Verantwortung der MedienPopulismus und Medien
Lügen, Hetze und ein „Vogelschiss“: Die vergangenen Jahre haben gezeigt, populistische Bewegungen können Journalist:innen mit Provokationen leicht an den Eiern, äh, Nachrichtenfaktoren packen und sich so in die Öffentlichkeit katapultieren. Könnte das bedrohlich werden für unsere Demokratie?
Inhalt des Artikels:
Journalisten berichten, was neu ist, was sich in Politik und Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und im Internet so tut - klar. Jedenfalls dem Grundsatz nach. Worüber in welchem Ausmaß berichtet wird, das hängt meist von sogenannten Nachrichtenfaktoren ab: Neben der Aktualität eines Ereignisses spielt dabei beispielsweise auch die kulturelle und räumliche Nähe, die Dynamik und Emotionalisierung eine Rolle. Dabei gilt häufig, je kontroverser ein Thema diskutiert wird und je überraschender es in die Öffentlichkeit gelangt, desto umfangreicher fällt die Berichterstattung aus. Emotionalität und die Prominenz der handelnden Personen tragen ebenfalls dazu bei.
Aber wenn Journalisten sich immer wieder nach den gleichen Auswahlkriterien richten, ist es dann nicht auch ziemlich einfach, diese Nachrichtenfaktoren zu nutzen, um sich selbst und seine Message in die Öffentlichkeit zu katapultieren? Kann man Journalisten so nicht ziemlich einfach an den Eiern, äh, Nachrichtenfaktoren packen?
Provokation und Grenzüberschreitung
Genau das machen sich populistische Bewegungen zu Nutze, die in den vergangenen Jahren in der politischen Landschaft vieler Länder an Bedeutung gewonnen haben. Durch Provokationen und gezielte Grenzüberschreitungen – wie etwa die Aussage des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland, die NS-Zeit sei lediglich ein Vogelschiss in der deutschen Geschichte gewesen oder Trumps gezieltes Verbreiten von Desinformation – wird dabei mediale Aufmerksamkeit erzeugt. Populistische Bewegungen hacken also quasi die Aufmerksamkeitsmechanismen, um in der Öffentlichkeit möglichst viel Raum einzunehmen und mit Ängsten und Unsicherheiten der Bevölkerung zu spielen, darunter Entfremdung, Frustration, Feindseligkeit oder auch Wut.
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Aber sind es nicht erst Medien, die diesen gezielten Provokationen und falschen Behauptungen eine so große Aufmerksamkeit verschaffen? So wurde beispielsweise nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten oder dem Einzug der AfD in den Bundestag kritisiert, die Medien trügen durch das immense Ausmaß an Berichterstattung eine Mitschuld am Wahlerfolg der Populisten.
Michael Meyen, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Ludwigs-Maximilian-Uni in München, sieht das ganze Mediensystem in einer „Aufmerksamkeitsspirale“. Auf seinem Blog schreibt er, nicht einzelnen Journalisten oder Moderatorinnen könne man die Verantwortung zuschieben, das ganze Mediensystem habe sich in den vergangenen 30 Jahren verändert:
Emotion statt Analyse, Prominenz und Königskämpfe anstelle von Alltag und sozialen Brennpunkten, Liveticker und Echtzeit-Journalismus statt Hintergrundberichterstattung.
Prof. Michael Meyen
Der schweizer Medienwissenschaftler Matthias Zehnder sieht in solchen Veränderungen sogar die Grundlage, auf der der Populismus überhaupt so einflussreich werden konnte, wie er heute ist. Die Medien haben seiner Einschätzung nach also selbst zum Erstarken des Populismus geführt.
Zur Person Armin Wolf
Armin Wolf (52) begann seine Karriere nach dem Abitur beim öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunk (ORF). Wolf war u.a. Außenpolitik-Redakteur im Hörfunk beim landesweiten Radio Ö1, darunter als Korrespondent in Washington, bevor er 1995 zum TV-Nachrichtenmagazin Zeit im Bild 2 (ZiB 2) wechselte. Seit 2002 ist er Moderator der ZiB 2 - einer Art österreichischer Tagesthemen - und stellvertretender Chefredakteur der ORF-Fernsehinformation. Er ist besonders für seine hartnäckigen, langen Politiker-Interviews bekannt und war mehrfach Zielscheibe für Angriffe der populistischen Freiheitlichen Partei Österreich (FPÖ), die heute Koalitionspartner der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) in der Wiener Bundesregierung sind. 2018 erhielt er für seine Arbeit die „Besondere Ehrung“ beim Grimme-Preis, Deutschlands wichtigstem Fernsehpreis.
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Die Verantwortung der Medien
Das alles wirft natürlich viele und komplexe Fragen unter Medienmenschen auf. Wie können Journalistinnen und Journalisten mit weiteren Aufmerksamkeitshacks vonseiten populistischer Bewegungen umgehen, während sie in einem System feststecken, dass von ihnen verlangt, Aufmerksamkeit zu erzeugen? Wie können sie vermeiden, sich vor den sprichwörtlichen Karren populistischer Ziele spannen zu lassen und deren Parolen immer weiter zu verbreiten? Bei diesen Diskussionen sind in Redaktionen wohl schon einige Kaffeebecher an Wände geflogen, zumindest aber viele Stunden mit leidenschaftlichen Debatten in stickigen Konferenzräumen zugebracht worden.
Komplettes Ignorieren populistischer Äußerungen kommt schwerlich in Frage, wenn man den Anspruch hat, den gesellschaftlichen Diskurs einigermaßen realitätsgetreu abzubilden – auch, wenn Teile davon noch so fragwürdig sein mögen. Auf alle Parolen anzuspringen scheint, wie schon erwähnt, ebenso wenig sinnvoll. Die deutsche Autorin und Publizistin Carolin Emcke betonte kürzlich in der Süddeutschen die Verantwortung der Medien:
„Das Mantra vom ‚Wir versuchen nur darzustellen, was ist‘ zeugt keineswegs von selbstkritischer Objektivität, sondern von selbsthypnotischer Verantwortungslosigkeit. Als Journalistinnen und Journalisten wählen wir aus, wir schenken den einen Aufmerksamkeit und den anderen nicht, (…) wir bilden nicht einfach ab, wir entscheiden mit darüber, was als Abbild, was als typisch gilt und was nicht (…). Welche Bilder zu Ikonen werden, welche Praktiken als gewöhnlich, welche als ungewöhnlich wahrgenommen, welche Ängste aufgewertet und welche belächelt werden - das gestalten wir mit.“
Wie könnte also eine Lösung aussehen, wenn das journalistische Selbstverständnis eine ausgewogene Berichterstattung verlangt? Der US-amerikanische Medienforscher Jay Rosen warnt Medien davor, in die Rolle der politischen Opposition zu rutschen. Trotzdem müssten Journalisten sich entschieden gegen eine „Erosion der Demokratie und der Welt der Fakten“ stellen, sagte er kürzlich in einem Interview mit der Zeit. Rosen schlägt deshalb vor, eine klare Agenda zu verfolgen und diese öffentlich mit maximaler Transparenz zu kommunizieren:
"Redaktionen sollten ganz offen sagen: 'Diese Themen halten wir derzeit für besonders wichtig in der deutschen Politik und Gesellschaft, sie werden für die Zukunft des Landes einen Unterschied machen. Diese Themen sind unseren Lesern wichtig, und wir Journalisten halten sie für essenziell. Wir werden diese Agenda verfolgen. Wir werden alles im Auge haben, was ansonsten geschieht, aber von dieser Agenda werden wir uns nicht ablenken lassen.'"
Dabei muss sicher besonders darauf geachtet werden, dass diese Agenda sachlich verfolgt wird und Journalisten dabei nicht in die Falle der Emotionalisierung oder Empörung tappen.
Professor Robert G. Picard vom Reuters Institute for the Study of Journalism fordert vor allem, Populismus und dessen Demokratiefeindlichkeit gut zu erklären und zu gewährleisten, dass Populismus und seine Bedrohung unbedingt für Mediennutzer verständlich gemacht werden. In einer Rede am Dortmunder Institut für Journalistik sagte er:
Wir müssen sicherstellen, dass wir Populismus als solchen identifizieren, ihn früh genug zum Thema machen und dann weiterhin kritisch und vorsichtig über ihn berichten, ohne sein Sprachrohr zu werden und neue Anhänger zu rekrutieren.
Prof. Robert G. Picard
Es liege in der Verantwortung von Journalisten aber auch Bürgern, eine effektive Antwort auf populistische Bewegungen zu finden und sicherzustellen, dass die Berichterstattung der Öffentlichkeit die Informationen gibt, die sie braucht, um seine Bestandteile, Defizite und Bedrohungen einzuschätzen. „Die Zukunft der Demokratie hängt davon ab.“