
Veränderte Einsicht und erweiterte Weltsicht Polittalks: Gift oder Segen?
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14. Februar 2019, 15:47 Uhr
Kritiker bemängeln, dass in Polittalkshows ritualisierte Schaukämpfe stattfinden, die dazu beitragen, dass sich die Zuschauer von der Politik entfremden. Ein weiterer Kritikpunkt: reißerische Titel und ein zu enges Themenspektrum. Verteidiger des Genres sagen dagegen, diese Sendungen seien für das Publikum „Übungen in Toleranz und Gelassenheit“. Wir haben dazu Interviews mit dem Journalistik-Professor Tanjev Schultz und Kommunikationsberater Johannes Hillje geführt.
Wenn sich Journalisten, Medienwissenschaftler oder auch normale Zuschauer kritisch zu Talkshows äußern, tauchen manche Argumente immer wieder auf: Die Gäste redeten zu oft durcheinander, heißt es dann, und wenn - ausnahmsweise - mal ein neuer interessanter Gedanke in einer Sendung aufkomme, würgten die Moderatorin und die Moderatoren ihn gleich ab.
Für Georg Seeßlen, Kulturjournalist und Buchautor („Is This the End? Pop zwischen Befreiung und Unterdrückung“, „Trump! POPulismus als Politik“) sind das vergleichsweise geringfügige Schwächen. Er geht in seiner Kritik wesentlich weiter, er hält Talkshows schlicht für schädlich für die Demokratie. "Die Talkshow ist eine antidemokratische, medienpopulistische Form des Dabeiseins“, schrieb er im Sommer 2017 in der taz. „Immer wenn wir Zuschauer bemerken, wie viel hohle Rhetorik, Maskerade oder schlichte Lüge im Auftritt eines Politikers, einer Politikerin steckt, wie unkultiviert und niveaulos man sich beharkt, wie nichtig und willkürlich das Zahlenmaterial, die 'Beweise', die Zitate sind, entsteht ein neuer Grad der Entfremdung“.
Die Form des Streits, die Art, wie die Politiker sich „beharken“ (Seeßlen), hat demnach etwas beigetragen zu der Politik- und Parteienverdrossenheit, die seit einigen Jahren beklagt wird. Folgt man Seeßlen, sind die teilweise ritualisierten und von der Lebenswelt der Zuschauer weit entfernten Schaukämpfe, die nicht immer den Eindruck erwecken, dass es den Kontrahenten um die sogenannte Sache geht, möglicherweise mitverantwortlich für das sinkende Vertrauen in den politischen Betrieb.
Zur Person Prof. Dr. Tanjev Schultz
Tanjev Schultz arbeitete mehr als zehn Jahre lang als Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“ in den Ressorts Innen- und Bildungspolitik. Er studierte Philosophie, Psychologie, Kommunikations- und Politikwissenschaft sowie Germanistik an der FU Berlin, der FernUniversität in Hagen und an der „School of Journalism“ der Indiana University in Bloomington (USA). Seine Dissertation an der Universität Bremen im Fach Politikwissenschaft trägt den Titel: „Geschwätz oder Diskurs? Die Rationalität politischer Talkshows im Fernsehen“. 2016 übernahm Tanjev Schultz eine Professur für Journalistik an der Universität Mainz.
Seeßlen, für seine Arbeit im Jahr 2017 mit dem Bert-Donnepp-Preis für Medienpublizistik ausgezeichnet, vertritt die Auffassung, dass es mit ein paar Reformen an den Konzepten der Sendung nicht getan ist. „Das Gift des Populismus steckt schon in der Form selbst, so als hätten die Medien nichts Besseres zu tun, als den Politikern die populistischen Gesten und Strategien geradezu abzuverlangen“, konstatiert er. Es kommt demnach erst in zweiter oder dritter Linie darauf an, welches Thema diskutiert wird, wie der Titel der Sendung formuliert ist und welche Gäste eingeladen werden. Die taz bezeichnet den Text ihres Autors daher als „Plädoyer für die Abschaffung der Talkshows, wie wir sie kennen“.
Politiktalksendung vs. Amüsement
In eine ähnliche Richtung wie Seeßlens Kritik geht eine außergewöhnlich umfangreichen Rezension einer „hart aber fair“-Sendung aus dem Jahr 2015, die in der Monatszeitschrift Merkur erschienen ist. Der Autor Matthias Dell bezeichnet den Moderator Frank Plasberg darin als "eitlen Jahrmarktbudenbetreiber, der das rätselhafte Glück hatte, an einem besonders tiefen Tiefpunkt der öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshow für einen kritischen Journalisten gehalten zu werden“. Um einen fruchtbaren Austausch von Argumenten geht es laut Dell in dieser Polittalksendung ganz gewiss nicht, sondern, wie halt auf dem Jahrmarkt, um Amüsement.
Aus einer anderen Perspektive als Seeßlen und Dell kritisiert der mehrfach ausgezeichnete Dokumentarist und Reportageautor Ashwin Raman das Format Polittalk: “Wie können die Leute zu einer fundierten Meinungsbildung kommen, wenn die politische Aufklärung über Talkshows passiert, die sich zu 90 Prozent im Wahlkampfmodus mit Innenpolitik auseinandersetzen?“, fragt er. „So viele Menschen schimpfen über die Flüchtlingspolitik, aber sie wissen nicht wirklich, was es mit diesen Flüchtlingen auf sich hat, woher sie kommen, warum und unter welchen Umständen sie fliehen müssen.“
Raman war in den vergangenen Jahren über einen längeren Zeitraum unterwegs unter anderem in Somalia, in Afghanistan und im Irak, und er riskiert bei seinen Recherchen „auch immer seine eigene Haut“, wie der FAZ-Redakteur Michael Hanfeld einmal geschrieben hat. Er kennt die Situation in vielen Ländern, aus denen Menschen fliehen, und es ärgert ihn daher, dass Wissen dieser Art nicht präsent ist in Polit-Talkshows, die zu komfortablen Sendezeiten laufen. Seine eigenen Filme sind in der Regel nachts zu sehen. Den bisher letzten, „Im Land der Taliban“, zeigte das ZDF um 0.45 Uhr.
Zur Person Johannes Hillje
Johannes Hillje ist selbstständiger Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Zur Europawahl 2014 arbeitete er als Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen Partei. Zuvor war er im Kommunikationsbereich der UN in New York und in der heute.de-Redaktion des ZDF tätig. Hillje ist Policy Fellow beim Progressiven Zentrum in Berlin. Im Februar erscheint sein neues Buch „Plattform Europa“.
Experten-Talk anstatt Polit-Talk?
Könnte es ein Option sein, dort unabhängige Experten diskutieren zu lassen, die, um Ashwin Ramans Kritik aufzugreifen, nicht die nächste Wahl im Blick haben? Irgendwo ist schließlich immer gerade Wahlkampf. Ellen Ehni, seit September 2018 Chefredakteurin beim WDR Fernsehen und damit unter anderem verantwortlich für die vom WDR fürs Erste Programm der ARD beigesteuerten Gesprächs-Sendungen („Hart aber fair“, „Maischberger“ „Presseclub“), sagt : „Beim ‚Presseclub‘ haben wir schon ganz oft festgestellt, dass man als Zuschauer sehr viel lernt, wenn man nicht Interessenvertreter diskutieren lässt, sondern Journalisten, die verschiedene Meinungen abdecken.“
Auf Politiker als Gäste gänzlich zu verzichten, ist für Ehni jedoch nicht vorstellbar: „Wenn man ein explizit politisches Thema setzt, dann muss man auch die entsprechenden Politiker dazu einladen. Es darf aber kein Ersatzparlament werden.“ Wichtig sei es, dass es keine „effektheischerischen Titel“ gebe. „Wir müssen verbal etwas abrüsten, um eine sachliche Debatte zu ermöglichen. Das ist immer eine Gratwanderung, denn ein verschlafener Titel hilft einer Sendung nicht“, erläutert Ehni.
Zu den Verteidigerinnen des Polittalk-Genres gehört die renommierte Schriftstellerin und Fernsehkritikerin Barbara Sichtermann: Die Kritik an den vermeintlich „schlechten Sitten“ in diesen Sendungen sei schon lange überholt, schrieb sie 2018. „Eine Talkshow lebt, ganz wie ihr akademisches Pendant, die Podiums-Diskussion, von der Debatte als Spielart von Streitkultur.“ Es könne daher „nicht immer alles formvollendet“ und „nach festen Regeln ablaufen“. Die „Aufregung und die Zügellosigkeit“ seien beabsichtigt.
Sichtermann wirft den Talkshow-Kritikern auch vor, dass ihre Argumente teilweise widersinnig seien. Wer moniere, dass Talkshows keine eigenen Themen setzten und immer wieder über dieselben Inhalte geredet werde, verkenne ein wesentliches Charakteristik des Formats: Die Talkshows seien ja gerade dafür da, dass sie „die Debatten der News-Kanäle, der Presse, des Radios, des Internets und der Stammtische aufgreifen und fortführen“. Dass sie sich an den aktuellen Schlagzeilen orientierten, liege gewissermaßen in der Natur der Sache.
Das Fazit Sichtermanns: Talkshows seien, „wenn sie gut gemacht sind, Übungen in Toleranz und Gelassenheit und der Fähigkeit, Argumente zu vernehmen und zu verstehen und dabei die eigene Einsicht und Weltsicht womöglich zu erweitern oder sonst zu verändern, aber auch zu lernen, sie mit noch besseren Gegenargumenten zu verteidigen“. Diesen „Lernprozess“ könnten „natürlich auch die Talkgäste durchlaufen“. Vor allem aber solle das Publikum diese Erfahrung machen.