Stilisierte Grafik: Zwei männliche Statuen tragen große Kugel auf den Schultern. Im Hintergrund sind Fernsehgeräte zu sehen.
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Public Value von Medien Was hat die Gesellschaft davon?

12. November 2020, 17:34 Uhr

Um der Frage zu begegnen, was eigentlich der öffentlich-rechtliche Rundfunk jedem Einzelnen bringt, hat die ARD im Sommer 2019 eine Public-Value-Kampagne mit dem Claim "Wir sind deins" gestartet. Aber was ist eigentlich dieser Public Value?

Trägt der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) zum sozialen Zusammenhalt in Deutschland bei? Erhöht er die Lebensqualität und verhält sich dabei anständig? Und leistet er gute Arbeit im Sinne seines Auftrags? Wer als Unternehmen oder Institution diese Fragen mit einem klaren "Ja" beantworten kann, hat ihn, den "Public Value".

Unter Public Value versteht man den Nutzen oder auch Wert, den eine Institution für die Gesellschaft hat. Der Begriff wird in Deutschland eng mit Gemeinwohl verbunden. Denn das ist bei der Bewertung von Institutionen wie zum Beispiel Verwaltungen, Feuerwehren, Sparkassen oder eben auch Rundfunkanstalten durchaus eine spannende Frage: Welchen Nutzen haben diese Institutionen eigentlich für die Gesellschaft? Und wie will man den messen?

Betriebswirtschaftliche Kennzahlen reichen nicht

Der öffentliche Wert von Institutionen ist schon länger Thema in Deutschland. "Als in den 90ern in Verwaltungen mehr betriebswirtschaftliche Elemente einzogen, auch, um Verwaltungen deutlich effizienter zu gestalten, fiel auf, dass allein Betriebswirtschaft nicht ausreicht, um eine Institution zu bewerten", sagt der Wirtschaftspsychologe Timo Meynhardt, Professor an der Handelshochschule Leipzig. Als Versuch, die althergebrachten Traditionen der Verwaltungslehre mit der anderen, nach Effizienz schielenden Seite in Balance zu bringen, wurde die Idee des Public Value prominent. Meynhardt ist heute einer der führenden Köpfe zum Thema in Deutschland und einer derjenigen, die das Thema intensiv voranbringen wollen – auch mit Blick auf die Bewertung der Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland. 

Porträt Timo Meynhardt
Wirtschaftspsychologe Timo Meynhardt, Professor an der Handelshochschule Leipzig Bildrechte: Timo Meynhardt

Bei der BBC ist Public Value schon lange Programm. 2007 begannen die Briten, für jedes neue Vorhaben ein aufwändiges dreistufiges Verfahren durchzuführen, um den Mehrwert des geplanten Angebotes vorab zu prüfen. So wurde etwa ein neuer HDTV-Kanal oder ein Online-On-Demand-Service durch dieses Verfahren geschickt, um zu klären, ob sie wirklich einen gesellschaftlichen Nutzen mit sich bringen und wie sie auf die Medienlandschaft wirken würden. Das Prüfverfahren, das später als Vorbild für den in Deutschland inzwischen vorgeschriebenen Drei-Stufen-Test galt, war auch auf Druck der privaten Rundfunkveranstalter ins Leben gerufen worden, die mit den Veränderungen der Medienlandschaft durch das Internet um ihre Zukunft fürchteten. Zwischen 1.000 und 10.000 Bürger beteiligten sich in den dritten Phasen der BBC-Verfahren daran, ihre Meinung zu den Plänen der Sender einzubringen.

No-Billag-Debatte: Schweizer stimmten ab

Weiteren Schwung bekam die Diskussion über den Public Value von Öffentlich-Rechtlichen 2018 durch die Volksabstimmung in der Schweiz. Vor zwei Jahren stand die Entscheidung an, ob der Schweizer öffentlich-rechtliche Rundfunk (SRG) weiter über einen Beitrag finanziert werden soll. Erst als in der sogenannten No-Billag-Debatte die Anstalt und ihre Befürworter deutlich machen konnten, wie die Gesellschaft von einer unabhängigen Rundfunkanstalt und ihrem "Service Public" profitiert, kippte die öffentliche Stimmung. Eine breite Mehrheit votierte für den Erhalt der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG).

In Deutschland schwelt die Diskussion um den Public Value des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seit der Jahrtausendwende. Mit dem Leipziger Impuls 2019 hat die Diskussion erneut Fahrt aufgenommen. Im Rahmen einer Public-Value-Konferenz in Leipzig stellten die Intendanten von MDR, ZDF, WDR, Deutschlandradio, SRG (Schweiz) und ORF (Österreich) gemeinsam mit der Handelshochschule Leipzig (HHL) ein Papier vor, um die Diskussion kräftig anzukurbeln.

Die dort formulierten Ziele, die einer Art Selbstaufforderung an die Öffentlich-Rechtlichen gleichkommen, umfassen Punkte wie "Innovationen für die öffentliche Meinungsbildung" voranzubringen oder "Verantwortung für Transparenz" zu übernehmen. Am Ende geht es darum, den wirklichen Mehrwert der Rundfunkanstalten in der eigenen Arbeit stärker in den Vordergrund zu stellen. Denn auch für die Anstalten gilt, was schon vor vielen Jahren für die Verwaltung erkannt worden ist: Die Bewertung allein auf Basis von betriebswirtschaftlichen Kennziffern oder aber durch Reichweiten und Quoten kann es nicht sein. 

Zusammenhalt, Lebensqualität, Aufgabenerfüllung, Moral

Professor Meynhardt wird nicht müde zu betonen, dass ein öffentlicher Wert allerdings nur in der Wahrnehmung jedes Einzelnen entsteht – also mehr so etwas wie eine kollektive Einstellung ist. Was wiederum erklärt, warum die ARD im Sommer 2019 eine Public-Value-Kampagne mit dem Titel "Wir sind deins" initiierte. Frei nach dem Motto: Tue Gutes und rede darüber.

Meynhardts Mission ist es, diese kollektive Einstellung zu messen und zu dokumentieren. 2019 erschien der Gemeinwohlatlas für Deutschland zum zweiten Mal. Die HHL Leipzig untersucht darin in Kooperation mit der Universität St. Gallen, welchen gesellschaftlichen Stellenwert unterschiedlichste Institutionen haben. Platz 1 belegt die Feuerwehr, gefolgt von Technischem Hilfswerk und Rotem Kreuz. Neben Hilfsorganisationen finden sich in den ersten 20 Plätzen aber auch Institutionen wie das Deutsche Jugendherbergswerk (6), die Bundespolizei (7) oder das Bundesverfassungsgericht (8). Mit den Dritten auf Platz 16 und der ARD auf Platz 18 sind die Öffentlich-Rechtlichen noch vor der Evangelischen Kirche (19) oder Greenpeace (24) platziert; andere Medien, die es auf die Liste geschafft haben, sind das ZDF (21), die Süddeutsche Zeitung (32) oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung (36).

Ermittelt wurden die Platzierungen über eine repräsentative telefonische Befragung, bei der rund 12.000 Menschen bewerteten, wie sie eine Auswahl bedeutender Unternehmen und Organisationen in den Kategorien Aufgabenerfüllung, Zusammenhalt, Lebensqualität und Moral einschätzen.

"Wenn sie keine Relevanz hätten, wären sie schon längst nicht mehr existent", antwortet Meynhardt auf die Frage, ob Marken wie Ikea, C&A oder die Zigaretten-Marke Marlboro, die im Gemeinwohlatlas die Plätze 54, 82 und 135 belegen, wirklich eine gesellschaftliche Relevanz hätten. Bei der Bewertung der Unternehmen durch die Befragten würden viele Faktoren eine Rolle spielen, etwa auch Arbeitsplätze oder Unterhaltungsaspekte. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass mit den 135 getesteten Unternehmen nur ein Ausschnitt untersucht wurde. Und dass die Zigarettenmarke zwar nicht den Wert null, aber im Vergleich zu anderen einigen Abstand hätte.

Public Value als Argument für Bevorzugung

Mittelfristig könnte Public Value zum zentralen Kriterium zur Bewertung der Arbeit der Öffentlich-Rechtlichen werden. Der eben erst von den Ländern verabschiedete neue Medienstaatsvertrag sieht genau das vor: Künftig müssen Fernseh-, Radio- oder Onlineangebote mit einem besonderen Wert für die Meinungs- und Angebotsvielfalt – eben die sogenannten Public-Value-Angebote – auf Benutzeroberflächen wie Smart-TV oder Smart Speaker leicht auffindbar ("Must be found") sein. Aktuell gelten laut Medienstaatsvertrag alle öffentlich-rechtlichen Inhalte als besonders wertvoll.

Rechtlich ungeklärt ist derzeit aber noch, welchen Stellenwert private Medienanbieter in diesem Konzept haben: Denn auch Medienangebote wie Sat1, RTL, oder auch die Bild-Zeitung, die in Meynhardts Gemeinwohlatlas die Plätze 120, 126 und 133 belegen, liefern zweifelsohne einen Public Value für die Gesellschaft.

Die medienpolitische Diskussion darüber läuft gerade erst so richtig an. Es steht zu erwarten, dass die Debatte auch Auswirkungen auf die politische und gesellschaftliche Bewertung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben wird. Kein Wunder, dass die da schon mal vorsorglich beim Publikum klappern und den eigenen Stellenwert betonen.