Interview mit Tarik Tesfu "Schönheit ist für mich auch, seine Meinung zu sagen."

Der Youtuber, Moderator und Netzaktivist ist bekennender Feminist und weiß, wie schnell einem im Netz Unmut entgegenschlagen kann, wenn man anders ist als das normierte Schönheitsbild aka "groß, schlank und weiß". Im Interview mit MEDIEN360G spricht er über Vorurteile, Erfahrungen und Wünsche in Bezug auf die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau.

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MEDIEN360G: Gab es ein Schlüsselerlebnis, das dich dazu bewegt hat, Feminist zu werden?

Tarik Tesfu: Ich glaube, ich war schon immer Feminist, auch wenn ich selber dafür keinen Namen hatte. Also ich weiß, dass meine Oma zum Beispiel früher keinen Führerschein machen durfte, weil das mein Opa nicht wollte hier in Deutschland und meine Oma auch ihren Job nicht weitermachen durfte/sollte, nachdem sie Kinder bekommen hat. Und als ich das als Kind erfahren habe, habe ich mir gedacht: Wow, das kann doch nicht gerecht sein. Und ich glaube, ab da war für mich ein bisschen klar, da habe ich so geschnallt, krass, ich lebe in einer Gesellschaft, in der halt Frauen anders sein, andere Sachen machen dürfen als vielleicht Männer.

MEDIEN360G: Ist es für Frauen schwerer, unabhängig von ihrem Aussehen Inhalte zu vermitteln?

Tarik Tesfu: Ich glaube das auf jeden Fall, man sieht es ja auch. Man sieht ja auch, dass Frauen oft auf YouTube dann eher Beauty machen, weil sie merken, da bekomme ich Reichweite, davon kann ich leben - was ja auch wichtig ist, das ist ja auch für viele ein Job, Youtuberin zu sein. Und wenn sie dann vielleicht mal andere Genre ausprobieren, wie Comedy oder Politik oder Gaming - bei Gaming ist es noch mal ganz, ganz krass, da kriegen sie einfach extrem krass negatives Feedback auch zurück und ich glaube das führt dazu, dass man dann vielleicht eher sagt als Frau, oder einige Frauen dann sagen, dann bleibe ich lieber bei Beauty. Und ich glaube, es fehlt gar nicht so an Mut. Ich glaube Frauen haben genauso diverse Themen, wie sie auch Männer haben aber sie bekommen einfach dann dort schwieriger eine Plattform oder müssten halt mit krassen Kommentaren leben.

MEDIEN360G: Was denkst du, woran liegt das?

Tarik Tesfu: Das liegt einfach daran, dass wir in einer sexistischen Welt leben. Wir haben gelernt, dass Frauen eher schön sein sollen, eher ruhig sein sollen, eher unbequem sein sollen. Wenn Frauen mal ihre Meinung sagen, dann "zicken" sie ja auch ganz schnell. Ein Mann sagt einfach nur tough seine Meinung, also wir gehen mit ähnlichem Verhalten bei Männern wie bei Frauen einfach anders um und das heißt Sexismus. Und ich glaube, das steckt halt super tief und das wird man halt auch nicht von heute auf morgen los und deswegen überrascht es mich eigentlich auch nicht, dass Youtube, Insta, Facebook eigentlich so diese klassischen Medien, diese klassischen Rollenbilder auch wieder reproduzieren und gar nicht in Frage stellen.

MEDIEN360G: Glaubst du, dass das Aussehen in den sozialen Medien eine große Rolle spielen?

Tarik Tesfu: Ich glaube schon, dass Aussehen eine wichtige Rolle spielt, weil wir diese Bilder von Was-ist-schön einfach so stark im Kopf haben. Und ich glaube, die Menschen hören eher Leuten zu, die sie selber als schön oder attraktiv empfinden und das ist ein großes Problem. Und ich glaube, bei Männern ist es nochmal ein bisschen anders. Gerade wenn wir auch in der Comedy Szene gucken, da kann auch ein Typ mal gar nicht so gut ausschauen und trotzdem irgendwie Hallen füllen. Bei Frauen ist es wieder was anderes, da muss oder sollte die Freundin auch gleichzeitig wieder schön sein. Was auch immer das ist, das ist ja immer ein sehr normiertes Bild von Schönheit. Attraktivität spielt glaube ich schon eine große Rolle, umso wichtiger ist es, dass man auch Leute unterstützt, die auch schön sind aber einfach anders schön. Weil, wie gesagt, Schönheit ist so etwas Subjektives. Schönheit heißt nicht, groß zu sein, weiß zu sein und Kleidergröße 36 als Frau zu haben. Schönheit ist so viel mehr und Schönheit ist halt auch, seine Meinung zu sagen. Das ist für mich halt auch eine Form von schön sein.

MEDIEN360G: Lassen sich diese Rollenbilder im Netz überhaupt beeinflussen? Schließlich sind sie ja zu großen Teilen selbst inszeniert.

Tarik Tesfu: Eine Frau, die vielleicht keine Kleidergröße 36 hat, wird vielleicht von UserInnen auch gar nicht geklickt. Das heißt, es sind nicht immer nur die "bösen Medienschaffenden", die spielen auf jeden Fall auch eine Rolle, aber auch das Nutzungsverhalten von UserInnen hat sich einfach so daran gewöhnt, schöne, perfekte, auch weiße Körper zu sehen in Deutschland. Und ich glaube, da sind wir alle gefragt - nicht nur die, die das machen, sondern auch die, die das halt konsumieren. Um da halt auch diversere Bilder sichtbar zu machen.

MEDIEN360G: Das heißt, wer müsste jetzt damit anfangen, etwas zu verändern?

Tarik Tesfu: Das ist eine gute Frage. Es ist halt die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Ich glaube, es ist halt einfach ein Kreislauf mittlerweile. Medienschaffende haben sich mal gedacht, das sind halt Gesichter, die funktionieren und somit wurden halt dann UserInnen sensibilisiert. Das Gute ist ja, dass wir das Netz mittlerweile haben. Das heißt, wir haben eine viel größere Bandbreite, wenn ich daran denke, was ich so als Vorbilder hatte als ich halt jung war und heute sehe, dass es eine Eunique gibt, eine Stefanie Giesinger und noch viele viele andere tolle Menschen, die auch anderen Content machen in diesen vielleicht doch sehr engen Korsetts, die wir alle auch irgendwie innehaben, dann ist das Netz auch ein großes Befreiungsmoment. Aber wenn dann doch immer nur die gleichen Gesichter Erfolg haben, müssen wir uns dann auch wieder fragen, woran liegt das. Und ich glaube, da sind dann auch wieder die UserInnen einfach gefragt. Also es sind beide Seiten.