Personen auf Bildschirmen zu sehen. Davor eine Frau auf einem Stuhl sitzend.
Unter dem Titel "Hate Speech - Kampf mit der digitalen Hydra" diskutierten (von links) RTL-Justiziarin Meike Koch, Sabine Frank, bei Google Deutschland die Medienpolitik verantwortend, Staatsrechtsprofessor Dr. Hubertus Gerstorf von der Universität Leipzig und Staatsanwalt Dr. Christoph Hebbecker von der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen. Bildrechte: Christian Kneise / Medientage Mitteldeutschland 2021

Diskussion bei den Medientagen Mitteldeutschland "Hate Speech nicht mehr Hinnehmen"

03. Juni 2021, 09:33 Uhr

Hate Speech im Netz bleibt ein Problem. Für Nutzerinnen und Nutzer, für Medienunternehmen und Social-Media-Plattformen. Und auch für die Strafverfolgungsbehörden. Das neue Gesetz gegen Hasskriminalität im Internet stellt Polizei und Justiz vor neue Aufgaben und war daher auch Thema bei den Medientagen Mitteldeutschland in Leipzig.

Schon das im Herbst 2017 in Kraft getretene so genannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) macht es einfacher, Verstöße gegen Recht und Gesetz im Internet zu melden. Konkrete strafrechtliche Ermittlungen sind darin aber noch nicht zwingend vorgeschrieben. Eine konkrete Anzeigepflicht gibt es jetzt im neuen Gesetz gegen Hasskriminalität, sie greift ab Februar 2022.

Neues Hate-Speech-Gesetz macht Anzeige zur Pflicht

Seit 2017 habe sich aber schon eine Menge getan, sagte Dr. Christoph Hebbecker von der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW) bei der Staatsanwaltschaft Köln auf dem Panel in der Alten Baumwollspinnerei in Leipzig. "Inhalte die rechtswidrig sind, sind deutlich kürzer auf den Plattformen und werden schneller gelöscht", so Hebbecker. Ausbaupotential sieht er bei der Strafverfolgung. "Dass NetzDG sah bislang nur die Löschung solcher Inhalte vor, aber keine automatische Meldung und Strafverfolgung. Das kann uns aber nicht genügen." Man müsse diejenigen identifizieren, die Strafbares posten und diese auch verfolgen. Hebbecker begrüßte, dass der Gesetzgeber hier mit dem Hate-Speech-Gesetz "nachgesteuert" habe: "Ob das dann greift, müssen die nächsten Monate zeigen." Wichtig sei, im Strafrecht die Besonderheiten des Netzes zu berücksichtigen. "Das tun wir aber auch schon. Man kann schon heute bei der so genannten 'Strafzumessung' unterscheiden, ob jemand etwas im Netz postet, wo es millionenfach gelesen werden kann. Oder ob jemand etwas im kleinen Kreis in der Kneipe sagt."

Google habe ebenfalls schon seit 2017 seine Melde-Möglichkeiten bei Plattformen wie YouTube für die Nutzerinnen und Nutzer vereinfacht. Sabine Frank, die bei Google Deutschland für Medienpolitik zuständig ist, sagte in Leipzig, dass Prüfteam von Google Deutschland bekomme im Durchschnitt 600.000 bis 700.000 Meldungen pro Jahr zu möglicherweise problematischen Posts und Inhalten. Global entferne Google schon heute rund 36 Millionen Inhalte pro Jahr. "Bislang sind wir verpflichtet, strafbare Inhalte zu löschen. Ab Februar 2022 können wir solche Inhalte dann an eine neu eingerichtete zentrale Stelle beim Bundeskriminalamt (BKA) melden. Wenn Gefahr für Leib und Leben droht, melden wir das aber schon heute - auch international an Interpol", so Frank.

Journalistinnen und Journalisten sind immer stärker betroffen

Nicht nur für Nutzerinnen und Nutzer, auch für Medienunternehmen selbst wächst das Problem mit Hass und Gewalt im Netz. "Unsere eigenen Journalistinnen und Journalisten sind in immer stärkerem Maße von Hasskommentaren betroffen", sagte RTL-Justiziarin Meike Koch: "Es kann nicht sein, dass im Internet ein rechtsfreier Raum bleibt." Einem Ladendieb werde ja auch nicht bloß die gestohlene Ware abgenommen, sondern der Diebstahl werde zur Anzeige gebracht. Genau so wichtig sei aber, für ein "Umdenken" in der Bevölkerung zu sorgen und dabei gleichzeitig klar zu machen, dass es nicht um Beschneidung der Meinungsfreiheit geht, so Koch: "Es geht uns nicht darum, möglichst viele Leute vor Gericht zu ziehen, aber das Bewusstsein zu schärfen, also die Menschen zu sensibilisieren und aufzuklären."

Ein erfolgreicher Ansatz ist hierbei das bundesweite Projekt "Verfolgen statt nur Löschen" zur engen Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden und Medien. In Nordrhein-Westfalen sind (Stand Februar 2021) über 900 Anzeigen erfolgt, die zu 550 Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft führten. In Mitteldeutschland kooperieren bei "Verfolgen statt nur Löschen" der MDR und die Landesmedienanstalten von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Unter Führung des MDR hat "Verfolgen statt nur Löschen" beispielsweise in Sachsen dafür gesorgt, dass entsprechende Anzeigen nach einem beschleunigten Verfahren von der Staatsanwaltschaft bearbeitet werden.

Viele Hate-Poster reagieren völlig überrascht

Viele, die nach solchen Posts Post oder Besuch von der Polizei bekommen, "sind dann total überrascht", berichtet Staatsanwalt Hebbecker: "Wir hören dann Sätze wie 'Das machen doch alle, so formuliert man das eben in unserer Gruppe'. Es muss aber allen klar werden, dass strafbare Hate-Posting erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen - dafür kann man auch ins Gefängnis gehen." Allerdings könne die Polizei nicht jedes Hass-Posting finden und verfolgen. "Aber wir müssen klar machen, wir verfolgen das." Hier müsse sich der Justizapparat allerdings den Vorwurf gefallen lassen, "dass wir hier bislang nicht deutlich genug unterwegs waren", so Hebbecker. Das Problem sei, dass es bislang zu wenig Ermittler, Kapazitäten und Know-How gebe.

Außerdem müsse die Unterstützung und Betreuung der Opfer von Hass-Kriminalität besser werden. "Wir sind  teilweise auch zu wenig sensibel mit Blick auf die Opfer und als Straverfolger vielleicht zu sehr täterorientiert", sagte Hebbecker. Er empfahl mehr zivilgesellschaftliches Engagement wie es die Organisation Hate-Aid anbietet, die Betroffene von digitaler Gewalt berät.

Wer ist zuständig: Bund oder Länder?

Der Staatsrechtsprofessor Dr. Hubertus Gerstorf warnte in Leipzig allerdings vor Fehlentwicklungen mit Blick auf die neuen Gesetze. Er klagt im Auftrag von Bundestagsabgeordneten aktuell gegen das NetzDG, weil nach seiner Auffassung nicht der Bund, sondern die Länder für Verfolgung von Internetkriminalität zuständig seien. "Wir wünschen uns ein NetzDG der Länder", so Gersdorf. Außerdem sei "inhaltlich nicht sichergestellt, dass für die Meinungsbildung wichtige Inhalte vor einer Löschung genau genug geprüft werden". Vor allem, wenn die Prüfung automatisch und nur durch Algorithmen erfolge. Dann komme es zum "Overblocking-Phänomen", dass der Meinungsfreiheit im Netz abträglich sei.

Auch Meike Koch von RTL warnte vor Übereifer. "Es bleibt ein Zwiespalt: Müssen wir das unbedingt verfolgen oder muss eine Demokratie das aushalten?" Im Netz müsse eines immer auch klar sein, so Koch: "Vieles ist von der Meinungsfreiheit gedeckt, auch wenn die entsprechenden Kommentare ganz furchtbar sind."