzlich vorgenommen haben, nämlich im Bereich Streaming den Menschen ein täglicher Begleiter zu sein. Das werden wir alles nicht schaffen. Und das ist der Effekt, der einsetzen wird und ich bin da sogar zuversichtlich, dass wir das auch hinkriegen.

MEDIEN360G: Kalkuliert das auch ein, dass es möglicherweise, so blöd und so hart das klingt, ein gewisses Maß an Arbeitslosigkeit mit sich bringen wird, weil Leute eben nicht mehr beschäftigt sein können? 

Kai Gniffke: Nein, überhaupt nicht. Also Arbeit haben wir satt. Niemand muss Sorge haben, dass er hier Däumchen dreht. Ich glaube schon, dass die Sender kleiner werden. Für den SWR kann ich das sagen. Aber es ist auch keine neue Entwicklung. Seit Jahren bauen wir Jahr für Jahr 0,5 Prozent der Belegschaft ab. Das ist eine Vorgabe, die uns die KEF, die unabhängige Kommission, die den Finanzbedarf ermittelt, vorgegeben hat. Daran halten wir uns. Und deshalb werden unsere Häuser jetzt schon kleiner. Ich nehme mal an, dass das eine Entwicklung ist, die weitergehen wird. Umso mehr werden wir gezwungen sein und werden gut beraten sein, Arbeit zu teilen, weil nochmal: Es schafft nicht mehr jeder alles.

MEDIEN360G: Das heißt also, wenn ich Sie richtig verstehe, jemand, der vielleicht bislang an einem Gesundheitsmagazin mitgearbeitet hat, muss nicht befürchten, arbeitslos zu werden, sondern arbeitet dann beispielsweise am digitalen Transformationsprozess mit und übernimmt andere Projekte.

Kai Gniffke: Also ich kann es jetzt mal auch an einem Beispiel für den Südwestrundfunk machen. Wir haben bislang zwei getrennte Programme im Radiobereich für ein älteres Publikum, jeweils eins für Rheinland-Pfalz und eins für Baden-Württemberg. Wir haben jetzt gerade beschlossen, wir wollen diese beiden Redaktionen enger zusammenschieben. Wir wollen die regionale Identität beider Länder erhalten. Es gibt spezifische Landesnachrichten und regionale Aufschaltung, aber die Teile dazwischen, gerade wenn es darum geht, den Menschen die Musik zu spielen, die ihnen gefällt, das müssen wir nicht doppelt machen. Dann müssen wir nicht Paarlauf der Hörfunkwellen machen. Da können wir Kraft gewinnen. Und wir werden den Aufwand etwa halbieren. Und die Leute, die dann nicht mehr für diese Welle für SWR4 arbeiten, die werden dringend gebraucht, weil ein guter Radioredakteur bleibt ein guter Radioredakteur. Wir haben ja noch andere Hörfunkwellen. Und ich bin sicher, da gibt es Arbeit satt, weil wir wollen ja auch zusätzliche Podcasts schaffen. Da wollen wir ja auch den Menschen ein Angebot machen. Also dort werden wir Leute mit Audiokompetenz brauchen. Nein, da muss sich keiner Sorgen machen, dass er hier Arbeit verliert, im Gegenteil, wir haben Arbeit satt.

MEDIEN360G: Also ich sehe dann keinen ökonomischen Spareffekt, weil die Leute bleiben ja da. Beschäftigt sind sie auch. Die Produkte gibt es auch. Es geht also tatsächlich um die Kompetenzen, die geschaffen werden sollen?

Kai Gniffke: Naja, ich sagte bereits, wir werden kleiner werden und kleiner werden wir entlang der Demografie. Wir werden nicht jede Stelle neu besetzen können. Wie gesagt, das ist schon das Ergebnis der jetzigen KEF-Vorgaben, das machen wir schon. Und die Frage ist, in welchem Maße trifft es zu. Werden wir überhaupt keine neuen Menschen mehr einstellen können? Das ist nicht mein Ziel, weil wir brauchen zusätzliche Kompetenzen, die wir uns ins Haus holen, die wir im Moment noch nicht ausreichend haben. Aber wir haben insofern einen gewissen Bewegungsspielraum, weil wir Menschen meiner Generation, die Boomer, nach und nach in den nächsten fünf bis zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Und deshalb haben wir dann eine relativ hohe Fluktuation, die uns die Chance gibt, eben kleiner zu werden, ohne, dass wir Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Davon gehe ich nicht aus.

MEDIEN360G: Ich würde auch natürlich gern, weil Sie es ja auch gerade schon fast mit übergeleitet haben, nochmal so ein zweites zentrales Projekt mit Ihnen besprechen wollen: Dieses gemeinsame Mantelprogramm der Dritten. Auch ein Thema, was ich sehr spannend finde. Vielleicht können Sie mir mal beschreiben, wie würde das denn, wenn das umgesetzt wird, am Ende ganz praktisch aussehen in seiner Endausbaustufe. Habe ich dann auf meiner Fernbedienung nur noch einen Knopf, der belegt ist mit einem Dritten?

Kai Gniffke: Also erst einmal will ich jetzt wirklich den Fachgruppen, die sich das Thema geangelt haben, nicht vorgreifen, indem ich jetzt schon sage, wie das Ergebnis aussieht. Ich weiß nicht, wie die Dritten Programme am Ende aussehen werden. Und es wird möglicherweise auch nicht dieses One-Size-Fits-All geben, also einen Mantel, der allen passt. Es wird eine Entwicklung sein, die hin zu sehr viel mehr gemeinsamen Programm-Anteilen geht. Um es jetzt mal holzschnittartig zu machen: Dass wir nur noch ein Rahmenprogramm für alle Dritten haben, das dann rund um die Uhr das gleiche Programmschema hat, aber ein regionales Fenster, sagen wir zwischen 18 und 22 Uhr. Das wird dann individuell aus den Regionen bespielt. Nun kann man auch sagen: Nein, das ist dann besser die Zeit zwischen 16 und 20 Uhr oder whatever. Das ist jetzt nur mal holzschnittartig das Prinzip, das alles, was außerhalb dieses Regionalfensters stattfindet, dass man das aus einem Guss und tatsächlich für alle macht. Aber es kann auch sein, dass einzelne Häuser sagen: Nein, da haben wir eine andere Tradition. Da sind die Menschen bei uns anders, auch Fernseh-sozialisiert. Wir wollen weiterhin daran festhalten, dass wir größere Strecken für uns individuell machen. Da werden wir auch keine Vorschrift machen, sondern werden sagen: Okay, wenn sich sechs Häuser zusammenfinden in der ARD, dann lasst uns das gemeinsam tun. Wenn wir nämlich immer warten, bis wir Einstimmigkeit haben und alle sich dann am Ende angeschlossen haben, dann werden wir ganz, ganz schwer vorankommen. Aber das ist uns allen klar. Und das können wir auch machen, ohne dass irgendeinem Haus ein Zacken aus der Krone fällt.

MEDIEN360G: Auch die Länderparlamente müssen ja gehörig mitsprechen und wollen wahrscheinlich auch am Ende gehörig mitsprechen?

Kai Gniffke: Nicht bei den Fragen, über die wir jetzt gerade sprechen. Weil jetzt reden wir über Programmfragen und das ist wirklich politikfern. Das ist Aufgabe der Häuser, zu organisieren, wie mache ich mein Drittes. Der Rahmen, in dem wir uns bewegen, das sind die Staatsverträge, das ist der SWR-Staatsvertrag, das ist der MDR-Staatsvertrag, da müssen wir uns natürlich daran halten. Aber dieser Rahmen gibt uns viele Gestaltungsmöglichkeiten und der würde auch die Möglichkeit geben, dass wir ein Drittes Programm haben, für jeden. Das heißt weiter das MDR Fernsehen, das SWR Fernsehen whatever. Der Kern besteht eben aus dem regionalen Teil. Und darum ist ein, nennen wir es Mantel, wie auch immer man das Programm nennen wird, der aber dann gemeinsam bestritten wird, aus Wiederholungen von Magazinsendungen, hier und da vielleicht auch einem Tatort oder was auch immer. Aber das muss eben nicht von jeder Anstalt individuell neu erfunden werden.

MEDIEN360G: Auch an der Stelle ist eine Frage, die ich Ihnen stellen muss, weil es sich einfach aufdrängt: Bei diesem Vorschlag: Mantelprogramm – geht es dabei um Strukturanpassung, geht es da auch um Einsparen? Was steht da für Sie im Mittelpunkt?

Kai Gniffke: Auch da geht es um Effizienz. Ja, es geht um Effizienzsteigerung, dass wir nicht Kraft aufwenden, auch an den Programmrändern, für etwas, was den Menschen eher nicht so wichtig ist oder beziehungsweise, wo die Menschen auch erstklassig versorgt werden, wenn es ein Programm ist, das man sowohl in Leipzig wie auch in Mainz sehen kann.

MEDIEN360G: Regionalität ist ja auch irgendwie dezentral. Wie verträgt sich das mit so einem zentralistischen Ansatz, zu sagen: Wir machen jetzt ein gemeinsames Mantelprogramm der Dritten?

Kai Gniffke: Gemeinsamkeit heißt ja nicht Zentralismus. Die ARD ist mal erfunden worden, um Regionalität abzubilden, um tatsächlich die Verschiedenheiten der Landsmannschaften in Deutschland abzubilden und das Ganze dann eben auch am Ende in ein großes gemeinsames Schaufenster zu stellen, das bei uns Das Erste ist, das erste Programm. Und insofern: Das verträgt sich sehr, sehr gut. Nein, in der ARD ist es Konsens, dass wir ein föderaler Medienverbund bleiben, dass wir eine regionale Verankerung haben, jeder für sich. Aber das steht dem Gedanken der Arbeitsteilung und der Kooperation überhaupt nicht im Wege, sondern im Gegenteil. Das ist eine perfekte Ergänzung, wie ich finde.

MEDIEN360G: In so ein Vier-Stunden-Fenster kann man ja viel reinpacken, muss man ehrlicherweise auch sagen. Also ich habe da auch Fantasie. Man kann da ja wirklich den Menschen draußen das Gefühl geben, geballt alles in einem Zeitfenster zu bekommen.

Kai Gniffke: Naja, wir sehen ja auch wie heute das Nutzungsverhalten ist. Und wir haben in den Dritten Programmen genau in diesen Zeiten doch eine außerordentlich hohe Akzeptanz. Wir haben hier zeitweise in den Dritten eine höhere Akzeptanz, wenn man sie addiert, als im ersten Programm. Und das ist ja auch toll. Uns kann es doch fast egal sein, welches der ARD-Angebote die Menschen nutzen. Wichtig ist, dass wir insgesamt unserem Auftrag gerecht werden, nämlich für die Menschen da zu sein, in Unterhaltungen, in Informationen, in Bildung und Beratung.

MEDIEN360G: Wir haben vergangene Woche mit einem Berliner Medienwissenschaftler gesprochen, Joachim Trebbe, interessanter Mann, der hat schon über viele Jahre Programmstrukturanalysen gemacht und hat sich auch den SWR und den MDR genau angeguckt, er hat im Prinzip alle einmal genauer unter die Lupe genommen. Viele interessante Dinge, eine Sache ist uns besonders aufgefallen: Er hat gesagt: So eine Reform kann man natürlich nicht von heute auf morgen umsetzen, aus seiner Perspektive. Er rechnet damit, dass man so zehn bis 15 Jahre, also mindestens mal mehrere Gebührenperioden, brauchen wird. Welchen Zeitplan sehen Sie denn?

Porträtfoto von Prof. Dr. Joachim Trebbe vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin. 31 min
Im Interview mit MEDIEN360G spricht Prof. Dr. Joachim Trebbe vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin über die Möglichkeiten einer Reformgestaltung aus medienanalytischer Sicht. Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Kai Gniffke: Wir haben uns einen ehrgeizigen Plan gesetzt, indem wir sagen: Bis Juni wollen wir erste Erkenntnisse haben: Wie könnten Kompetenzcenter aussehen? Und wenn wir im Juni Ergebnisse haben, werden wir auch entscheiden: Jetzt geht es in die Umsetzung. Wir werden im Laufe dieses Jahres auch unbequeme Entscheidungen treffen, nämlich zum Beispiel die Entscheidung, welches unserer linearen Angebote überführen wir entweder ins Netz oder stellen es ganz ein. Das werden auch unangenehme Entscheidungen sein, bei denen aber klar ist: Aha, wir haben verstanden. Und vor allen Dingen: Wir müssen Kraft gewinnen, denn das ist mein Ziel. Das ist ein Zeitraum von weniger als zehn Jahren. Ich möchte, dass wir mit unserer Mediathek das erfolgreichste Streaming-Angebot in Deutschland werden. Und im Moment sind wir das erfolgreichste Streaming-Angebot aus Deutschland. Aber da sind noch so zwei amerikanische Großkonzerne davor. Aber wenn wir wollen, dass Mediennutzung, dass demokratischer Diskurs auf Medienplattformen stattfindet, die nicht nach Gewinnmaximierungsinteressen funktionieren, die nicht auf Erregungs-Algorithmen basieren, dann müssen wir auch dafür was tun. Dann müssen wir investieren in Technologie. Wir müssen investieren in Inhalte, damit Mediennutzung auch dort stattfindet, wo Medienangebote aus Deutschland präsent sind. Und das wäre mein Ziel. Das ist mein Ziel. Bis Ende dieses Jahrzehnts sind wir erfolgreichstes Streaming-Angebot bei Video, wenn es geht auch bei Audio. Aber das werden wir nur schaffen mit einer Kooperation mit unseren Kolleginnen und Kollegen vom ZDF. Wir haben das Netzwerk bereits begründet. Wir werden jetzt im März erste Schritte gehen, also Zugriff und Empfehlungen auf Angebote des jeweils anderen. Das ist der erste Schritt. Aber da ist noch eine weite Strecke zu gehen. Aber das Ziel ist gesetzt. Bis 2030 wollen wir top sein.

MEDIEN360G: Ich glaube, das deckt sich auch mit Erkenntnissen der Medienforschung, dass das, das Jahr sein wird, indem die Nutzung kippt. Man sagt also nach 2030 wird 50/50 aufgehoben sein, und mehr Menschen werden digitale Angebote nutzen und weniger lineare. Bislang ist der Trend noch anders, Stand heute. Aber weil Sie das gerade ansprechen. Eine Frage, die mich schon eine ganze Weile umtreibt und Sie ja doch auch mit vielen visionären Gedanken im Moment auch an die Öffentlichkeit gehen. Netflix, YouTube, das haben Sie ja gerade auch so ein bisschen mit durchblicken lassen, das klingt für mich nach Couch, nach chillen, nach abhängen und Freizeit. Mediathek klingt für mich immer noch so ein bisschen wie Arbeit. Wenn man dieses öffentlich-rechtliche Drittplattformen-Angebot machen will, wird man dann auch über eine völlige Neugestaltung nachdenken müssen. Kann das die ARD-ZDF-Mediathek sein oder brauchen Sie etwas völlig Neues?

Kai Gniffke: Ja. Natürlich kann das sein. Also noch einmal: Wenn man sich die Zuwachsraten bei uns gerade anguckt, dann muss man sagen, wenn wir nur für eine Sekunde lang die Nutzungszahlen von ARD und ZDF Mediatheken addieren, dann spürt Amazon schon unseren heißen Atem im Nacken. Das ist nicht ganz redlich, weil da haben wir Doppelnutzung, deshalb müssen wir da auch ein bisschen Bescheidenheit walten lassen. Aber das zeigt: Wir haben eine Chance. Wir müssen uns da nicht ergeben, sondern im Gegenteil: Wir wollen in diesen Wettbewerb eingreifen. Das ist ein Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Und wenn ich diese Aufmerksamkeit bei den Menschen nicht erziele, dann werden sie auch unsere wertvollen Informationsinhalte nicht nutzen. Wenn sie bei einem anderen Anbieter den Sport kriegen, die Unterhaltung und von mir aus auch noch Dokumentationen, dann werden sie am Ende auch nicht unsere Nachrichtenangebote nutzen. Deshalb ist es wichtig, dass wir ein erfolgreiches Streaming-Angebot haben, wo die Leute sagen: Aha, da bei der ARD habe ich mein mediales Zuhause. Die bringen mir sicher gute Informationen, auch gute Unterhaltung ins Haus. Diesen Zustand müssen wir erreichen. Wenn wir sagen: Nein, wir sind nur noch für Kriege und Katastrophen zuständig und wenn ihr mal die Füße hochlegen wollt, wenn ihr Sportereignisse feiern wollen, dann bitteschön geht zu den anderen Medienanbietern, dann werden wir nicht mehr bei den Menschen sein. Das soll uns nicht passieren. Weil dann verliert dieses Land ein gutes Stück Zusammenhalt und auch die Basis für demokratischen Diskurs.

MEDIEN360G: Rundfunk ist Ländersache. Und ich glaube, das ist ein extrem viel zitierter Satz, der von gar nicht so vielen zu Ende gedacht ist. Auch welche Konsequenzen daraus erwachsen. Strukturen zu ändern würde bedeuten, dass die Politik an vielen Stellen mittragen muss. Sie haben natürlich gerade schon mal zu Recht darauf hingewiesen, dass es auch Dinge gibt, die von innen heraus reformiert und neugestaltet werden können, was eine inhaltliche Zusammenarbeit angeht. Was Strukturen, beispielsweise Fusionen oder auch das Aufgeben des ein oder anderen Standorts angeht, da müssten natürlich die Länder mitmachen. Haben Sie manchmal ein bisschen Angst, dass ein gewisser Teil dieses Reformansatzes am Standort-Denken zu scheitern droht, also am Standort-Denken von der Landespolitik?

Kai Gniffke: Ach, das ist gerade nicht meine Hauptsorge. Ich weiß, dass es das gibt. Und das hat Tom Buhrow im letzten November auch sehr, sehr genau beschrieben, wie diese Mechanismen dann sind. Ich breche es mal runter auf unser Haus. Wir haben als SWR drei Hauptstandorte: einen in Mainz, einen in Stuttgart und einen in Baden-Baden. Und alle fragen immer: Ja braucht es denn die drei Hauptstandorte? Und kann man denn einen schließen? Um Gottes Willen, sage ich dann immer. Warum führen Leute diese Diskussion? Lasst doch mal gucken, welcher Standort was am besten kann. Es ist im Kleinen das, was wir in der ARD jetzt gerade probieren. Lasst uns mehr Arbeit teilen. Wir müssen hier nicht in jedem Standort das Gleiche machen, aber wir haben zum Beispiel in dem einen Standort tolle Produktionsstätten. In dem anderen Standort haben wir, etwa in Mainz, mit der Mediathek und mit Funk zwei digitale Schwergewichte. Und in Stuttgart haben wir zum Beispiel, was weiß ich, den Sport sitzen oder eine Wirtschaftsredaktion. Und wenn jeder seine Stärken voll ausspielt, dann glaube ich, kann da was wirklich journalistisch Exzellentes bei entstehen. Und genau das ist etwas, was wir selbst in der Hand haben. Und dann müssen wir nicht warten, bis uns ein Staatsvertrag mehr Möglichkeiten einräumt. Das wird auch nötig sein. Aber noch einmal: Das, was wir jetzt als Reform-Agenda formuliert haben, das ist alles innerhalb der bestehenden Strukturen und Staatsverträge. Und da haben wir satt zu tun. Und die nächste Stufe würde dann bedeuten, dass wir Staatsverträge ändern. Aber nochmal: jetzt erst den ersten Schritt gehen. Und da können wir wirklich das Schicksal in die eigenen Hände nehmen.

MEDIEN360G: Weil Sie die Politik jetzt gerade so ein bisschen auch rausgenommen haben, will ich nochmal an anderer Stelle nachfragen, weil ich auch zuletzt von Ihnen gehört habe, dass Umfragen unter Bundesbürgern, wie sie sich den Öffentlich-Rechtlichen vorstellen, die Reformpläne aus Ihrer Sicht nicht leiten dürfen. Sie berufen sich stattdessen an der Stelle dann doch auf den staatlichen Auftrag. Warum ist er dann doch wichtiger als das, was die Leute sich möglicherweise in Umfragen wünschen?

Kai Gniffke: Weil dieses Gemeinwesen sich mal vorgenommen hat, wir wollen einen unabhängigen Rundfunk. Audio und Video und Online. Wir wollen gerade in Zeiten, in denen es eher zu Konzentrationsprozessen kommt, wo uns publizistische Vielfalt abhandenkommt, einen starken, unabhängigen Journalismus erhalten und stärken. Und das finde ich richtig. Und das ist in Staatsverträge gegossen. Das ist Ausfluss dessen, was die demokratisch legitimierten Gremien, also sprich die Landtage, diesem Land mal ins Stammbuch geschrieben haben und damit ins Gesetzbuch geschrieben haben. Und da ist unser Auftrag, und den finde ich nach wie vor sehr, sehr gut und sehr zeitgemäß. Und wir müssen jetzt mal alles dafür tun, dass wir diesen Auftrag auch in zehn Jahren noch ordentlich erfüllen.

MEDIEN360G: Ich habe ja auch zur Kenntnis genommen, dass Sie durch die Landtage reisen. Sie waren in Sachsen vor einigen Wochen. Ich glaube, jetzt sind Sie auch just in Thüringen unterwegs. Sie sind natürlich im Gespräch mit Landespolitikern. Mit welchen Wünschen oder auch Erwartung treten Sie denn an die heran? Also ich meine, natürlich wird jetzt wahrscheinlich gemeinhin gesagt: Ja Mensch, der Herr Gniffke, der kommt sicher und will mit uns über den Rundfunkbeitrag reden, über die Höhe und so weiter. Aber es gibt ja wahrscheinlich auch Leitplanken, die Sie sich von der Politik erhoffen. Was sagen Sie denen? Was sagen Sie einem Medienpolitiker in Sachsen, wie der vielleicht auch die Reform der ARD mit unterstützen und vorantreiben kann?

Kai Gniffke: Ich bin gar nicht so als derjenige unterwegs, der Wünsche formuliert oder gar Erwartungen formuliert, sondern im Gegenteil: Ich tausche mich sehr gerne auch mit der Landespolitik jeweils aus über die Frage: Was erwartet ihr von uns? Und dann stelle ich fest, etwa im sächsischen Landtag, dass es dann eine sehr, sehr spannende Diskussion gibt über die Frage: Wo seht ihr euch als ARD in den nächsten fünf bis zehn Jahren? Und dann skizziere ich die Entwicklung, die Ziele, auch die Visionen, die wir gemeinsam haben. Und vor allen Dingen reden wir intensiv darüber, warum wir das eigentlich alles machen. Weil dieses Land gerade, wie alle anderen Gesellschaften in Europa und auch in Übersee, droht, ein Stück weit den Zusammenhalt zu verlieren. Aufzugehen in ganz vielen Einzelinteressen und vor allen Dingen der Gefahr zu erliegen, dass es zu einer Polarisierung kommt, die beschleunigt wird, durch Mechanismen der sozialen Medien. Und das wird überall in den Ländern, egal, ob es in Sachsen ist, ob ich hier in Rheinland-Pfalz bin oder wo auch immer. Es wird genauso gesehen. Alle sagen: Ja, das schätzen wir genauso ein. Und alle teilen die Auffassung: Dafür braucht es euch. Und was wir dann im nächsten Schritt diskutieren, ist die Frage: Wieviel Ressourcen braucht es dafür? Aber das darf nie am Anfang stehen. So nach dem Motto: Ich komme jetzt mal dahin, und dann hätten wir gern mehr Geld, sondern: Warum braucht es uns? Und ich bin der festen Überzeugung, es braucht uns jetzt dringender denn je. Dieser Zusammenhalt ist so wichtig. Ich stelle immer wieder fest, dass das auch überall in der Politik geteilt wird, auch in den Parteien, auch in den Gruppierungen, auch in den Ländern, wo der Blick aufs öffentlich-rechtliche System sehr kritisch ist. Aber am Ende kommen wir da doch zusammen und sagen: Ja, das ist unsere Aufgabe. Das ist unser Ziel, das wollen wir.

MEDIEN360G: Ich will noch mal zum Abschluss eine Frage stellen, die mir tatsächlich so ein bisschen schon eine Weile auch auf den Nägeln brennt. Frau Jäckel, die jetzt im Zukunftsrat sitzen wird, hat das auch schon mal so ein bisschen mit zuletzt berührt, als sie gesagt hat: Also so eine ständige Qualitätskontrolle, wie sie beispielsweise private Medienanbieter haben, ich sag mal so, wir sitzen ja nicht ohne Grund hier. Es hat also über die Jahre, sagen wir mal, ein großes Wachstum gegeben in dieser Anstalt, die ist ein Riesentanker geworden. Der Grund, warum wir jetzt hier sprechen, es sind ja nicht nur die Geschehnisse beim RBB oder auch beim NDR oder was auch immer man jetzt als aktuellen Anlass sich da aussuchen möchte. Insgesamt ist ja dieses Gefühl, dass da was zusammengewachsen ist und sich verselbständigt hat an vielen Stellen nicht erst in den letzten sechs, sieben Monaten entstanden. Ich glaube, tief in sich drin weiß das jeder Entscheider schon eine ganze Weile, dass über die Jahrzehnte viel gewachsen ist. Und dieser Druck, den da Frau Jäckel beschrieben hat, den private Medienanbieter ja schon eine ganze Weile haben, sich über Quoten zu rechtfertigen, über Werbeerlöse, auch diese Kontrolle, die damit verbunden ist, diese Selbstprüfung. Ist das was, was Sie sich für die ARD der Zukunft auch wünschen? Dass man nicht erst nach 20, 30 Jahren anfängt zu überlegen, was müssen wir vielleicht mal anders machen oder neu aufstellen, sondern, dass man das regelmäßig und vielleicht auch härter und schonungsloser macht?

Kai Gniffke: Also permanente Qualitätskontrolle ist das, was jedes Unternehmen macht. Und da sind wir ja auch gerade dabei uns Richtlinien zu geben für die Qualitätskontrolle. Das ist ein Auftrag, den der kommende Medienänderungsstaatsvertrag unseren Aufsichtsgremien ins Stammbuch geschrieben hat. Und das werden sie natürlich mit uns gemeinsam entwickeln. Und insofern, das ist ganz, ganz wichtig. Wir sind dabei, Kriterien aufzustellen für die Wirtschaftlichkeit unseres Tuns, damit da eben nichts aus dem Ruder läuft. Wir haben uns ja schon auf dem Weg gemacht, wenn man sieht, dass seit zwei, drei Jahren zum Beispiel die Mediathek wirklich richtig steil geht und jetzt schon erfolgreichstes deutsches Streaming-Angebot ist. Da sieht man: Aha, die Richtung stimmt. Das haben wir erkannt. Die ARD hat da auch tatsächlich Ressourcen umgeleitet. Das macht viel Freude. Und jetzt ist das Ganze verstärkt worden durch die aktuelle Diskussion. Ja, ich gehöre zu denen die sagen, in jeder Krise liegt auch eine Chance. Wir haben erkannt: Eine Reform oder Reformen sind jetzt dringender nötig denn je, allein schon, um Kraft zu gewinnen, aber auch, um unsere Strukturen zukunftsfest zu machen. Daher auch diese sehr umfangreiche Reform-Agenda der ARD. Und das wäre die Botschaft an alle, die jetzt auch kritisch auf uns gucken: Wir haben das verstanden. Wir machen uns auf den Weg. Wir wollen für diese Gesellschaft, für diese Demokratie, für den Diskurs, für die Suche nach Lösungen auf die großen Zukunftsfragen, die uns im Moment alle gerade umtreiben wichtig sein. Wir wollen wichtig sein für diese Gesellschaft und wollen den Menschen ein Partner in Sachen Information und Unterhaltung sein.

MEDIEN360G: Hat die ARD angefangen anzufangen? Oder sind Sie schon einen Schritt weiter?

Kai Gniffke: Wir sind schon weiter, aber wir müssen genau das richtige Maß finden zwischen Schnelligkeit und Korrektheit. Wenn wir jetzt irgendeinen Schnellschuss machen und wir nach drei Monaten sagen müssen: Oh Gott, oh Gott, das ist schiefgegangen. Dann werden wir der Sache keinen guten Dienst erweisen, im Gegenteil, dann werden die nächsten Reformen umso schwerer. Also müssen wir gucken, dass wir jetzt schnell sind. Und ich glaube, wir sind schnell, wenn wir sagen: Gebt uns da jetzt bitte mal ein paar Monate Zeit. Im Juni wollen wir erste Ergebnisse auf dem Tisch haben. Dann ist das sehr, sehr ambitioniert und sehr, sehr schnell. Aber diese Zeit brauchen wir. Noch einmal: Mein Ziel ist es, dass wir dann vielleicht auch schon in die Umsetzung gehen und die Menschen in Anfang 2024 die Konturen einer runderneuerten ARD erkennen können.

MEDIEN360G: Danke, Herr Gniffke.

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Foto zeigt eine Diskussionsrunde zum Thema "Reform. Reform! Reform?" auf den Medientagen Mitteldeutschland in Leipzig. mit Audio
Dass eine Reform der Öffentlich-Rechtlichen kommen wird und nicht mehr aufzuhalten ist, darüber waren sich alle Diskutierenden beim Abschlusspanel der Medientage Mitteldeutschland einig: Prof. Dr. Kai Gniffke, Prof. Dr. Annika Sehl, Dr. Norbert Himmler, Moderatorin Michaela Kolster, Birgit Diezel und Oliver Schenk (v.l.n.r.). Bildrechte: MDR | MEDIEN360G | Jana Maier