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Medienvertrauen 1989/1990 und heute"Unsere Medien waren nicht ehrlich"

22. November 2019, 15:43 Uhr

Wie haben sich die Menschen informiert und vernetzt in einer Zeit, in der es weder SMS noch Facebook gab und die Skepsis gegenüber den eigenen, unter Partei- und Staatseinfluss stehenden Medien groß war? MEDIEN360G hat sich in Mitteldeutschland umgehört, wie die Menschen die Friedliche Revolution medial erlebt haben und was sie heute über die Zuverlässigkeit der Berichterstattung denken.

von Steffen Grimberg

Als in Leipzig und anderen Städten der DDR die Menschen noch weit vor dem Tag des Mauerfalls am 9. November 1989 auf die Straße gingen, schwiegen die meisten DDR-Medien. Zwar war bereits im offiziösen Stil des SED-Zentralorgans "Neues Deutschland" von Modernisierung die Rede. Aber mehr als ungeliebtes Zugeständnis, weil die zumindest auf dem Papier noch brüderlich mit der DDR verbundene Sowjetunion unter Michail Gorbatschow ganz anderes Tempo bei Reformen machte. Die gespenstische 40-Jahr-Feier der DDR am 7. Oktober ging als Anfang vom Ende um die Welt. Doch es brauchte noch einen ganzen Monat bis die Demonstrierenden in den Medien des eigenen Landes nicht mehr als Krawallmachende und Randalierende dargestellt wurden, die sich "zusammenrotten".

Nur 70 bis 80 Prozent konnten West-Rundfunk empfangen

In unseren Medien wurde alles ja wochenlang verneint, bis es dann nicht mehr ging und sie mit der Wahrheit herauskamen. Das kam ja nur über die West-Medien – fast bis zum 9. November.

Passant aus Bautzen, Sachsen

Wer Fernseh- und Radioprogramme aus dem Westen empfangen konnte, hat diese längst genutzt. Allerdings war das im Gebiet der DDR – je nach technischer Ausrüstung und geografischer Lage – nur für rund 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung möglich. Die anderen lebten im sogenannten "Tal der Ahnungslosen" und waren auf Informationen von Freunden und Bekannten angewiesen, die West-Medien empfangen konnten.

Außerdem spielte die Kirche in der DDR eine wichtige Rolle. Sie bot Schutzräume für Diskussionen und Vernetzung und stellte so ein eigenes Informationssystem dar. In begrenztem Umfang gab es sogar die Möglichkeit, Publikationen herauszugeben. Diese trugen dann den Aufdruck "Nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch", wurden aber auch außerhalb gelesen.

West-Medien wurde deutlich stärker vertraut

Den Medien aus dem Westen, allen voran der ARD-"Tagesschau", aber auch dem ZDF und dem Deutschlandfunk, wurde deutlich mehr vertraut als den Medien des eigenen Landes. Auch wissenschaftliche Studien stützen diesen Befund. Wo es die Technik erlaubte, waren die West-Medien auch schon lange vor dem Beginn der Friedlichen Revolution Hauptinformationsquelle der Menschen.

Man war im Westen viel näher an der Wirklichkeit, am Geschehen dran, als im Osten. Hier kamen jeden Tag dieselben Nachrichten – blablabla, Erich Honecker und Konsorten.

Passantin aus Erfurt, Thüringen

"Im DDR-Fernsehen, da kann ich mich als Kind noch dran erinnern, da wurde manchmal so ein alter Film geguckt. (…)", sagte ein Passant aus Leipzig, Sachsen. "Ich kann mich nicht erinnern, dass wir die DDR im DDR-Fernsehen verfolgt hätten. Die haben wir jeden Tag live gehabt".

Allerdings wurde nicht alles unreflektiert geglaubt: Dass die West-Medien sensationsheischend daherkamen und Dinge "aufbauschten", kritisierten diverse Bürgerinnen und Bürger, mit denen die Reporter_innen von MEDIEN360G in verschiedenen Städten Mitteldeutschlands ins Gespräch gekommen sind. Die Ost-Medien wurden parallel auch genutzt. Allerdings hatten sie einen vernichtend niedrigen Wert, was ihre Glaubwürdigkeit betraf. Selbst dem DDR-System gegenüber Aufgeschlossene wussten, dass es hier um die Parteilinie ging und die Realität oft anders aussah. Es ging vielmehr darum, aus dem, was dann vielleicht doch berichtet wurde, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Auch vor dem Hintergrund des Wissens aus dem West-Rundfunk.

Die Sicht heute: Nicht alles glauben, was die Medien berichten

Wie aber sieht es heute, 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution, mit dem Vertrauen in die Medien aus? Das Stimmungsbild unserer nicht repräsentativen Befragungen ist durchmischt. "Vertraut habe ich weder damals noch heute irgendwelchen Medien, sondern immer nur einem Gemisch aus allen Medien", sagt ein Passant aus Bautzen, Sachsen. Andere sagen, die Medien seien "objektiver" als zu DDR-Zeiten. Allerdings wird häufig "Sensationsgier" und die Konzentration auf abgehobene politische Themen kritisiert. Diese hätten mit der eigenen Lebenswirklichkeit nichts zu tun.

"Ich habe nicht viel mehr Vertrauen, als zu Ostzeiten", sagt eine Passantin aus Bautzen, Sachsen, "Die Medien kümmern sich immer um andere, ums Ausland. Die sollten sich mal mehr unsere Rentner angucken". Andere sehen eine Verbesserung, ohne alles gut zu heißen:

Die Medien haben sich im Verhältnis zu damals sehr gewandelt – auf der einen Seite. Auf der anderen Seite darf man natürlich auch nicht allem Vertrauen. Man muss auch schon hinterfragen, man sollte auch noch den eigenen Kopf anstrengen und nicht einfach nur alles für bare Münze nehmen.

Passant aus Leipzig, Sachsen

Insgesamt herrscht die Meinung, dass man auch heute nicht alles glauben dürfe, sondern die Medien hinterfragen und den eigenen Kopf anstrengen müsse.

Ich denke, wir haben uns selber auch geändert. Man ist den Medien gegenüber kritischer geworden.

Passantin aus Magdeburg, Sachsen-Anhalt

Geräuschloser Übergang in die neue Medienzeit

"In der DDR waren, letztlich bis kurz vor Ausbruch der Revolution, die Medien stark auf Linie und veränderten sich dann", sagt Dr. Peter Ulrich Weiß vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam: "Bis zum 18. Oktober, also bis zur Absetzung von Erich Honecker, haben die Leitmedien der DDR eigentlich sehr parteitreu und staatstreu berichtet." Am Ende ging nach über 40 Jahren der Wandel von den staatlich gelenkten Medien, hin zur medialen Unabhängigkeit, eher geräuschlos vor sich. Wegen der guten handwerklichen Standards konnten die Journalistinnen und Journalisten schnell "umschalten". Zwar wurden im DDR-Rundfunk rund die Hälfte der – nicht nur redaktionellen – Mitarbeitenden abgebaut. Bis auf wenige prominente Köpfe blieb in vielen Redaktionen das Personal das alte – bei den Zeitungen dann meist unter westlicher Führung.

Der staatliche Rundfunk konnte sich ab 1990 ebenfalls neu aufstellen. 1992 wurde der zentrale Deutsche Fernsehfunk (DFF) abgeschafft und ging in den neuen ARD-Anstalten für die neuen Länder – im Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (heute rbb) und im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) – auf. Für viele war das schon wieder das "Ende der Freiheit".  

Von den in der Friedlichen Revolution gegründeten Bürgermedien, wie beispielsweise der "Anderen Zeitung" in Leipzig und vielen vergleichbaren Blättern, hat so gut wie keines den Sommer 1991 überlebt. Zu groß war der Druck der Titel aus der alten Bundesrepublik, deren Verlage auch die DDR-Zeitungslandschaft schnell unter sich aufgeteilt hatten.

Medien haben versäumt, diesen Wandel und sich zu erklären

Diesen Medienwandel haben die Medien selbst nie thematisiert. Und auch nie erklärt, was den Unterschied ausmacht, zwischen staatlich gelenkten Medien und denen, die wir heute haben. Gerade im Rundfunk ist das augenfällig: Auf den ersten Blick wirkt das öffentlich-rechtliche System vielleicht tatsächlich "staatsnah": Seine Vorgaben und Gesetze beschließt die Politik. Und in seinen Aufsichtsgremien sitzen Politikerinnen und Politiker sowie Regierungsvertretende. Doch das Gegenteil ist der Fall: Dass es gesetzliche Grundlagen braucht, die von Parlamenten beschlossen werden, versteht sich von selbst. Hier unterscheidet sich der Rundfunk nicht von anderen Wirtschaftszweigen, deren Rahmenbedingungen ebenfalls per Gesetz geregelt sind. Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird beispielsweise nicht von der Politik, sondern von einem unabhängigen Gremium, der "Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten" (KEF), bestimmt. Und in den Gremien ist die Zahl der Vertretenden aus Staat und Politik auf maximal 30 Prozent begrenzt.

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