MEDIEN360G im Gespräch mit... Uta Deckow

11. Oktober 2019, 18:43 Uhr

Wie reagieren Journalisten auf die veränderte Situation in der Berichterstattung? Die Funktion des gatekeepers, also des Türsteher, scheint zu entfallen. Doch es kommen neue Herausfoderungen, die Informationsflut zu filtern oder Quellenkritisch zu sein.

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Uta Deckow, Journalistin MDR Sachsen Bildrechte: MEDIEN360G
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MEDIEN360G im Interview mit... Uta Deckow

MEDIEN360G im Interview mit Uta Deckow

Wie reagieren Journalisten auf die veränderte Situation in der Berichterstattung? Die Funktion des Gatekeepers, also des Torwächters scheint zu entfallen. Doch es kommen neue Herausfoderungen.

Do 10.10.2019 14:40Uhr 13:12 min

https://www.mdr.de/medien360g/medienpolitik/interview-uta-deckow-100.html

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Markus Hoffmann: Frau Deckow, schön, dass Sie heute Zeit für uns haben, ein paar Fragen zu beantworten. Politische Berichterstattung ist das Monatsthema bei MEDIEN360G. Hat sich das im Zeichen von Web 2.0-Anwendungen und der Internetrevolution der letzten fünf bis zehn Jahre in irgendeiner Form verändert? Was ist Ihre Einschätzung?

Uta Deckow: So wie der Journalismus sich generell gewandelt hat, so betrifft das natürlich auch die politische Berichterstattung in den letzten fünf bis zehn Jahren. Zum einen durch die digitalen Medien. Der Druck, schneller zu handeln, schneller die Berichterstattung voranzutreiben, der ist natürlich größer geworden bei gleichzeitigem Druck, den eigenen Qualitäts- und Glaubwürdigkeitsansprüchen Genüge zu tun.

Dann hat sich durch die politische Situation allgemein in den letzten Jahren auch die politische Berichterstattung verändert. Auch daran hat das Netz seinen Anteil, dass Journalisten jetzt viel stärker auch selbst in den Fokus geraten. Wir haben das mit dem Aufkommen von Pegida in Dresden gehabt. Wir haben die AfD als Partei, die immer wieder Lügenpresse-, Lückenpresse-Vorwürfe in den Raum wirft. Das heißt, dass Journalisten viel stärker heute gefragt sind, sich zu rechtfertigen, sich auch selbst zu hinterfragen, ihre eigene Berichterstattung und aber auch gerade zustehen und dazu zustehen was sie tun.

Markus Hoffmann: Jetzt haben Sie gerade gesagt, dass die Geschwindigkeit der Dinge, die im Internet ablaufen, sich durch die neuen Technologien gesteigert hat. Eine Variante oder ein Spielbereich davon ist die sogenannte Hybridität von Kommunikation. Das heißt, man kann über Facebook, Instagram und dergleichen mehr, eine Webseite in verschiedenen Kanälen teilen und das noch nicht mal als Journalist, sondern als Otto Normalbürger. Jeder wird da quasi zum Sender in so einer Situation. Wie wirkt sich das auf die politische Berichterstattung aus?

Uta Deckow: Journalisten sind wie jeder andere auch natürlich dieser Flut an Informationen ausgesetzt, müssen für sich filtern, was für sie interessant ist, müssen filtern, was eine Relevanz hat, um damit in die Berichterstattung zu gehen, und dann aber zugleich ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht nachkommen und die Informationen prüfen. Und das unter dem Druck, möglichst schnell zu agieren. Insofern hat das natürlich schon die Berichterstattung verändert.

In der Politik, wo wir jetzt ja viele Politiker haben, die extrem  bei Twitter unterwegs sind und der Druck, up-to-date zu sein, zu wissen, was jetzt jemand wann gesagt hat und dann möglichst schnell zu reagieren, der ist natürlich größer geworden. Für Fernsehen und Hörfunk birgt das auch noch das kleine Manko, dass, wenn etwas bei Twitter von einem Politiker veröffentlicht ist, man es noch lange nicht im O-Ton hat und man hat ihn noch lange nicht damit vor der Kamera.

Der Druck, das zu verifizieren, zu schauen, ob man es überhaupt in der Berichterstattung braucht, ob es eine Relevanz hat, die sich ja nicht allein dadurch ergeben kann, dass es jetzt viele Klicks gibt oder dass viele Leute das kommentiert haben bei Twitter. Die Grundsätze für (die Frage) "Was hat eine journalistische Relevanz?", die werden ja schon noch in der Redaktion entschieden und das anhand auch anderer Kriterien als Klicks und Kommentare. Dann eben möglichst schnell zu agieren und zu sagen: So wie kriegen wir das jetzt heute noch ins Programm und zwar mit Film und Fernsehanteilen.

Markus Hoffmann: Ist denn die Art und Weise, wie die Berichterstattung, gerade die wichtige politische Berichterstattung funktioniert zu Wahlzeiten eine andere, als während einer laufenden Legislaturperiode?

Uta Deckow: Ganz grundsätzliche Dinge sind zu Wahlzeiten auch nicht anders. Also das, was ich gerade beschrieben habe. Was zu Wahlzeiten tatsächlich anders ist, ist, dass wir noch viel stärker auf Transparenz und Ausgewogenheit achten, vor allen Dingen auch auf Transparenz. Wir versuchen, immer auf Ausgewogenheit zu achten, auch in den Beiträgen.

Aber in den Wahlzeiten, wo es darum geht, Wahlprogramme vorzustellen, die Spitzenkandidaten vorzustellen, da schauen wir schon, dass die Anteile eben entsprechend den Vorgaben auch genau verteilt sind. Dafür gibt es dann ein Konzept, das wir ja auch veröffentlichten im Mitteldeutschen Rundfunk, wo jeder genau nachlesen kann, was geplant ist an der Berichterstattung, zu der es dann dazu natürlich noch aktuelle Berichterstattung gibt. Aber da kann man genau nachlesen, was, wann geplant ist an Beiträgen. Da kann jeder Nutzer sich sein eigenes Bild verschaffen darüber, dass wir ausgewogen berichten.

Markus Hoffmann: Kommen wir noch mal ganz kurz zurück zu dieser hybriden Kommunikation und das jeder quasi zum Sender werden kann, was natürlich für die Journalisten, die als Gatekeeper bezeichnet werden, also Türsteher, die gewisse Sachen auch einsortieren können, damit nicht alles ungefiltert auf die Menschen einprasselt. Diese Funktion fällt natürlich damit immer stärker weg, bis sie sich vielleicht irgendwann komplett auflösen kann. Wie gehen Sie als Journalistin mit diesem Phänomen um?

Uta Deckow:  Ich glaube, man hat genau zwei Möglichkeiten. Man kann die pessimistische Sichtweise herannehmen, dass, was Sie jetzt gesagt haben, die Gatekeeper-Funktion sich auflöst. Oder man gehört zu den Optimisten. Dazu gehöre ich. Ich glaube, vorher war diese Gatekeeper-Funktion nötig, weil wir ja nur einen begrenzten Raum hatten, um Informationen weiterzugeben. Jetzt ist das Internet groß, da kann jeder seine Informationen - so wie Sie sagen - eben breittreten. Das hat aber auch das Problem, dass man tatsächlich einer ganzen Flut ausgesetzt ist.

Was ist also knapp in unserem Leben? In meinem Leben ist eines sehr knapp, Zeit. Das ist eines der knappsten Güter, das ich habe, und ich möchte in kurzer Zeit möglichst gut informiert sein. Ich denke, genau dafür brauchen wir wieder Gatekeeper. Und das ist die große Chance für den Journalismus. Das sehen wir ja auch jetzt. Wem messen die Menschen noch die höchste Glaubwürdigkeit bei? Nicht irgendwelchen Blogs oder irgendwelchen Twitter-Einträgen, sondern das sind schon die Qualitätsmedien.

Diese Glaubwürdigkeit dürfen wir auch nicht um den Preis der Schnelligkeit verlieren, sondern an dieser Glaubwürdigkeit müssen wir arbeiten. Das ist unsere große Chance. Ich glaube, es geht darum, dass Menschen uns brauchen, oder dass sie das Gefühl haben, dass sie uns gerne in ihrem Leben haben möchten. Diese Funktion werden wir nicht verlieren, wenn sie das Gefühl haben, dass sie bei uns gut aufgehoben sind, weil wir für sie schon mal sortieren. Das ist wichtig. Das ist für die Gesellschaft wichtig. Das ist aber auch für dich wichtig zu wissen. Ich denke, wenn wir alle so wenig Zeit haben, wie wir es jetzt haben, dann wird das Bedürfnis danach nicht verloren gehen.

Markus Hoffmann: Also mit anderen Worten, wenn der Journalismus sich den journalistischen Grundsätzen, denen er verpflichtet ist und sie auch im Großen und Ganzen einhält, mit vielleicht ein paar Boulevard-Ausnahmen dazwischen, sich weiter darauf fokussiert, dass er gestärkt aus dieser Situation, die mit den digitalen Medien entsteht, herausgehen kann?!

Uta Deckow: Ich hoffe das. Weil, wie ich schon gesagt habe, zu den Optimisten gehöre und weil ich denke, dass Menschen schon auch nach einer Orientierung suchen. Den Eindruck habe ich momentan auch. Wenn wir nach Amerika schauen, wo wir es dort tatsächlich so haben, dass die Qualitätsmedien gewinnen. Auch in Österreich unter dem Druck, das bestimmte Zeitungen zwar Regierungsaufträge oder Regierungsanzeigen nicht mehr bekommen haben, aber dafür an Abonnenten gewonnen haben und an Relevanz gewonnen haben, weil man ihnen jetzt dann doch wieder mehr Glaubwürdigkeit zubilligt.

Also ich denke, dass, wenn die Menschen auf der Suche danach sind, wer in diesem ganzen Wust an Informationen in dem Wust auch an Fake News, die es gibt oder Halbwahrheiten, die gestreut werden, an Geschichten, wo mal schnell ein Gerücht verbreitet wird, wer ist dann derjenige, dem sie im Ernstfall glauben wollen? Ich glaube, das ist die große Chance.

Markus Hoffmann: Jetzt haben sie schon gerade zwei interessante Beispiele genannt: einmal Amerika und einmal Österreich. In beiden Ländern hat man ein Phänomen in den letzten Jahren auch beobachten können, dass halt die Berichterstattung, beziehungsweise die Art, wie die Parteien auch mit den Medien kommunizieren, stellenweise über so genannte Newsrooms funktionieren also wirklich professionell organisierte PR-Systeme. Was haben Sie für eine Einschätzung, gerade jetzt hier in Sachsen, passiert so etwas schon, dass Newsrooms nach amerikanischem Vorbild aufgebaut werden? Wie weit sind wir da und welche Gefahren oder Möglichkeiten ergeben sich für den Journalisten daraus?

Uta Deckow: Wenn wir jetzt mal den vergangenen Wahlkampf nehmen, dann kann man, glaube ich, schon sagen, dass das Wahlkampfteam von Michael Kretschmer, die ja extrem online unterwegs waren, bei Facebook bei Twitter, das war eine Art Newsroom. Dort hat man sich wohl morgens getroffen, hat besprochen, welche Themen man am Tag setzt und hat versucht, genau das umzusetzen.

Ich denke, gerade auch mit dem Blick auf Österreich beispielsweise, wo man ja versucht, seine eigenen Themen zu setzen, diese Themen dann in Kooperation, auch mit Boulevard-Medien, zu verkaufen und groß zumachen, damit dann zum Beispiel über die eigentlich wirklich relevanten Themen nicht gesprochen wird. Zumindest habe ich es dort von österreichischen Journalisten gehört, die das sehr kritisch sehen. Da sind wir noch weit entfernt in Sachsen.

Wenn es dabei bleibt, dass eine Partei sich eine Art Newsroom aufbaut, um über Twitter, Messenger etc. die Menschen direkt zu erreichen, dann sehe ich da drin erst einmal grundsätzlich kein Problem, solange für die Journalisten der Öffentlich-Rechtlichen, der Zeitungen der Zugang zu denselben Informationen nicht verwehrt wird oder später erscheint. Wir müssen dann schon parallel denselben Zugang haben, dann sehe ich darin kein Problem. Dieser Art Wahlkampf-Newsroom jetzt in der Wahlkampfzeit der CDU, hat uns eigentlich in unserer Berichterstattung überhaupt nicht tangiert. Eher flankiert, oder das man mal noch geguckt hat, ist da irgendwo eine Geschichte dabei, die man sich vielleicht mal noch merken könnte.

Das, wofür es hilfreich war, war eben auch zu sehen, wann und wo der Ministerpräsident oder der Spitzenkandidat der CDU tatsächlich überall unterwegs war. Das hat auch eine große Relevanz in der bundesweiten Berichterstattung erfahren. Da wäre ich mal sehr gespannt auf eine wissenschaftliche Analyse, ob die große Resonanz, die das erfahren hat, in der bundespolitischen Berichterstattung daher kam, dass hier auch so immens viele Journalisten im Wahlkampf unterwegs waren, die das auch weiterverbreitet haben, was die CDU dort online gemacht hat oder welche Rolle eigentlich der eigene Wahlkampfauftritt dieses Newsteams und das, was man dort erreicht hat im Wahlkampf, wirklich gespielt hat.

Die Frage ist, was passiert, wenn es ebenso ist wie in Österreich, dass dann Journalisten von Informationen abgeschnitten werden, oder dass man versucht ein Agenda-Setting zu betreiben, an dem sich dann Boulevard-Medien beispielsweise wie dort beteiligen. Oder wir haben es ja auch in den USA, wo dann Fernsehsender eben ganz klassisch, private Fernsehsender dort dieser Linie zuzuordnen sind. Wenn dann darüber ein Agenda-Setting betrieben wird, dem die anderen Medien dann nur schwer oder mit ganz viel Widerstand entgehen können. Das ist eine Herausforderung, vor der der Journalismus steht, wenn dem so sein sollte. Aber das sehe ich momentan in Deutschland noch nicht.

Und auch eine AfD in der Opposition, selbst wenn sie Newsräume einrichten würde und wenn sie das versuchen würde, ist glaube ich in der Opposition nicht in der Lage, ein so massives Agenda-Setting zu betreiben, wie das in Österreich teilweise passiert ist mit Kurz und Strache. Bevor dann die Situation mit Herrn Strache so war wie jetzt, dass dann dort alles auseinandergebrochen ist. Aber auch darauf müsste man sich gedanklich vorbereiten.

Ich glaube, ganz wichtig ist, dass Journalisten immer wieder hinterfragen: ist das ein relevantes Thema, weil wir es tatsächlich für relevant halten, aus den verschiedensten Gründen, denen wir uns in unserer Redaktion immer schon so gegeben haben? Oder ist es ein relevantes Thema, weil es gerade durchs Internet gejagt wird? Der Versuchung darf man nicht erliegen, nur weil es da viele Klicks gibt oder einen Shitstorm, dann auch ein Thema hochzujazzen. Aber ich glaube, das ist ein Lernprozess.