MEDIEN360G im Gespräch mit... Prof. Dr. Tobias Rothmund

11. Oktober 2019, 18:43 Uhr

Die Digitalisierung verändert die Kommunikation zwischen den Parteien und Wählern. Die Grenzen in der Kommunikation zwischen Politikern, Bürger und Journalisten weichen auf. Aufmerksamkeit erreichen wird zur Währung und das funktioniert mit bedrohlichen Informationen besonders gut.

Ein Portrait von Tobias Rothmund, Professur für Kommunikations- und Medienpsychologie an der Universität Jena. 18 min
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Die Digitalisierung verändert die Kommunikation zwischen den Parteien und Wählern. MEDIEN360G spricht mit Prof. Dr. Rothmund unter anderem über Newsrooms, Fake News und der so genannten Hybridisierung der Kommunikation.

Do 10.10.2019 14:42Uhr 17:56 min

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Markus Hoffmann: Herr Professor Rothmund, danke, dass Sie heute Zeit für dieses Interview Zeit haben. Wir haben ein Superwahljahr. Dieses Jahr gab es die Europawahl. Gewählt wurde in Brandenburg und Sachsen - jetzt haben wir noch mal in Thüringen Wahlen. Angesichts der modernen Medien, der Internettechnologien, hat sich die Kommunikation zwischen den Menschen, aber auch gerade die Kommunikation zwischen Parteien und den Wählern verändert. Was hat sich da in den letzten fünf bis zehn Jahren getan?

Prof. Dr. Tobias Rothmund: Wie Sie schon angesprochen haben: Unsere Kommunikation ist zunehmend digitalisiert. Diese Digitalisierung ist ein Prozess. Das heißt, es ist kein einmaliges Ereignis, sondern Digitalisierung verändert die Kommunikation über die Zeit hinweg. Wir erleben das seit 20 Jahren, seit zehn Jahren intensiv. Wir erleben in der politischen Kommunikation einen Strukturwandel. Das heißt, das klassische Kommunikationsmodell verändert sich, so wie die Digitalisierung, nicht von heute auf morgen, sondern über einen gewissen Zeitraum hinweg. Aber wir erkennen die Auswirkungen dieser Veränderungsprozesse immer deutlicher und spüren sie auch immer deutlicher, speziell im Wahlkampf. Das klassische Modell der politischen Kommunikation geht von drei Akteuren aus - drei Akteursgruppen. Wir haben die politischen Akteure. Wir haben die Bürger. Wir haben die Medienakteure. Den Medienakteuren kommt in diesem Modell eine besondere Rolle zu. Sie sind Gatekeeper. Man könnte sagen Türsteher. Das klingt ein bisschen salopp. Aber die Funktion, die in diesem klassischen Modell wichtig war und den Medien zukam, war den Informationsfluss zwischen Bürgern und Politikern zu kanalisieren, zu steuern, zu kontrollieren und zu gestalten. Diese Rolle, die verändert sich, diese drei Akteursgruppen kommunizieren zunehmend flexibler miteinander. Es gibt Kommunikation zwischen Bürgern und Politikern. Bürger, die Politiker aktiv über soziale Netzwerke folgen, oder auch Politiker, die aktiv auf Bürgerinnen und Bürger in digitalen Medien zugehen, versuchen, mit diesen Kontakt aufzunehmen. Wir erleben Rollenwechsel, das heißt, Politiker fangen an, journalistische Tätigkeiten, Aufgaben zu übernehmen. Bürgerinnen und Bürger übernehmen die Rolle von Medienakteuren, agieren teilweise aber auch wie Politiker. In diesem Sinne erleben wir auf verschiedenen Ebenen einen strukturellen Wandel der Kommunikation im politischen Kontext.

Markus Hoffmann: Mit den modernen Geräten ist man eigentlich andauernd online. Man hat das Smartphone immer dabei, was auch die Geschwindigkeit der Kommunikation erhöht. Man spricht dann im Fachjargon von einer Hybridisierung der Kommunikation. Was verbirgt sich dahinter?

Prof. Dr. Tobias Rothmund: Also im Prinzip unterscheiden wir häufig zwischen One-to-Many-Kommunikation und One-to-One-Kommunikation. Also wir führen jetzt eine One-to-One-Kommunikation. Gleichzeitig wird dieser Beitrag ausgestrahlt. Dann wird es zu einer Many-Kommunikation, also auf die Rezipienten bezogen. Diese Kommunikationsformen werden immer flexibler miteinander kombiniert. Das heißt, ich lese beispielsweise einen Beitrag auf SPIEGEL ONLINE oder einem anderen Nachrichtenportal, schicke den per WhatsApp an einen Bekannten, mit dem ich gestern noch über das Thema gesprochen habe. Dadurch verschwimmen die Grenzen zwischen verschiedenen Arten von Kommunikation. Viele Leute sagen, dadurch wird im Prinzip politische Kommunikation immer schwerer zu steuern, zu kontrollieren.

Markus Hoffmann: Welche Folgen sind denn für die Kommunikation - gerade im politischen Bereich - jetzt schon zu sehen? Gibt es da eventuell schon irgendwelche Hochrechnungen, wo man sagen kann, da könnte es hinlaufen, oder ist das alles noch sehr unklar?

Prof. Dr. Tobias Rothmund: Es gibt durchaus auch Verbindungen zwischen den Gründen und den Folgen. Ein Grund, den ich gerne noch ansprechen möchte, ist der, dass wir uns im Prinzip online in einer Art Aufmerksamkeitsökonomie bewegen. Es heißt, die Ware, womit Geld verdient wird von Google, von Facebook, von unterschiedlichsten Anbietern, ist die Aufmerksamkeit der Rezipienten. Deswegen ist es eine Herausforderung, diese Aufmerksamkeit zu gewinnen. Gleichzeitig erleben wir durch diesen Zuwachs der Information einen immer stärkeren Wettbewerb um diese Aufmerksamkeit. Das hat Konsequenzen in der Form, dass wir ein paar auch beunruhigende Entwicklungen sehen. Beispielsweise: Wir wissen, dass Aufmerksamkeit von Menschen durch bestimmte Art von Kommunikation leichter zu erzielen ist als durch andere. Ein Beispiel: Wenn wir bedrohliche Informationen sehen, dann sind wir evolutionär darauf ausgerichtet, unsere Aufmerksamkeit auf diese bedrohlichen Informationen zu lenken. Das sind Mechanismen, die mittlerweile gezielt genutzt werden, um die Aufmerksamkeit von Menschen in einem Dschungel an Informationen zu gewinnen und zu binden.

Markus Hoffmann: Bei den Parteien, wenn Sie mit ihrer Werbung unterwegs sind, hat man ein bisschen das Gefühl, dass sie noch nicht so genau wissen, wie sie mit dem Medium genau umgehen sollen. Die Einen machen es besser, die Anderen machen es schlechter. Ist Deutschland allgemein vielleicht noch nicht ganz so gut oder professionell, wie die Amerikaner zum Beispiel?

Prof. Dr. Tobias Rothmund: Es ist sicherlich so, dass der Wahlkampf in den USA beispielsweise professioneller vonstatten geht, als in Deutschland. Es ist sicherlich auch so, dass dieser Strukturwandel den wir erleben, von den Parteien selbst zum Teil noch nicht in dem Maße bewältigt wurde, wie es nötig wäre. Also die Ansprache von Menschen in der Onlinewelt, die funktioniert bei manchen Parteien besser als bei anderen. Da gibt es im Prinzip von Wahlkampf zu Wahlkampf neue Entwicklungen, Lerngewinne, Dinge, die Parteien aufnehmen, aber auch natürlich Entwicklungen, die man kritisch sehen kann, die auf ähnliche Prozesse abzielen, die ich gerade angesprochen habe.

Markus Hoffmann: Wenn man jetzt auch mal auf die Wahlkampfgestaltung schaut, also welche Themen von den Parteien in Wahlkämpfen im Internet oder auf Plakaten angesprochen werden. Sie hatten gerade noch gesagt, dass eine Emotionalisierung und ein Angstgefühl geweckt wird, dass bei uns genetisch aus der Evolution fest verankert ist. Haben wir das Gefühl, dass von bestimmten politischen Gruppen versucht wird, dieses Angstgefühl gezielt zu aktivieren, um dann eventuell die Reaktion zu haben: „ok, wir wählen diese Partei“?. Andere Parteien versuchen noch, mit logischen Argumenten irgendwie zu argumentieren. Was kann da gewinnen, das logische Argument oder das Gefühl?

Prof. Dr. Tobias Rothmund: Das ist eine gemeine Frage, weil die Antwort darauf komplizierter ist. Als Berater würde ich sagen, in einem Dschungel der Informationen ist es leichter, durch die Ansprache von Gefühlen Aufmerksamkeit zu gewinnen. Rechtspopulistische Parteien, wie beispielsweise die AfD, machen es ganz gezielt - sprechen Ängste, Sorgen, Bedrohungen an, arbeiten gezielt mit dem Skizzieren von Bedrohungen. Diese Nachrichten werden mehr gehört, werden mehr geteilt und erzielen somit mehr Aufmerksamkeit. Aus der Perspektive heraus müsste man den Parteien jetzt raten, diese Art von emotionaler Ansprache verstärkt zu nutzen. Demokratietheoretisch stellt sich die Frage, wohin uns das als Gesellschaft führt. Es gibt die Begriffe der Angstgesellschaft, der hysterischen Gesellschaft. Das ist natürlich eine berechtigte Sorge, dass wir uns in eine Art der Hysterisierung begeben, die für die Gesellschaft als solches nicht unbedingt erstrebenswert ist.

Markus Hoffmann: Die AfD hat bei der Europawahl deutlich zugelegt. In einer anschließenden Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wird dargestellt, dass die Partei verglichen mit der CDU ein sehr kleines Budget für Facebook- und Instagramtargeting-Werbung ausgegeben hat. Dennoch war die Partei bei der Europawahl in puncto Reichweite stärker als die CDU. Wie passt das zusammen?

Prof. Dr. Tobias Rothmund: Ja, also, die AfD ist in den sozialen Medien sehr präsent und aktiv. Das bedeutet nicht unbedingt, dass das alles über bezahlte Werbung funktioniert, sondern die AfD hat eine große Anhängerschaft, die über soziale Medien kommuniziert. Entsprechende Botschaften werden daher auch häufig durch Leute weitergeleitet und kommuniziert, die im Prinzip Sympathisanten sind, die nichtprofessionelle Akteure sind, die sich aber sehr stark engagieren für die AfD. Die hat dadurch sozusagen diese Fan-Base in den sozialen Medien und muss möglicherweise gar nicht so viel selbst aktiv werden, um entsprechend sichtbar zu sein.

Markus Hoffmann: Kommen wir mal nochmal zurück auf die Gatekeeper, die wir anfangs schon erwähnt haben, also die Journalisten-Kollegen von den Zeitungen, die Kollegen von den Öffentlich-Rechtlichen, von den privaten Sendern. Die sollen den Mittler spielen zwischen den Wählern und den Parteien. In den Wahlkämpfen in Sachsen war stellenweise immer wieder von bestimmten Gruppen die Angst geschürt worden, dass der MDR vielleicht in seiner Funktion als Vermittler Vortrieb gibt für populistische Parteien, die im rechten Bereich unterwegs sind. Sehen Sie das so oder macht der MDR da was falsch? Sollte sich das ändern? Oder ist es auch wieder so ein Spielball in dieser Hysterisierung, die Sie gerade angesprochen haben, der da benutzt wird?

Prof. Dr. Tobias Rothmund: Insgesamt haben journalistische Akteure einen schweren Stand im Moment. Wie ich am Anfang schon angesprochen habe, bedeutet dieser Strukturwandel im Prinzip auch eine Veränderung im Rollenverständnis für Journalisten. In der Vergangenheit war klar: Journalisten haben die Aufgabe, möglichst objektiv zu berichten, verschiedene Argumente entsprechend auch zu gewichten und darzustellen. Heute erleben wir, dass diese Aufgabe zunehmend schwieriger wird und vielleicht auch die Notwendigkeit zunehmend gar nicht mehr gesehen wird, weil wir uns in einer ganz anderen Informationsumgebung bewegen. Insofern, glaube ich, sind Journalisten gefordert, ihr Rollenverständnis neu zu definieren. Also nach meiner Einschätzung ist es so, dass dieses Überangebot an Informationen dazu führt, dass es immer stärker im Prinzip Lobbyismus gibt. Informationen werden von Akteuren versucht, im Sinne einer PR, einer Öffentlichkeitsarbeit, zu nutzen. Die Rolle von Journalisten könnte darin bestehen, das, was ihnen im Moment zum Nachteil gerät, nämlich den Vertrauensverlust, mit diesem Vertrauen zu arbeiten, weil sie potenziell Akteure sind, die A.) die Kompetenz haben, ausgewogen zu berichten, investigativ zu berichten und B.) möglicherweise auch die Integrität aufgrund ihres beruflichen Ethos. Insofern glaube ich schon, dass es eine wichtige Funktion noch immer im Journalismus gibt, die aber vielleicht neu erfunden werden muss, neu legitimiert werden muss. Es ist dann wiederum problematisch, wenn Journalisten auch mit der Macht, die sie in diesem Kommunikationszirkus haben, politische Funktionen übernehmen und sich politisch für die eine oder andere Position stark machen. Das schwächt dann natürlich das Vertrauen in die Ausgewogenheit

Markus Hoffmann: Jetzt haben Sie gerade die Begriffe Öffentlichkeitsarbeit und Public Relations angesprochen. In dem Zusammenhang hört man auch aus dem Parteienumfeld, dass versucht wird - mit welchem Erfolg ist noch nicht ganz klar - sogenannte Newsrooms zu etablieren. Was verbirgt sich dahinter? Welche Strategien verfolgen da die Parteien mit diesen Newsrooms?

Prof. Dr. Tobias Rothmund: Ein Newsroom ist im Prinzip nichts anderes als der Versuch, selbst Nachrichten zu produzieren und über meist soziale Medien zu verbreiten. Das kommt Parteien insofern zupass, als dass sie in der Lage sind, dadurch die Dinge auszuwählen, von denen sie glauben, dass sie wichtig sind, dass sie wahrgenommen werden sollten. Diesen Gatekeeper, Journalisten, im Prinzip umgehen, der möglicherweise die eine oder andere kritische Frage stellt oder vielleicht auch einfach nicht das berichtet, oder nicht das auswählt, was den Parteien besonders wichtig gewesen wäre. Insofern ist es dann auch ein Versuch, eben in dieser Struktur die Rolle des Journalisten selbst zu übernehmen und dadurch die Kommunikation auch selbst gestalten zu können.

Markus Hoffmann: Wie könnte sich so etwas dann auf die Gesellschaft auswirken und wie können Journalisten dagegen steuern, dass sie ihre Funktion als Gatekeeper nicht verlieren? Oder ist das unabdingbar, dass das wahrscheinlich passieren wird?

Prof. Dr. Tobias Rothmund: Im Moment sieht es so aus, als ob das relativ unwahrscheinlich ist, dass diese Entwicklung abrupt ein Ende nimmt. Man kann sich vorstellen, dass es für den Rezipienten zunehmend schwer wird, zwischen bestimmten Formaten zu unterscheiden. Ist das ein journalistischer Beitrag, der unabhängig erarbeitet wurde oder ist das ein Beitrag, der im Auftrag einer Partei erarbeitet wurde? Das heißt, es wird für Journalisten notwendig sein, ihre Unabhängigkeit stärker zu labeln, stärker Vertrauen auch mit diesen Labels zu verbinden, im Prinzip wie eine Art Gütesiegel für unabhängige Berichterstattung, um auch dem Rezipienten im Dschungel dieser Angebote Orientierungsmöglichkeiten zu liefern.

Markus Hoffmann: Hat der Rezipient oder der Zuschauer jetzt schon irgendwie eine Möglichkeit, solche Sachen wie Fake News oder halbwahre Desinformationen, Seiten - ob sie jetzt bei Facebook oder bei irgendwelchen anderen sozialen Medien aufploppen - zu unterscheiden? Gibt es da To-dos, wo man sagen kann: „Pass mal auf, das sind so die drei Dinge, wenn du dich daran hältst oder orientierst, dann fällst du vielleicht nicht so schnell in diese Falle einer Fake News rein"?

Prof. Dr. Tobias Rothmund: Es gibt ein paar Punkte, auf die man achten kann. Das eine ist natürlich die Quelle. Also häufig lassen sich Falschnachrichten relativ schnell entlarven, wenn man dem Link folgt, wenn man der Information folgt, sich also die Mühe macht, nicht nur die Überschrift zu lesen, sondern tatsächlich diese Information ein Stück weit auch nachverfolgt, wo die herkommt. Ein zweiter Aspekt, der sicher wichtig ist, ist nicht dem ersten Impuls nachzugeben. An der Stelle ist es wichtig, dass wir an alle empfänglich sind für bestimmte Arten von Falschinformationen. Es sind meistens diejenigen Informationen, die uns spontan plausibel erscheinen, weil sie eben etwas bestätigen, was wir vermutlich schon immer wussten, weil sie eine Sorge bestätigen oder verstärken. Das heißt, es gibt immer ein Match zwischen einer Falschnachricht und meiner persönlichen Haltung oder Ausrichtung. An der Stelle ist es wichtig, diesen ersten Impuls also das, was wir spontan richtig finden oder glauben zu wissen, da besonders wachsam zu sein.